Michael Pernek

Der erste Herbst


Noch eine für Ramona und Gabi!


Michael Pernek’s

Der erste Herbst


Nach dem Sommer der Jugend, ereilt einem nur all zu bald ein kühler Herbst. Dies ist so unumgänglich wie ein Werbeblock, an der spannendsten Stelle eines Spielfilms. Wie ebensolcher Werbeblock, ist auch dieser erste Herbst, im Leben eines Menschen einen unfreiwillige und störenden Moment im Handlungsablauf. Die beste Zeit um über das Geschehene nachzudenken und erste Bilanz zu ziehen.

John hätte diesen Abschnitt in seinem Leben am liebsten blauäugig übersprungen und es wäre ihm auch fast gelungen, wäre nicht seine Frau so aufmerksam gewesen ,die ersten Zeichen zu bemerken.

Es war an einem Fernsehabend. John und seine Frau lagen auf dem Sofa, eng umschlungen und ließen sich von einer Episode von Outer Limits* berieseln.

Vom Fernseher her ertönte der bekannte Prolog der Serie:

„Sind sie bereit für das unfassbare?....“

„Du hast da ein graues Haar!“, erwähnte Johns Frau beiläufig.

„Das kann ich mir nicht vorstellen, Schatz“, belächelte John den augenscheinlichen Neckversuch.

„Nein, wirklich!“, versicherte die Gemahlin.

„Das ist wahrscheinlich nur eine Pigmentstörung oder so was.“, gab John nun doch etwas nervöser zur Antwort.

„Ich werde doch noch wissen wie ein graues Haar aussieht!“, beharrte Johns Gattin.

„Es ist sicher kein graues Haar!“, verteidigte John sein jugendliches Aussehen mit Nachdruck, doch es fiel im bereits schwer sich selbst zu überzeugen.

„Schau es dir im Spiegel an und sag mir, dass es kein graues Haar ist.“

Mit einem erzwungen, ruhigen Lächeln trat John vor sein Spiegelbild und sah dem Grauen ins Auge. Es war da, kaum zu übersehen und es war grau! John verfiel, das brachten seine Gesichtszüge deutlich zum Ausdruck . Im Fernseher ertönte die schaurige Titelmelodie von Outer Limits. John betrachtete das Haar und konnte seinen Augen nicht trauen. Das war zu früh, überlegte er bei sich. Er war doch erst dreiundzwanzig Jahre alt und immer der Meinung gewesen, die besten Jahre lägen noch vor ihm. Wo waren diese Jahre nun geblieben? Er musste sie wohl verschlafen haben. John schlief nun mal gerne, lang und ausgiebig, aber dies hier war nicht mehr in Ordnung. War er etwa in der Zukunft aufgewacht? Befand er sich in einer düstren Episode der Twilight Zone**?

Doch vielleicht interpretierte John auch zufiel in diese Sache. Man sollte aus einem einzelnen Haar kein Toupet machen.

Am nächsten Abend waren John und seine Frau bei Freunden zu Gast und es machten einige Fotografien die Runde, für die auch John posiert hatte. Die Bilder waren sicher nicht in den günstigsten Momenten aufgenommen worden und keiner der Fotografierten kam auf ihnen gut weg. Doch für Johns ohnehin angeschlagenen Gemütszustand waren sie verheerend. Mit stockendem Atem entdeckte John auf einem der Bilder eine Kleinigkeit ,die ihm zuvor immer entgangen war. Ein Schauer lief ihm kalt den Rücken herunter. Er erkannte nicht etwa mehr auf dem Bild als eigentlich sein dürfte, sondern eher die Abwesenheit einer Kleinigkeit. Obwohl in Johns Augen, besagte Kleinigkeit, gewaltig anmutete. Wo waren Johns Haare geblieben? Es war nicht so, dass sein Hinterkopf kahl gewesen wäre, doch eine drohende Halbglatze zeichnete sich so deutlich ab, wie der Rotweinfleck auf dem weißen Tischtuch unter Johns Glas.

Dies war der Beweis: John wurde alt.

Eine tragische Melodie erklang im Hintergrund, die Johns Laune nicht gerade aufbesserte.

Er bat seine Freunde das Radio auszuschalten und die Melodie verklang.

„Ist alles in Ordnung mit dir, Schatz?“, erkundigte sich Johns Gemahlin.

„Ja, alles bestens.“, log John.

Am nächsten Tag stellte John seinen Frisör Rene zur Rede.

„Ich hielt es eigentlich nicht für sonderlich erwähnenswert.“, meinte Rene.

„Du hast es gewusst?“, staunte John mit Entsetzten.

„Jeder der Augen in Kopf hat, wusste es.“, frotzelte Johns Bruder, der ihm Rene empfohlen hatte.

„Es ist nicht so schlimm wie es scheint.“, besänftigte Rene.

„Nicht so schlimm? Mir fallen die Haare aus! Ich sehe bald wie Meister Proper aus!“, verzweifelte John.

„Was regst du dich so auf? Dir bleiben immer noch die grauen Haare.“, lächelte Johns Bruder schelmisch. „Kämm sie dir doch einfach über die Glatze.“

Johns Frau konnte ihren Augen nicht trauen als ihr Mann frisch vom Frisör nach Hause kam.

„Was ist mit deinen Haaren geschehen?“

„Ich habe mir eine Glatze schneiden lassen.“, berichtete John. „Das ist die einzige Frisur für die ich noch genügend Haare habe. So sieht keiner meine lauernde Halbglatze.“

„Du hast dir sämtliche Haar abrasieren lassen, weil du Angst hattest deine Haar zu verlieren?“, wollte Johns Gattin bestätigt wissen.

„Ähm. Ja!“

So ausgedrückt klang dieser Plan plötzlich gar nicht mehr so gut, wie noch kurz zuvor im Frisiersalon.

„Auf jeden Fall kann man so kein graues Haar mehr sehen.“, stellte John richtig.

„Wo du es gerade erwähnst, ich habe das Geheimnis um dein graues Haar gelöst.“

John Frau reichte ihrem Mann einen kleinen Haarballen.

„Die hab ich auf deinem Kopfpolster gefunden.“

„Hab ich die etwa alle verloren!“, stakste John entsetzt.

„Nein, Schatz. Der Kater hat auf deinem Polster geschlafen und er haart.“

John dämmerte es langsam. Er blickte auf seinen weiß-grauen Perserkater hinunter, der unschuldig und hungrig zu ihm aufblickte.

„Du meinst das Haar war von ihm?“

Johns Frau nickte lächelnd. Mit erzwungener Ruhe trat John abermals vor den Spiegel. Er betrachtete sich eine Zeit lang und befand, das ihm die neue Frisur oder besser die Abwesenheit jeglicher Frisur, gar nicht so schlecht stand. Sie machte ihn jünger, hoffte er zumindest, und alles was ihn jünger machen könnte, war ihm nun sehr willkommen.



* Outer Limits - Die unbekannte Dimension: Bizarre Science Ficton Fernsehsendung.

** Twilight Zone – Ebenfalls eine bizarre Science Ficton Fernsehserie aus früheren Tagen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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