Iris Klinge

In Memoriam Ariana


Es gibt Menschen in meinem Leben, deren Wege sich mehrfach mit den meinen gekreuzt haben.

Ariana war eine wunderbare, tapfere  Frau, der vom Schicksal übel mitgespielt wurde. Hier ist ihre Geschichte.

Sie war eine Brasilianerin, verheiratet mit einem australischen Diplomat. Wir lernten uns kennen, als sie und ihr Mann ein Ehepaar suchten, mit denen sie einmal in der Woche Bridge spielen konnten. Schon bald wurden diese Bridge-Abende zur festen Gewohnheit in unserem Kalender.
Was uns beide Frauen störte, war die Gewohnheit des Australiers, meinen Mann zum Wett-Trinken zu animieren. Beide Männer spielten ein blödes Spiel, in dem sie abwechselnd ein Glas Alkohol leerten und dann unter dem Tisch durch krabbelten, um zum nächsten Glas zu greifen. Der Australier gewann immer, wenn mein Mann irgendwann aufgab.

Dann passierte etwas völlig Unerwartetes. An einem Wochenende bekam Arianas Ehemann fürchterliche Zahnschmerzen und musste einen Notdienst aufsuchen. Die junge Zahnärztin war wohl unwiderstehlich, denn schon kurze Zeit später ließ der Diplomat seine Frau und zwei kleine Kinder im Stich, um mit der neuen Flamme Deutschland zu verlassen. Die beiden ließen sich in Mexico nieder, wo sie ihrem Beruf weiter nachging, er sich jedoch auf der faulen Haut ausruhte.

Ariana war verzweifelt. Sie hatte zum Glück noch das gemeinsame Haus in Canberra, wohin sie mit den beiden Kleinen zurückkehrte. Die folgenden Jahre schlug sie sich und die Kinder mit Französisch Unterricht durch und war stolz, dass schließlich beide studieren konnten. Nach dem Examen fanden beide eine Anstellung in einer anderen Stadt, und ihre Mutter blieb traurig allein zurück.

Etwa zur selben Zeit war ich in Deutschland auf Heimatbesuch blätterte im lokalen Telefonbuch nach einer Nummer, die ich verloren hatte. Da stockte mir plötzlich der Atem, denn ich stieß auf den Namen der Zahnärztin, die erneut eine Praxis in Bonn eröffnet hatte.
Ich wollte sie kennen lernen und meldete mich bei ihr an, da ich gerade eine schwierige Zahnbehandlung beginnen musste. Diese dauerte ziemlich lang, und wir kamen ins Gespräch über Privates, ohne dass sie wusste, was in der Vergangenheit passiert war und dass ich die Freundin der verlassenen Frau ihres neuen Ehemanns war.

Sie klagte mir ihr Leid. Inzwischen hatten die beiden ein Kind bekommen, doch der Mann wollte einfach nichts arbeiten und trank immer mehr und mehr.

Ich berichtete Ariana über meine neue Bekanntschaft mit der Zahnärztin, doch sie war überhaupt nicht begeistert, empfand es als Verrat an unserer Freundschaft. Der Kontakt zu ihr brach abrupt ab.

Dann wurde ich zu einem Wohnungstausch nach Australien eingeladen und beschloss, bei dieser Gelegenheit auch meine ehemalige Freundin zu besuchen. Ich fragte an, ob wir uns sehen könnten. Sie antwortete positiv, und so reiste ich mit dem Zug zu ihr nach Canberra.

Am ersten Abend wollte sie mir die Stadt zeigen und die vielen Kängurus, die in den Parks herumhoppelten. Am Steuer ihres alten, klapprigen Autos  fuhr  sie zickzack durch die Straßen. Ich war entsetzt und stellte fest, dass sie stark unter Alkohol Einfluss stand. Als ich sie darauf ansprach, wurde sie sehr wütend und leugnete jeglichen Genuss dieser Droge ab.

Während der folgenden Tage spitzte sich die Lage weiter zu, weil ich mich weigerte, ihr Spiel mitzumachen. Als ich erwähnte, ich wolle ihre Kinder informieren, dass ihre Mutter aus Einsamkeit zur Alkoholikerin geworden war, befahl sie mir, umgehend meine Sachen packen und den nächsten Zug zurück nach Brisbane zu nehmen.

Wir trennten uns im Streit.

Ein Jahr später schickten mir die Kinder die Todesanzeige ihrer Mutter. Ich war geschockt, denn die ganze Tragik dieser einst so lebensfrohen, kämpferischen Frau wurde mir schlagartig bewusst, und ich überlegte, ob ich ihr nicht auf andere Weise hätte helfen können als durch meine Vorwürfe.

Leider blieb mein Brief an die Kinder unbeantwortet. Ich bin bis heute im Ungewissen, was die Todesursache war,  und hoffe nur, dass sie sich nicht aus Verzweiflung das Leben genommen hat.

Über eine Bekannte erfuhr ich später, dass der Ehemann sein unüberlegtes Handeln und die Flucht nach Mexico bereut hatte und zu seiner ersten Frau zurück wollte.    -Aber es war zu spät.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.01.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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