Matthias Wenger

Wege und Waisen Kapitel 2





Kapitel 2

Hoffnung. Kaminfeuer. Die endlose Trauer


Ortwin hatte Recht behalten.
Innerhalb von drei Tagen war er mit seiner Gefährtin in der Hauptstadt von Westenfels angekommen und hatte auf dem Weg keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Räuberbanden und Wegelagerer gab es kaum mehr, Eilon hatte seine Ranger und Soldaten gut im Griff.
Der Schnee war weitergezogen und hatte eine gute Reisegeschwindigkeit auf den gut erhaltenen Straßen ermöglicht.
"Bald, Elsi", hatte Ortwin immer wieder gemurmelt, "bald hast du wieder gutes Heu zu fressen, wie zu Hause in der Binge!"
Und ich, fügte er im Stillen hinzu, habe einen König zu belehren.

Eilon war wütend. Er ließ es sich anfangs nicht anmerken.
Der zwanzigjährige blonde Hüne saß auf einem gepolsterten Stuhl vor dem gemauerten Kamin im Gästezimmer des Burgtrakts, ihm gegenüber hatte der weißbärtige Zwerg aus dem Süden Platz genommen, der den Elfenwein sichtlich genoß und schon eine erschreckend große Menge davon zu sich genommen hatte. Sein Blick aber war klar, als er den jungen Menschling fixierte.
Das Gespräch hatte für den jungen König eine Wendung genommen, die diesem gar nicht behagte. Er hatte auch überhaupt nicht damit gerechnet, vor allem nicht von dieser Seite.
Er schwieg eine Minute lang und musterte seinen alten Gefährten aus Kindertagen. Langsam erhob er sich. Er dreht sich zu dem Wandteppich um, der eine Szene aus dem Götterhimmel der Menschen darstellte, die Ortwin nichts sagte.
"Wennart und Lylein, das göttliche Liebespaar." Theatralisch deutete Eilon auf die wohlgestickten Figuren. "Beide kämpften im ersten Krieg der Götter gegen die Götter auf Seiten der Menschheit. Für das Gute aller Völker, wie es in der Mythologie heisst. Als Wennart in Menschengestalt tödlich verwundet wurde, war für ihn kein Platz im Götterhimmel, da ihm die anderen Götter feindlich gesinnt waren. Er wurde von einer unbekannten Macht in ein anderes, fremdes Paradies aufgenommen. Während Lylein zurück in die Himmel fand, fristet er dort auf ewig sein Dasein. Die beiden sind dazu verdammt, sich bis in alle Ewigkeit nie wieder zu sehen. Doch es heisst, Wennart träumt jede Nacht davon, dass Lylein über die Himmel seines Paradieses tanzt, und dann streckt er seine Hände aus in Richtung der Sterne. Am Morgen erwacht er einsam und verlassen, und so ist es bin in alle Ewigkeit."
Ruckartig drehte sich Eilon zu dem Zwerg um. "Ich bin im Glauben an Wennarts Opfer aufgewachsen und dazu erzogen worden, für das Gute aller Völker zu kämpfen. Meinem Reich geht es gut. Ich behandle meine Untertanen, wie ich selbst behandelt werden möchte. Ich will die Kinder lachen sehen, ein Reich des Friedens und des Wohlstands erhalten. Aber das reicht nun nicht mehr."
Ortwin seufzte. Er hatte seine Argumente dargelegt, mehr blieb ihm nicht zu sagen.
Von der nächsten Aktion Eilons wurde der alte Zwerg aber derart überrascht, dass er beinahe sein Glas fallen gelassen hätte.
Der junge Mann hatte sein Glas Elfenwein mit voller Wucht gegen den Kamin geworfen. Splitter regneten ins Feuer und auf den Boden.
"Die Königswürde. Ich habe mich ihrer lange nicht gewachsen gefühlt! Warum steht es ausgerechnet mir zu, diese zu tragen? Ein Recht der Abstammung... pah. Ich habe nichts getan um mir diese zu verdienen. Warum ich und nicht der hart arbeitende Bauer aus Büttlersinn, der mehr leistet als alle verdammten Adligen auf meiner Burg zusammen?"
Ortwin seufzte erneut. "Die Königswürde ist eine Last, für den, der sich das Leiden seines Volkes zu Herzen nimmt. Und das tust du. Das ist aber nicht der Grund..."
"Es reicht nicht  mehr, Ortwin. Es reicht nicht, hier zu sitzen und zu regieren und die Augen vor der Welt zu verschließen. Ich bin gut zu  meinen Untertanen, aber ich habe die Macht, mehr zu tun. Ist es nicht eine Sünde gegen die Götter und alles Gute, wenn ich nichtstuend die Hände in den Schoß lege..."
"Du hast sie nicht retten können". Ortwin nahm noch einen großen Schluck.
"Häh?? Wie jetzt?" Damit war Eilon aus dem Konzept.
"Das Zwergenmädchen. Damals. Du hast ihre letzten Tage wärmer gemacht. Das ist eines Königs mehr als würdig."
"Ganz ehrlich, an sie denke ich schon lange nicht mehr. Das habe ich für viele Menschen getan. Ich liebe mein Volk, und ich liebe mein Land. Also komm mir bitte nicht mit diesen alten sentimentalen Geschichten, alter Zwerg..."
Er schenkte dem alten Zwergen nach. Trotz seines harschen Tones hatte er den alten Weißbart lieb gewonnen.
Eilon blickte nach innen. "Ich habe sehr früh gelernt, was Gnade ist. Was Liebe ist. Die Schwachheit unseres Fleisches lässt uns nach Liebe suchen, doch wo jeder sucht, kann keiner finden. Ich habe dem Mädchen das gegeben, was ich selber zu erlangen hoffte. Und das war der einzige Weg, es tatsächlich zu finden. Ach, ich rede Unsinn... "
Er lächelte den Zwerg an und nahm wieder Platz. Plötzlich war er wieder so ruhig wie vorher. Fürwahr, ein interessanter König, dachte Ortwin.
Eilon nahm den Faden wieder auf. "Die Königswürde ist eine Last, für den, der sich das Leiden seines Volkes zu Herzen nimmt, hast du gesagt. So ist es. Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht wegen irgend etwas zutiefst betrübt bin. Sei es ein sterbendes Kind in einem Bauerndorf oder ein Scharmützel an der Grenze, bei dem wieder gute Männer abgeschlachtet wurden. Einen guten König und Herrscher erkennt man daran, dass er früh altert ob all der Unbill seiner Verantwortung.
Aber jetzt ist die Zeit zu handeln. Die Menschen in Vandring leiden unter schrecklichen Bedingungen, und da ich die Macht habe, dies zu ändern..."
"Da du die Macht hast, einen Krieg zu beginnen..." unterbrach Ortwin.
"Ein Opfer, für uns, das notwendig ist. Für ein besseres Leben für uns und unsere Nachbarn. Was ist das für eine feige Tat, den Tyrannen gewähren zu lassen, wenn man die Waffe hat ihn zu beseitigen?"
"Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Die Welt ist kein Schachbrett, Eilon. Du bist jung, aber unerfahren."
Eilon grinste zynisch. Die Direktheit der Zwerge war zwar unangenehm, aber Eilon mochte diese Ehrlichkeit.
"Ich bin sehr jung für einen König. Aber ich habe doch die Mittel und Wege, um abschätzen zu können, welche Aktion Erfolg zeitigt und welche nicht. Vandring habe ich ihn zwei Wochen überrannt. Es wird Opfer geben, aber in geringer Zahl. Das weisst du so gut wie ich, Ortwin."
Ortwin stand seufzend auf. Er sah aus dem Glasfenster auf die verschneite Winterlandschaft auf die Stadt.
Graue Straßen, weißgraue Felder. Dunkelgraue Wolken. So viele Grautöne.
Eilon unternahm einen letzten Versuch. "Ich lebe in dem Glauben, dass man nur das tun kann, was man selber für gut hält. Der Rest liegt in den Händen der Götter. Mehr als seinem Herzen zu folgen, voller Hoffnung, kann auch ein König nicht tun. Das Licht wird uns beschützen, wenn wir tun, was wir tun müssen. Für das Gute aller Völker." Er drehte sich wieder zu der Szene mit Wennart und Lylein um.

