Wolfgang Scholmanns

Osterküken



Der Winter war vergessen und das Frühjahr hatte Einzug gehalten. Ostern stand vor der Tür, und wenn man leise und vorsichtig durch Feld, Wald und Wiesen streifte, konnte man hier und dort bunt gekleidete Hasen sehen, die damit beschäftigt waren, Eier zu bemalen. Alle waren mit einem großen Farbkasten, in dem es viele verschiedene Farben gab, ausgestattet. Die Pinsel, die sie zum Auftragen der Farben benötigten, waren von verschiedener Form. Da gab es langstielige, kurzstielige, welche mit dickem und welche mit dünnem Bart. Hört sich lustig an, oder? Mit Bart meint man die feinen Haare, die unten am Pinselstiel befestigt sind.
Der kleine Fritz war das jüngste Hasenkind, das in diesem Jahr an der Ostereierbemalung teilnehmen durfte. Er hatte von seiner Mutter zwei kleine Pinsel und einen Farbkasten bekommen und sollte mal versuchen, ein Ei zu bemalen. Zunächst sah er den älteren Hasen zu. Die hatten große Erfahrung, denn sie machten das schon viele Jahre.
Vom langen Zuschauen wurde der kleine Fritz bald ganz müde. Er schlich zu einem nahegelegenen Bauernhof, fand ein weiches, gemütliches Plätzchen und legte sich nieder. „Nanu, was ist denn das?“, sagte er ganz erschrocken. Er hatte seinen Kopf auf ein Nest mit Eiern gelegt. 
„Die sind noch ganz warm. Das Huhn hat mich bestimmt kommen sehen und ist geflüchtet. Das wollte ich niiiicht.“, rief der kleine Fritz.
„Komm zurück Du liebes Huhn,
ich werd Dir auch bestimmt nichts tun.“,
dichtete der kleine Hasenmann, doch von dem Huhn war weit und breit nichts mehr zu sehen.
„Ich werde die Eier bemalen, dann freut sich das Huhn bestimmt, wenn es nachher wiederkommt.“
Er holte Farben und Pinsel aus seinem kleinen Rucksack und begann damit, die Eier mit bunten Farben zu schmücken. Zwölf Stück waren es, und er brauchte eine ganze Weile, bis sein Kunstwerk vollendet war.
„Das habe ich ganz gut hingekriegt.“, sagte er zu sich und blickte stolz auf das Nest mit den bunten Eiern. Plötzlich bemerkte er, dass in den Eiern etwas klopfte. Dank seiner riesigen Ohren, entging ihm selbst das leiseste Geräusch nicht. Hier und da öffneten sich die Eierschalen und schon bald sah er kleine Schnäbelchen, die bemüht waren, die harten Schalen zu zerpicken. Mit offenem Mund, aufmerksamen Augen und Ohren, beobachtete der kleine Fritz, wie nach und nach aus jedem Ei ein Küken schlüpfte. Dann rannte er ganz aufgeregt zu seiner Mutter und berichtete ihr von seinem Erlebnis. Die Hasenmutter lachte.
„Na warte, ich geh mal mit. Das Huhn ist geflüchtet? Dann wird es auch nicht mehr wiederkommen. Hühner sind noch größere Angsthasen als richtige Hasen.“
Sie packte die frierenden Küken in einen Korb mit Stroh, den sie auf dem Rücken trug, und brachte sie zu den anderen Osterhasen. Alle kümmerten sich liebevoll um die Kleinen, fütterten sie und hielten sie warm. Schon nach einigen Tagen waren sie wunderbar flauschig und liefen den Osterhasen auf Schritt und Tritt hinterher. Mal war eines von ihnen in den Farbkasten geraten und mal hatte ein Geschwisterchen die feinhaarigen Pinselbärte mit seinem Schnäbelchen zerpflückt. Die Osterhasen störte das nicht, sie lachten und hatten Spaß an den kleinen, gelben Wollknäueln. 
Das Osterfest kam, und  die Hasen waren damit beschäftigt, die Osternester mit leckeren Sachen zu füllen. Der kleine Fritz und die zwölf Küken sahen den Großen dabei zu und waren erstaunt darüber, was die Menschenkinder doch alles gerne aßen. Schokolade, Eier und so Sachen waren nichts für den kleinen Hasenmann. Der aß am Liebsten leckere Möhren oder saftiges Gras, wie alle andern Hasen auch. Auch die Küken mochten nichts Süßes. Sie bevorzugten saftige Körner und auch an Salatblättern  pickten sie manchmal herum.
Als am Ostersonntag, nach dem Frühstück, die Kinder des Dorfes ihre Osternester suchten, fanden elf von ihnen jeweils ein gelbes, flauschiges Küken in ihrem Nest vor.
Nanu, aber waren es denn nicht zwölf? Vielleicht hat das eine Küken sich verirrt, oder es hat noch kein Nest gefunden. Also liebe Kinder, falls ihr am Osterfest ein gelbes, flauschiges Küken in Eurem Nest vorfindet, schickt dem kleinen Fritz schnell eine Nachricht, damit er sich keine Sorgen machen muss. 
 
  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.03.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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