Christa Astl
Eine Freundschaftsgeschichte
Günes und Funda sind erst im Frühjahr in unser Land gekommen. Im Herbst müssen beide zur Schule, den Sommer über können sie noch ein wenig Deutsch lernen, meinen ihre Eltern. Die müssen beide arbeiten und die Kinder sind tagsüber allein. Sie gehen durchs Dorf und suchen Freunde.
Ein paar Buben spielen Fußball. Markus schießt den Ball – auf die Straße, aber da steht Günes und köpfelt ihn geschickt zurück. „Komm, spiel mit“, rufen die Buben.
Funda geht allein weiter. Drei Mädchen sitzen unterm Baum und spielen mit den Puppen. Funda schaut zu. Die Mädchen werden ins Haus gerufen. Langsam geht Funda zum Baum. Sie möchte die Puppen ansehen, sie selber bekommt keine. Ihre Eltern halten das für Luxus. Wie echte Babys liegen sie in ihren Wägen. Funda beugt sich hinunter, sie will die Puppen nur streicheln.
Da kommen die drei Mädchen zurück. „Verschwinde“ rufen sie. „Die will unsere Puppen stehlen!“, erzählen sie der Mutter.
Bald heißt es überall: die Türkin stiehlt. . . - Funda bleibt allein, findet keine Freundin.
Nur ein Mensch kennt die Wahrheit. Die alte Frau Jakober vom Haus auf der anderen Straßenseite hat alles gesehen. Sie kann nicht mehr gehen und sitzt im Rollstuhl fast den ganzen Tag am Fenster und schaut zu, was auf der Straße geschieht. Als sie das kleine dunkelhaarige Mädchen wieder einmal allein vorbeigehen sieht, ruft sie es zu sich.
Funda darf sich zu der alten Frau setzen. Sie darf von ihrer früheren Heimat erzählen, von ihrer Großmutter dort und von ihren früheren Freundinnen.
Wenn sie ein Wort nicht richtig ausspricht, hilft ihr Frau Jakober.
Eines Tages bittet die alte Frau: „Bring mir doch die große Schachtel, die unter meinem Bett steht.“ – Die Schachtel ist schwer und nur mit Mühe kann Funda sie zum Rollstuhl hinüber ziehen. Dann darf sie sie öffnen. Funda ist sprachlos: Da drinnen sind Puppen in allen Größen, eine ganze Puppenstube mit kleinen Möbeln, Geschirr und viele Puppenkleider. „Das alles hat meiner Tochter gehört, als diese noch ein kleines Mädchen war. Jetzt wohnt sie weit fort und kann mich nicht einmal mehr besuchen. Du darfst damit spielen sooft du willst.“
Funda ist glücklich. Sie geht fast jeden Tag zu der alten Frau Jakober. Manchmal darf sie auch bei einer Arbeit helfen, bald schon kann sie ganz allein einkaufen gehen. Während der Schulzeit macht sie dort ihre Hausaufgaben und darf dann nach Herzenslust mit den Puppen spielen.
ChA 2009
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.03.2012.
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