Matthias Wenger

Wege und Waisen Kapitel 1


Durch das Gebüsch starrten wir
auf jene
die uns an andere Zeiten
erinnerten
und sagten, dass alle Hoffnung
für immer
entschwunden war...
Wir hörten Elfengesang und
Wasserrauschen
Was einst war, ist nun vorbei
all das Blut...
all das Verlangen und der
Kummer, der herrschte
und die Gefuehle, die man greifen
konnte
sind nicht mehr...
für immer...
Wir sind nicht gestorben...
wir haben nie gelebt


(Burzum- Was einst war)


Kapitel 1

Rundumblick. Aus Liebe zu Elsi. Licht schwindet.

Die Hügel über dem Fluß Vanten, der die natürliche Grenze zwischen dem Königreich Westenfels und den Wilden Grenzlanden bildete, waren ein ruhiger Ort. Selten verirrte sich ein Wanderer in den kältesten Tagen des Winters hierher, in jene rauhe und unbedeutende Gegend, welche von allen Göttern verlassen zu sein schien.
Grimbart, der alte Dachs, der seinen Bau am Fuße eines der Hügel gegraben hatte, streckte seine Schnauze in den kalten Wind hinaus. Anders als viele der anderen Tiere in dieser Gegend hielt er keinen Winterschlaf. Sogar hier in dieser wenig baumbestandenen Ödnis fand er genug Freßbares. Artgenossen gab es keine, und das gefiel dem alten Dachs gemäß seiner Natur. Mürrisch trat er also aus dem Bau, ging ein paar Schritte... und erstarrte.
Ein seltsamer Geruch hatte ihn einhalten lassen. Es roch ziemlich abscheulich nach den Viechern, die die Zweibeiner nutzten, um schneller voranzukommen. Das waren keine intelligenten Tiere, so wie der Dachs. Grimbart ging diesen Ungeheuern ohne Gehirn lieber aus dem Weg. Die Gesellschaft von Menschen oder Zwergen, die in dieser Gegend ab und zu (vor allem wenn die Straßen wieder schneefrei wurden) herumreisten, mied er genau so sehr.
Tatsächlich, von Süden, von den Grenzlanden her, näherte sich ein Pferd. Der Dachs schüttelte verwundert seinen Kopf hin und her. Das war kein gewöhnliches Pferd. Dieses Exemplar schien viel kleiner und auch etwas fetter zu sein. Egal, damit wollte Grimbart, der griesgrämige Einzelgänger, nichts zu tun haben. Der Morgen fing schlecht an, also trottete er in seine Erdhöhle zurück. Pferde waren schlimmer als Wölfe oder Bären, denn sie brachten die Menschen mit.
Nun kauerte Grimbart wieder in seinem trauten Heim, aber ganz konnte er seine Neugier doch nicht bezwingen. Er reckte also seine geruchsempfindliche Schnauze in den Winterwind hinaus, seine Augen spähten zu den seltsamen Neuankömmlingen hinüber.
Es war ein Esel, der langsamen Schrittes immer näher kam. Darauf saß ein alter Zwerg. Ein Weißbart, dachte der Dachs. Auch sein Reittier sah nicht mehr gerade jung und schon ziemlich mitgenommen aus. Es war für die beiden wohl eine lange Reise gewesen.

Der Dachs war müde, wie in letzter Zeit oft. Das Licht schien immer mehr zu schwinden, sein Blick war lange nicht mehr klar gewesen. Er hatte viele Winter erlebt, doch noch keiner war so kalt und trostlos gewesen. Der Morgen hatte trist begonnen, also zog der Dachs sich weiter in sein Heim zurück, um zu schlafen. Das Bedürfnis nach Ruhe war ihm mit der Zeit größer geworden als der Hunger. In der tröstlichen Dunkelheit versank er in einen traumlosen Schlaf.

