Lilly Zappe

Helpless Alex

Es war eine kalte Novembernacht.
Er war leicht angetrunken, sie ahnungslos.
Er griff sie auf der Straße auf und zerrte sie in seinen Wagen.
Er band ihre Hände auf ihrem Rücken zusammen und knebelte sie.
Sie hatte Angst.
Er raste, achtete nicht auf den Verkehr.
Die Reifen quietschten, als er in die Garage fuhr.
Er zog sie aus dem Auto, schubste sie die Kellertreppe hinunter.
Sie stolperte und schlug sich ihre Knie auf.
Er zitterte.
Sie wollte das nicht wahr haben.
Es war kalt.
Er trat auf sie ein.
Sie rührte sich nicht.
Sie hatte Angst.
Er ging die Treppe hoch, ließ sie allein im kalten dunklen Keller.
Im Flur stand er vor dem Spiegel.
Er wischte sich mit den Händen über sein Gesicht.
Er schüttelte den Kopf, spürte Übelkeit in sich aufsteigen.
Er legte sich auf das Sofa im Wohnzimmer.
Er schloss die Augen und schlief ein.
Sie hatte Angst.
Sie lag auf dem kalten Boden.
Sie riss ihre Augen auf, in der Dunkelheit erblindete sie.
Die Fesseln scheuerten an ihren Handgelenken.
Sie wollte aufwachen, doch sie war wach.
Sie schuchzte, sie weinte.
Sie weinte sich in den Schlaf.

Als sie am nächsten Morgen ihre Augen öffnete, schlief sie noch immer.
Ein kahler Raum.
Grau und leer.
Durch das kleine Fenster drangen warme Sonnenstrahlen und streichelten ihr
Gesicht.
Sie richtete sich auf, lehnte sich gegen die Wand.
Der dunkle Betonboden war fleckig.
Ihre Handgelenke schmerzten.
Die Fesseln hatten sich in ihre Haut gegruben.
Die Tür knarrte.
Sie schrak zusammen.
Ihr Herz raste.
Sie hatte Angst.
Er kam die Treppe hinunter.
Er sah sie an, kniete sich neben sie.
Sie war starr vor Schreck
Sie konnte ihn nicht ansehen.
Sie schaute weg.
Sie wollte aufwachen.
Er hielt ein Glas in seiner Hand.
"Sieh mich an!"
Er zog sie an den Haaren.
Sie blickte ihn an.
Sie konnte ihn nicht ertragen.
"Wenn du mir versprichst, nicht zu schreien, nehme ich dir das Ding aus dem
Mund..."
Er stellte das Glas auf den Boden.
"Versprichst du es?"
Er blickte sie an.
Sie hatte Angst.
Sie nickte fast unscheinbar.
Er befreite sie von ihrem Knebel.
"Hier, trink!"
Er hielt ihr das Glas hin.
Sie sah das Glas an.
Sie sah ihn an.
"Trink schon, es ist nur Wasser!"
Er setzte das Glas an ihre Lippen und sie trank.
Er stellte das leere Glas auf den Boden.
"Wwas... was hast du mit mir vor?"
Sie stotterte.
Er blickte sie an.
"Das werde ich dir nicht sagen."
"Wwirst du... wirst du mich umbringen?"
Sie hatte Angst.
Sie wollte seinen unerträglichen Blicken ausweichen, doch sie konnte sich nicht
bewegen.
Er sah zu dem kleinen Fenster.
Dann setzte er sich neben sie.
Ihre Schultern berührten einander.
Sie zuckte zusammen.
Er zog seine Beine an und stützte seinen Kopf auf seine Hände.
"Bitte... lass mich gehen. Bitte, ich flehe dich an! Bitte. Ich tue alles, was du willst.
Nur lass mich gehen!"
"Nein."
Er hatte eine rauhe tiefe Stimme.
"Bitte!"
"Nein!"

