Charlotte Sander

Brachial (3)

Eigentlich ist es Thomas nicht wert, auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt zu werden. Das ist mir klar. Doch wie ich hier sitze und an gestern denke, da wird mir bewusst, ich muss all das hier nieder schreiben, bevor ich es vergesse.
Im Moment ist Thomas nicht da – und womit verbringe ich die Zeit? Über ihn zu schreiben… Aber was sollte ich sonst auch tun? Er könnte mich jederzeit anrufen – das Haus ohne ihn zu verlassen, käme mir nie in den Sinn… das Haus zu putzen, dafür fehlt mir die Kraft. Warum ich Zeit habe, zu schreiben? Ich musste mal wieder zum Arzt und wurde für den Rest der Woche krank geschrieben.
 
Vor ziemlich genau einer Woche bin ich an der Nase operiert worden… eine Septum-Begradigung. Gegen ärztlichen Rat habe ich auf Drängen von Thomas das Krankenhaus vorzeitig verlassen. Er meinte, er würde sich nun um mich kümmern; ich solle gefälligst wieder nach Hause kommen. Unter den Schmerzen, die ich gerade hatte, fand ich diese Idee eher irrwitzig, aber was sollte ich machen? Noch während Thomas an meinem Krankenbett saß, musste ich dem behandelnden Arzt mitteilen, dass ich das Krankenhaus verlassen würde. Ich unterschrieb irgendeine Erklärung, dass ich gegen ärztlichen Rat nach Hause ging. Und dann saß ich auch schon im Auto neben Thomas, mit einem Verband an meiner Nase und unerträglichen Schmerzen. Das Einzige, was mich an dieser Situation wirklich glücklich machte, war, dass ich endlich wieder eine gerade Nase hatte und durchatmen konnte. Ich hätte einen Ball gegen die Nase beim Basketballspielen bekommen, hatte ich dem Arzt erzählt… und als er sich meinen Riechkolben näher betrachtet hatte, überwies er mich ins nächste Krankenhaus. Das würde man ohne Weiteres wieder hinbekommen, meinte der. Ja, so war es auch… meine Nase war nun wieder zurecht gerückt und würde schön aussehen, wenn ich diesen Verband gelöst bekäme. Wie sehr ich mich darauf doch gefreut hatte, vor allem nach den Prozeduren, die ich unter örtlicher Betäubung hatte über mich ergehen lassen...
 
Kaum zu Hause angekommen, hatte ich keine Möglichkeit, mich auszuruhen. Ich hatte solche Schmerzen und wollte eigentlich nur schlafen. Doch der Alltag war Programm – und wie sehr ich den normalen Alltag von damals vermisste, brauche ich hier nicht zu erwähnen, nehme ich an.
 
Zu allererst musste ich all meine Sachen, die ich trug und im Krankenhaus dabei gehabt hatte, sofort in die Waschmaschine stecken… sie seien kontaminiert, meinte Thomas, ich dürfe unter keinen Umständen mit irgendwas im Haus in Berührung kommen. So schleppte ich mich mit Sack und Pack in die Waschküche, stopfte meine schmutzige Wäsche hinein und begab mich in die Badewanne. Das gehörte zum alltäglichen Ritual.
 
Wie soll ich das erklären? Wenn ich nun aus der Badewanne käme, wäre ich sauber, dürfte nun auch nur mit sauberen Dingen in Berührung kommen. Dazu gehörten zum Beispiel Handtücher und Utensilien im Bad, die frisch gewaschene Wäsche, die Couch im Wohnzimmer, die Stühle am Esstisch, das Bett im Schlafzimmer. Also durfte ich mich nach dem Baden, bis dass die Wäsche fertig war, nur in diesen Gefilden bewegen. Würde ich irgendwas anderes berühren, als das, was ich gerade aufgezählt hatte, so würde dies damit enden, dass ich unter die Dusche oder gar wieder in die Wanne müsste. Das kam immer darauf an, wie Thomas gerade drauf war.
 
Also setzte ich mich erstmal auf die Couch, in der Hoffnung, der Tag würde schnell vergehen. Tja… wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt, nicht wahr?
Kaum hatte ich mich nieder gelassen, hörte ich schon das Geplärre von oben. Thomas saß wie immer am Rechner, nachdem auch er geduscht hatte – er war ja schließlich vom Krankenhausbesuch kontaminiert… und nun hatte er vom Büro oben natürlich keine Möglichkeit, mich zu überwachen. So schrie er, ich solle hoch kommen.
 
Na, toll, nun würde ich wieder dort rumsitzen, ihm beim Computer spielen zusehen, um danach nochmals duschen zu gehen, da ich ja die Wäsche in den Wäschetrockner machen musste. Würde ich danach wieder ins Büro gehen, würde ich nochmals duschen gehen müssen, da ich danach ja die Wäsche aus dem Trockner nehmen und zusammen legen müsste. Oh, Gott, war all das hier nur eine einzige Qual. Und die Schmerzen in meiner Nase ließen mir die Tränen in die Augen schießen.
 
Ja, jetzt, wo ich hier sitze und dies schreibe, kann ich mit Stolz behaupten, ich gab Thomas gestern Widerworte. Ich hatte doch tatsächlich versucht, ihn davon zu überzeugen, dass es unnötig wäre, so viel Wasser zu verschwenden. Ich könne doch, nachdem ich die Wäsche aus der Waschmaschine in den Trockner geworfen hätte, zu ihm kommen. Kaum hatte ich dies von unten nach oben gerufen, hörte ich schon eilige Schritte, die die Treppe hinunter stürmten.
 
„Du kleine Drecksau stehst jetzt auf der Stelle auf und bewegst Deinen Arsch nach oben, hörst Du?“ Peinlichst genau darauf achtend, nicht die Couch, die ja sauber war, zu berühren – er selbst war ja nun teil-kontaminiert, da er im halb-sauberen Bereich des Hauses, dem Büro, gewesen war - riss er mich an meinem T-Shirt, das mir schon den Hals zuschnürte, von der Couch und schleppte mich die Treppen hinauf ins Büro.
Ich bemühte mich nicht einmal, mich zu wehren. Es würde eh nichts bringen und Thomas nur noch wütender machen. Und ich hatte auch wahnsinnige Angst um meine frisch operierte Nase…
Doch die Angst wurde mir sehr schnell genommen, denn als er mich in den Stuhl im Büro geschleudert hatte, sah ich schon, wie seine Faust auf mein Gesicht zuraste. Ich hörte ein Krachen, danach ein Knirschen, die Schmerzen brachen über mich herein, als hätte man mir gerade einen Presslufthammer ans Nasenbein gehalten.
 
Ich weiß noch, wie ich sah, dass das Blut in meinen Schoß tropfte, hielt meine Nase mit den Händen, glaubte tatsächlich, damit könnte ich sie wieder begradigen – und ich weiß noch, wie ich in meiner Verzweiflung immer wieder schrie „Meine Nase, oh Gott, meine Nase – Du hast meine Nase gebrochen.“ Doch Thomas saß schon wieder am Rechner, mit dem Rücken zu mir gewandt, als wäre nichts gewesen.
 
Ich hörte noch, wie er sagte, ich solle aufhören zu wimmern, ich sei selbst schuld daran - wie dumm man denn sein müsse, nach einer OP gegen eine Tür zu laufen…
 
Und genau das erzählte ich dem Arzt am nächsten Tag, der einfach nur mit dem Kopf schüttelte…
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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