Hans Witteborg

Da ging es schweinisch zu


(Kindheitserinnerungen/Fragmente)

Nein, nein...nicht was ihr jetzt denkt, dazu war der Zeitpunkt damals nun wirklich noch nicht gekommen! Da wurde an ganz etwas anderes gedacht, wenn das Magenknurren andere Stöhngeräusche übertönte.
Ich rede von jenen Jahren als mein Namensvetter Schmalhans noch Küchenmeister in
deutschen Landen war. Also, um genau zu sein, das erste Jahr nach dem Weltkrieg zwei.
Lebensmittel gab es nur auf Lebensmittelkarten und die Zuteilungen fielen nicht besonders üppig aus. Das bedeutete, daß nicht nur unsere Familie zur Zwangsdiät verpflichtet war
( für die jüngere Generation: denkt hier nicht an Brigitte Diät) und man manchmal hungrig ins Bett gehen mußte.
Glückliche Familie hieß damals die Familie mit Glück durch die schweren Jahre durchzubringen. Und siehe da, einmal hatten wir wirklich Glück. Das kam zu uns in Gestalt eines Kameraden meines Bruders Günter, der nicht wie der in englische Gefangenschaft geraten war, und nun die elterliche Bäckerei übernommen hatte. Mein Vater und Herr D.
besprachen sich lange in dem kalten Wohnzimmer, sehr lange, wenn man die Kälte bedenkt.
Es muß wohl irgend etwas Konspiratives gewesen sein, denn wir wurden zunächst nicht gewahr, was die Beiden miteinander zu besprechen hatten.
Einige Tage vergingen. Dann fuhr ein Auto vor. Da muß man sich zunächst einmal die Augen reiben: ein A u t o zu der damaligen Zeit! Ein DKW (Zweitakter) mit einer Sperrholz Karosserie. Der fuhr tatsächlich mit T r e i b s t o f f, wo andere Lastfahrzeuge, sofern es sie gab, mit Holzkohlevergaser durch die Trümmerstraßen fuhren! Offenbar waren Bäckermeister wohl irgendwie privilegiert!
Herr D. besprach sich kurz mit meinem Vater, der kam auf mich zu und fragte, ob ich mitfahren wolle. Welche eine Frage! Natürlich wollte ich, der sechsjährige Knirps, der noch nie in einem Auto gesessen hatte. Mein Vater sagte nur kurz zu Herrn D.: „Wir nehmen den Jungen mit, das ist weniger auffällig!“ Ich stieg also auf die hintere Sitzbank und dann ratterten wir los. Es wurde kein Wort gesprochen. Wir fuhren durch eine Gegend, die mir
unbekannt war (wie sollte sie auch, fort von zu Hause?) Es fing an dunkel zu werden, denn es war Spätherbst, die Kopfsteinstraße rumpelig und wir kamen nicht gerade schnell voran.
Wir überquerten eine Brücke, die sich über einen Kanal spannte, dann endlich waren wir an einem Gehöft angelangt, nachdem wir durch eine Dorfstraße gefahren waren. Wie ich später erfuhr, waren wir in dem Dorf S., das im Kreis Lübecke liegt, etwa 70 km entfernt von meiner Heimatstadt.
Noch immer ahnte ich weder den Grund warum wir hier waren, noch erfuhr ich den geringsten Zusammenhang. Mein Vater und Herr D. stiegen aus. Es dauerte eine Weile,
da kamen die beiden plötzlich aus einem Nebengebäude, das sich als Schweinestall entpuppte.
Vor ihnen quiekte ein an einem Hinterbein gefesseltes kleine Schwein. Ich stieg aus, denn das Schweinchen sollte auf der Hinterbank verfrachtet werden, wozu es offenbar gar keine Lust verspürte. Kommandos wurden gebrüllt, ohne Erfolg, das Schwein sperrte sich unbeeindruckt.
Da nahm Herr D. einen Knüppel mit dem er das Schwein vorwärts getrieben hatte und prügelte darauf ein. Das arme Tier wurde geschubst, gezerrt, es rutschte von der Bank mit einem Bein in den Zwischenraum zum Vordersitz und brach sich offenbar ein Bein, denn es schrie fürchterlich. „Nimm die Decke vom Hintersitz und lege sie über das Schwein,“ sagte mein Vater nervös. „so fallen wir weniger auf“, fügte er hinzu. Dann stiegen wir ein und fuhren wieder los. „man sieht ja rein gar nichts, du fährst ohne Licht“, bemerkte mein Vater nach kurzer Strecke. Meinst du ich möchte einer Kontrolle von fern signalisieren, hallo wir kommen! Das hätte uns gerade noch gefehlt!“ stellte sich der Fahrer stur. So ging es durch den dunklen Abend. Außer dem Schwein, das nach wie vor schrie, leicht gedämpft unter der Pferdedecke, sagte niemand ein Wort. Die Fahrt dauerte sehr, sehr lange, doch Zwischenfälle gab es nicht. Endlich gelangten wir auf den Hof der Bäckerei, wo man das Schwein einschließlich Decke auslud und mir befahl ruhig sitzen zu bleiben, da man noch eine ganze Weile zu tun hatte.
Nach stundenlangem Warten – ich war inzwischen eingeschlafen- kamen beide Männer aus der Backstube wieder heraus und Herr D. fuhr uns nach Hause, wo meine Mutter uns schon bangend erwartet hatte. Warum bangend? Werden die Jüngeren unter euch fragen.
Nun, das was ich da geschildert habe, war zur damaligen Zeit unter strengste Strafe gestellt:
Schwarzschlachterei. Ich wurde deshalb auch verdonnert nie und unter gar keinen Umständen davon etwas verlauten zu lassen. Man sprach sogar von Hinrichtungen, die man in Dortmund für derartiges Verbrechen bereithielt.
Nun, wer damals hingerichtet wurde, war das kleine Schwein, von dem wir eine Mettwurst und ein kleines Stück Speck abbekamen.
Liebe Tierfreunde seid nicht schockiert, ich habe meinen kleinen Anteil davon mit Heißhunger genossen!


Ich habe die Geschichte nicht aus nostalgischer Erinnerung geschrieben, viel mehr gerate ich in Zorn, wenn in der heutigen Zeit Eltern behaupten sie können aus Geldmangel ihren Kindern kein Pausenbrot mitgeben. Ich habe dies mit dem nachstehenden Gedicht zum Ausdruck gebracht

So gesehen – Berlin 1900

Ein Bildband von Berlin um die Jahrtausendwende
fiel, eigentlich per Zufall nur, kürzlich in meine Hände.
Die Fotos, was recht sonderbar, stammten von Heinrich Zille,
der sein Milieu – Berlin wie ´s war- zeigte durch seine Brille.

Die gute, alte Kaiserzeit von Glanz und Gloria:
vor Armut strotzend, weit und breit war keine Hoffnung da!
Wer heute in der sicheren Zeit von Armut ständig spricht,
der kennt die Zeiten, die ich mein`, in Deutschland sicher nicht.

Wie töricht müssen Menschen sein, die auf die Strasse gehen,
wenn sie ein Stündchen Mehrarbeit pro Woche nicht verstehen?
Ich, als ein echtes Trümmerkind, das fror und wurd` nicht satt,
das fragt zu Recht, wer damals sich um mich gekümmert hat?

Wenn heut´ ein Kind hier hungern muss, dann frag ich alle Welt,
warum wird sinnvoll Nahrung nicht gekauft vom Kindergeld?
Beschimpft mich nur, soviel ihr wollt. Ich möchte euch nur sagen,
egal, ob damals andere Zeit…..es blieb ein leerer Magen!




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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