Sein Wort klang laut in die leere Stille des kahlen Raumes.
Sie schrak zusammen, versuchte erneut gegen ihre Tränen anzukämpfen.
Sie schluchzte.
"Oh, Gott... Was... was willst du? Willst du Geld? Ich gebe dir soviel, wie du willst.
Nur... bitte lass mich gehen!"
"Nein, habe ich gesagt. Ich will dein Geld nicht. Ich werde dich nicht gehen lassen!"
"Oh, warum... warum nicht?"
Sie brach in ein Tränenmeer aus.
"Warum?!"
"Hör auf zu heulen!"
"Warum lässt du mich nicht..."
"Weil du reden wirst, verdammt!"
Er war wütend.
Sie hatte Angst.
"Nein, nein! Ich werde nichts sagen. Ich werde niemanden erzählen, was passiert
ist.Ich verspreche dir..."
"Du lügst! Du wirst reden! Du wirst reden, weil du Angst hast!"
"Nein!"
Sie schüttelte den Kopf.
"Doch, wirst du!"
"Mann, du bist ja krank. Du brauchst Hilfe! Du musst dich behandeln lassen!
Willst du dir nicht helfen lassen? Ich könnte dir helfen..."
"Halt`s Maul! Du l¸gst. Dich interessiert es doch gar nicht, was mit mir ist! Du bist so
egoistisch. Du überlegst nur, wie du mich dazu bekommst, dich
freizulassen. Aber warum sollte ich dich gehen lassen? Dummer Mensch."
Er stand auf, stellte sich vor sie.
Er verschrenkte seine Arme.
"Dummer Mensch!"
Er schenkte ihr einen verachtenden Blick.
Er sah von oben auf sie herab.
Sie fühlte sich klein.
Er wirkte mächtig.
"Ich hasse dich!", zischte er.
"Wie kannst du mich hassen? Ich habe dir nichts getan. Du kennst mich doch gar
nicht."
"Ich hasse alle Menschen. Ich hasse sie alle!"
Er zitterte.
Er kniff seine Augen zusammen und biss auf seine Unterlippe.
"Warum?"
Sie sah zu ihm hoch.
"Warum, warum?! Hör auf mit deinem warum!"
Der Zorn entbrannte in ihm.
Sie zuckte bei seinen Worten zusammen.
Sie hatte Angst.
Sie wusste nicht, was er tun würde.
Er kaute weiter auf seiner Unterlippe herum.
Er schmeckte Blut.
Er wischte sich mit dem Handrücken über seinen Mund.
"Dummer Mensch! Man sollte sich schämen, zu dieser Rasse zu gehören! Der
Mensch hält
sich für etwas besonderes, dabei verkörpert er nur die reine Dummheit. Diese
armseligen
Kreaturen! Ein Unfall der Schöpfung!"
Sie wusste, dass er verrückt war.
"Bitte, beruhige dich doch wieder!"
"Was?! Ich soll mich beruhigen, ja?! Denkst du wirklich, dass ich mir von so einem
niederen Wesen, wie dir, etwas sagen lasse?!"
Er schrie so laut, dass sie sich die Ohren zu halten wollte, doch die Fesseln hielten
sie.
"Sei doch vernünftig! Hast du deinen Verstand verloren? Du bist selbst ein
Mensch!"
Sie sah, wie er sein Gesicht verzog, wieder auf seiner Lippe kaute.
Sie wünschte, sie hätte nie ihren Mund aufgemacht.
"Ich hasse dich! Du hast ja keine Ahnung, verdammt!"
Er packte sie an ihren Schultern und schüttelte sie.
Sie schluchzte.
Sie wollte aufwachen.
Alles um sie herum war verschwommen.
Sie spürte seinen festen Griff, jeden einzelnen Finger von ihm.
Er schüttelte sie und schüttelte sie.
Sie hatte Angst.
"Du hast keine Ahnung!", schrie er sie an.
Sie überlegte, was sie verbrochen hatte.
Das Verbrechen lag anderswo.
Sie befand sich mittendrin.
Sie war doch Opfer.
Hilfloses Opfer.
Ihm völlig ausgeliefert.
Er warf sie zu Boden.
Sie schlug mit dem Kopf auf.
Ihr wurde schwarz vor Augen.
Er stand nur da, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand.