Später in der Nacht lag Ortwin (nachdem er nochmal nach Elsi gesehen hatte, welche im Stall einen prächtigen Esel aus adeligem Besitz kennengelernt hatte und das beste Heu seit Monaten fraß) wach auf seinem Bett und dachte nach.
Eilon sah eine gute Zukunft für die Menschen von Vandring voraus. Ortwin sah die kommende Zeit in Blut und Feuer getränkt.
Eilon meinte, die Bestie freilassen und dann zügeln zu können. Ortwin wusste, dass Bestien niemals Schoßhunde werden konnten. Die Bestie namens Krieg konnte man nicht einmal töten. Sie würde nur für eine gewisse Zeit verstummen.
Er wünschte sich zurück in die Bingen und weg von der Welt der Menschen, die nicht sicher und einfach war.

Eilon sah auf den Wandteppich. Wennart und Lylein. Für immer getrennt, dazu verdammt, einander auch in der Ewigkeit nie wieder zu sehen.
Er wusste nicht einmal, weshalb ihn diese Geschichte so gefangen nahm. Es war keine angenehme, aber sie berührte ihn auf eine seltsame Art und Weise.
Er sah seinen Vater auf dem Schlachtfeld, blutend auf dem Boden robbend, den Namen der Vandringer verfluchend, während ihm Eingeweide aus dem Bauch hingen. Er sah das Zwergenmädchen sterben, in seinen Armen.
Tu Gutes und erwarte Gutes. Mehr kannst du nicht tun.
Eilon ging ins Bett, aber der Schlaf kam nicht über ihn. Eilon weinte, wie beinahe jeden Tag. Schluchzend versank er in einem Traum, in dem schwarze Schatten ihn verhöhnten, dass er nicht stark genug sei, ein Mädchen zu retten.




Das Lied von Wennart

Sonne der Schlaflosen, erwache
Tag um Tag für die Ewigkeit
ersehnte Hoffnung entschwindet, wird Staub
ein Tanz der nächtens
die Bahn der Sterne ziert
und die Erinnerung an
den Abend des Abschieds
verwirrt deinen Geist
lässt dich leiden
und doch kein Tod, kein Ende
Sonne der Schlaflosen, versinke
Nacht der fruchtlosen Hoffnung, erwache
Tag um Tag, für die Ewigkeit
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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