Hätte Grimbart die Neuankömmlinge weiter in Augenschein genommen, hätte er etwas sehr Ungewöhnliches bemerkt.
Die meisten Reiter pflegten, die Hügel in scharfem Trab zu erklimmen, was für die meisten Pferde nicht wirklich eine große Anstrengung bedeutete. Dabei richteten die Reiter zumeist ihren Blick auf das sie umgebende Land, oder auf den Boden, um Hindernissen auszuweichen.
Der alte Zwerg aber sah die ganze Zeit nach unten. Es schien, als spräche er mit seinem Reittier. Dauernd kraulte er mit seiner schwieligen Hand den Kopf des alten Esels und murmelte vor sich hin. Und als er am Fuß des Hanges ankam, stieg er sogar ab.
Er führte den Esel zu Fuß weiter.
Ortwin Steinsammler, der weißbärtige Zwerg aus fernen Landen, liebte sein Reittier beinahe genau so sehr wie seine zwei Söhne. Nun, da er merkte, wie der Ritt das arme alte Tier ermüdet hatte, konnte er nicht anders, als seinem tierischen Begleiter die Strapazen abzunehmen.
"Weisst du, Elsi", murmelte er, als er neben der alten Eselin hertrottete, "wir haben es bald hinter uns. In drei Tagen werde ich neben König Eilon sitzen und seinen roten Elfenwein kosten. Wir werden vorm Kamin sitzen, er wird mir von seinen Plänen erzählen. Ja  seine Pläne... weisst du Elsi, deswegen sind wir hier..."
Die Eselin schloss ihre Augen und erlaubte sich einen kurzen, wehmütigen Gedanken an zu Hause. Dort war sie stets mit frischem Heu und angenehmen Stallgenossen umgeben gewesen.
Die Reise war schrecklich.
Zugige Ställe, verschimmeltes Stroh, verschneite Wege... dies war nicht die rechte Zeit zum reisen.
Bald waren die beiden Gefährten oben angekommen. Da leichter Schneefall eingesetzt hatte, war die Aussicht nach Norden hin schlecht, über den Fluß hinüber. Den würden die beiden auf einer schäbigen Steinbrücke ein Stück flußabwärts überwinden können. Doch der Zwerg blieb stehen, sah nach Norden, obwohl es nicht viel zu sehen gab. Auch Elsi sah in diese Richtung, da sie sich fragte, was Ortwin innerlich bewegte, dass er nun innegehalten hatte.
"Elsi, ist es nicht so, dass sich einiges verändert hat, seit wir das letzte Mal hier waren? Hast du das nicht bemerkt? In den Orten, durch die wir gezogen sind?"
Elsi schnaubte, um zu zeigen, dass sie nicht verstand, worauf der Zwerg anspielte.
"In den Straßen, meine ich.  Kaum Bettler. Keine Schlaglöcher. In jedem Bauernhaus sind genug Brennholz und Vorräte vorhanden.
Gesunde Kinder. All das."
Der Zwerg streichelte Elsi über die Flanke. "Eilon hat aus Westenfels und den Grenzlanden ein besseres Land gemacht. Er hat soviel geschafft, und das mit seinen gerade mal zwanzig Lenzen."
Das stimmte. Elsi hatte einmal, vor zehn Jahren, den König gesehen, als er ein Kind war. Damals war Eilon mit seinem Vater in der Heimat von Ortwin gewesen. Eilon hatte, nicht, wie man es von einem Königssohn erwartete, mit Holzschwertern trainiert oder war durch die Wälder getobt. Nein, er hatte sich rührend um die kranke Tochter eines Zwergenschmiedes gekümmert, hatte ihr Gute-Nacht Geschichten vorgelesen, die er selbst spontan ersonnen hatte. Das arme Mädchen war an den Pocken erkrankt, eine Krankheit, welche die Menschheit über die Zwergenbingen gebracht hatte. Als das Mädchen schließlich weinend gestorben war, hatte Eilon mit tränenden Augen in der Ecke der Kammer gesessen.
Das würde ein guter König werden, sagten die gewöhnlichen Leute daraufhin.
Das würde ein schlechter König werden, sagte die Eskorte der Krieger, die den König und seinen Sohn begleitet hatten.
Das würde ein interessanter König werden, hatte Ortwin damals gedacht.
Nun, zehn Jahre später (was für den 140jährigen Zwerg keine große Zeitspanne war), würden Elsi und Ortwin den "interessanten" Menschen wiedersehen. Er war seit ein paar Jahren der Herrscher über Westenfels, seit sein Vater in einer grausamen Schlacht gegen die Vandringer gefallen war. Der Vater war ein gestrenger Herrscher gewesen, der viel von seinen Untertanen verlangt hatte, doch war er stets bereit gewesen, das gleiche zu geben und ebenso hart zu arbeiten. Vom Sohn versprach man sich nun viel, und er hatte alle Erwartungen erfüllt. Das Volk liebte und achtete ihn, so wie er sein Volk liebte.
Doch Ortwins Züge hatten sich in Zweifel gehüllt. Langsam schweifte sein Blick über den Fluß, in Richtung der Hauptstadt.
"Elsi, es tut mir leid, dass ich das tun muss, was ich tun muss. Ich werde Eilons Wein genießen und den warmen Platz an seinem Kamin. Aber ich fürchte, es wird sich ein Schatten zwischen uns legen."
Unwillkürlich spähte er nach Osten. Dort lang Vandring, ein Land, dessen König, glaubte man den Gerüchten, das vollkommene Gegenteil von Eilon darzustellen schien. Dort gab es Bettler auf den Straßen, viel zu viele.
Der Zwerg stieg unvermittelt wieder auf sein Reittier und trieb es an. Alle Zärtlichkeit und Vorsicht, welche er der alten Eselin zuteil werden ließ, schienen vergessen, als er eilig die andere Seite des Hügels hinabtrabte, den Fluten der Vanten entgegen.

Das Licht der Sonne erstarb, als dichte weiße Wolken, die Schnee aus dem Norden mitgebracht hatten, das gleißende Antlitz verdunkelten. An jenem Tag erwachte auch Grimbart nicht mehr, denn sein Körper hatte die Mühsal dieses Lebens gemeistert und gab seinen Lebenshauch auf.
An jenem Tag starb ein König in Vandring.






 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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