Er atmete schwer und setzte sich.
Er blickte an die Decke.
Er kniff seine Augen zusammen.
Übelkeit stieg in ihm auf.
Er sah zu ihr, wie sie dort lag.
Er wusste, dass mit ihm etwas nicht stimmte.
Er konnte nicht mehr klar denken.
Alle hatten sie gesagt, dass er anders wäre.
Dass er verrückt wäre?!
Er fühlte sich als Opfer.
Er rutschte auf Knien zu ihr.
Er strich mit der Hand über ihr Haar, beugte sich über sie.
Er zitterte.
Er rüttelte an ihr.
Sie schlug die Augen auf.
Sie war wach.
Ihr Kopf schmerzte.
Wieder begann sie zu schluchzen.
Er legte seinen Kopf in den Nacken.
Langsam richtete sie sich auf.
Stumm saß sie da, starrte ihn an.
Blut lief aus ihrer Nase.
Er warf ihr erneut einen verachtenden Blick zu.
Er zischte etwas Unverständliches.
Er rückte dichter an sie heran.
So dicht, dass seine Stirn ihre Stirn berührte.
Sie bewegte sich nicht.
Sie war gelehmt vor Angst.
Er flüsterte etwas.
Dann leckte er das Blut, welches aus ihrer Nase lief.
Sie zweifelte an seiner Menschlichkeit.
Er war aus der Art geschlagen, abartig, widerlich.
Ein Tier.
Er legte seine Hand auf seinen Kopf, drückte ihn herunter.
Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken.
"Dummer Mensch.", sagte er leise.
Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter.
"Dummer Mensch."
Er musste lachen.
Er wusste nicht warum.
Er wusste, dass es unpassend war.
Sein eigenes Lachen klang ihm femd.
Er stand neben sich.
Er kam nicht mehr zurück.
Wirre Gedankenfetzen schwirrten in seinem Kopf herum.
Er biss ihr in die Schulter.
Sie spürte, wie sich seine Zähne immer tiefer in ihre Haut gruben.
Er wusste nicht mehr, was er tat.
Er war in seinem rausch gefangen, gefangen in seinem anderen Ich, das er so lange
versucht hatte zu verstecken.
Jetzt liefl er es heraus und hatte die Kontrolle verloren.
Und doch war er er selbst, niemand anderes.
War er durch die anderen verbogen worden, die ihn passend machen wollten, weil
er nicht in ihr Schema passte.
Sie machten sich und ihn zu Opfern.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Seinen wohlverdienten Urlaub hat sich Kommissar Heinz Kelchbrunner anders vorgestellt: Erst stößt er beim Graben in seinem Garten auf menschliche Gebeine, dann beschäftigt ihn ein weitaus aktuellerer Todesfall in seiner freien Zeit: Anna Einarsdóttír wird beim Spaziergang von einem Ast erschlagen – und das ist, wie sich herausstellt, nicht dem stürmischen Wetter geschuldet. Kelchbrunner und seine Kollegin Katharina Juvanic nehmen die Ermittlungen auf. Die Spur führt schließlich nach Island, die Heimat der Toten, und zum geplanten Bau eines Staudammes, der eine wertvolle Naturfläche akut gefährdet. Dass Kelchbrunner von oberster Stelle dorthin beordert wird, um weitere Nachforschungen anzustellen, kommt dem umweltbewussten Kommissar gerade recht. Vielleicht gelingt es ihm, nicht nur Licht ins Dunkel zu bringen, sondern gleichzeitig seine eigenen Schlafstörungen und einen schmerzhaften Verlust zu überwinden. Kaum in Island angekommen, muss er sich jedoch gleich mit störrischen Behörden und verstockten bis feindseligen Einheimischen auseinandersetzen. Es scheint, als sei niemandem hier an der Auflösung des Falles gelegen …

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