Sandra Lenz

Stürmisches Herz - Teil II

Der nächste Morgen war für Ashley nicht so angenehm verlaufen. Erst hatte am Frühstückstisch betretendes Schweigen geherrscht und dann hatte sie sich von ihrer Mutter und von Lisbeth, ihrer älteren Schwester eine Standpauke anhören dürfen. Aber all diese Vorwürfe waren an ihr abgeprallt und hatten keine schmerzhafte Wunde hinterlassen. Jetzt war es wieder ruhig und man sprach normal miteinander. Über das Geschehen vom vorigen Abend wurde kein Wort mehr verloren. Stattdessen saßen sie alle gemeinsam im Kaminzimmer und lauschten den Neuigkeiten, die ihr Onkel Matthew ihnen brachte.
Ihr Onkel war ein kleiner untersetzter Typ mit einer runden Brille auf der Nase und der Bruder ihrer Mutter. „Ich habe es gestern in der Stadt erfahren, als ich einige dringende Besorgungen machen musste. Diese brutale Bande, man nennt sie „die teuflischen Fünf“, hat wieder zwei Schiffe überfallen. Das eine Schiff gehörte Jason O’Donnell, dem großen Industriellen aus dem Süden. Es war beladen mit vielen kostbaren Gewürzen aus dem Orient. Alles futsch. Der gute Jason hat sich darüber furchtbar aufgeregt und beinahe einen Herzanfall erlitten. Schließlich hatte ihn die Ladung einiges gekostet und nun hat er einen großen Verlust zu verkraften. Das andere Schiff war nur mit Passagieren besetzt gewesen, die in den Westen wollten. Diese wurden um ihr Hab und Gut betrogen.“ Onkel Matthew schob sich seine Brille zurecht und schüttelte den Kopf. „Diese verdammten Bastarde sollte man hängen. Wenn ich die in die Finger kriegen würde ...“ Er fuchtelte aufgeregt mit seinen Händen in der Luft herum. Ashley musste lachen bei diesem Anblick. „Was würdest du dann tun, lieber Onkel? Vor lauter Angst das Weite suchen.“ Ihr Vater schaute sie strafend von der Seite an und ihre Mutter schämte sich mal wieder für sie. Onkel Matthew fand das gar nicht so lustig und blickte ihren Vater an. Er tat so, als ob er diese Bemerkung nicht registriert hätte.
„Dieser Anführer der Bande – man nennt ihn Ryan – soll sehr brutal sein. Ein großer Kerl, ungepflegt, dreckig mit wirren Haaren. Er liebt die Gewalt und belästigt junge anständige Frauen aufs gemeinste. Und der Rest der Bande soll genauso schlimm sein. Einer schlimmer wie der andere.“
Ashley hörte sich die Ausführungen ihres Onkels interessiert an. Die übrigen Familienmitglieder saßen schweigend da und lauschten angewidert seinen Geschichten. In ihren Augen gehörten solche Menschen einfach nur an den Galgen. So etwas passte einfach nicht in ihre kleine heile Welt. Ashley stand auf und verabschiedete sich höflich von ihrem Onkel. „Liebster Onkel, es tut mir leid, aber ich muss noch meinen Hengst ausreiten gehen. Wir sehen uns ja heute Abend zum Essen wieder. Mutter, Vater – ich darf doch?“ Sie spielte wieder das nette gut erzogene Mädchen und wartete auf die Antwort ihrer Eltern. Ihr Blick ruhte auf ihrer Mutter, die sie noch immer mit zornigem Blick betrachtete. Aber sie nickte zustimmend. Das offizielle Einverständnis hatte sie nun und jetzt konnte sie wenigstens den Raum verlassen. In ihrem Zimmer schlüpfte sie schnell in ihre Reithosen und lief dann geschwind zum Stall. Sie sattelte Stormy Wind und peitschte mit ihm über die große Wiese Richtung Strand. Dies war ihr Lieblingsweg und Stormy hatte genügend Gelegenheit zum Auslauf. Der Hengst liebte lange ausgedehnte Ausritte, bei denen er sich so richtig austoben konnte.
Der Wind blies ihr ins Gesicht und das Band, welches ihre Haare zusammenhielt, löste sich. Ihre langen dunklen Haare wehten im Wind und ihre Wangen waren von der Anstrengung leicht gerötet. Sie erreichte den Strand und sprang vom Pferd herunter. Sie ließ Stormy jetzt grasen und marschierte hinunter zum Wasser. Ihre Schuhe ließ sie im warmen Sand liegen und sie tauchte ihre Füße in das herrliche Nass. Das Meer war angenehm kühl und die ankommenden Wellen umspielten ihre Füße. Ashley sog die frische Meeresbrise ein und war glücklich. Hier, weit weg von ihrer Familie und ganz allein für sich, fühlte sie sich wohl. Niemand der sie stören konnte befand sich in der Nähe. Sie wanderte zurück und ließ sich in den warmen Sand purzeln. Warme Sonnenstrahlen liebkosten ihre Haut.

~.~

Ryan und seine Mannschaft hatten ihr Versteck pünktlich in der Nacht erreicht. Es lag versteckt in einer kleinen Bucht, wo ihr Schiff von niemandem bemerkt wurde. Sie hatten ihre Beute abgeladen und in die Höhle gebracht, wo sie immer ihre Sachen aufbewahrten und versteckt hielten. Die Höhle war recht groß und in mehrere kleine Höhlen aufgeteilt. So hatte jeder mehr oder weniger seinen privaten Bereich, in den er sich zurückziehen konnte. Jack hatte natürlich wieder mal Recht behalten. Isabel hatte die Jungs schon ganz aufgeregt erwartet. Sie hatte für ausreichende Verpflegung gesorgt und die Behausung wohnlich hergerichtet. Für solche Dinge war sie wirklich sehr gut zu gebrauchen. Mit vor lauter Aufregung geröteten Wangen hatte sie auf Ryan gewartet und war ihm zur Begrüßung um den Hals gefallen. Ryan hatte sich dies mehr oder weniger gefallen lassen. Was sollte er auch schon anderes tun?
Er hatte die Nacht mit ihr verbracht und sie hatte ihm diverse Freuden bereitet. Nach mehreren Wochen auf See hatte er diese Zärtlichkeiten vermisst. Mehr hatte er allerdings nicht an ihr vermisst. Nun lag sie friedlich schlummernd neben ihm auf dem Bett. Ihre blonden Locken hingen ihr wirr ins Gesicht und auf ihren Lippen lag ein seliges Lächeln. Ryan betrachtete Isabel eine zeitlang. Sie war wirklich hübsch, das konnte er nicht leugnen. Viele Männer flogen auf sie, doch sie wollte nur ihn. Aber fühlte er mehr für sie? Er war sich nicht sicher, was er für sie empfand, aber Liebe war es auf keinen Fall.
Leise schlüpfte er aus dem Bett und zog sich seine schwarze Hose über. Er wollte ein bisschen ausreiten und allein sein. Schnell griff er nach seinen schwarzen Stiefeln und zog sich noch ein schwarzes Hemd über. Er wollte weg sein, bevor Isabel aufwachte. Draußen traf er auf Jack, der bereits am Feuer saß und Kaffee aufbrühte. „Guten Morgen Ryan. Angenehme Nacht gehabt?“ Sein Kumpel grinste frech. Er konnte sich denken, das die Nacht nicht sehr erholsam für Ryan gewesen sein konnte. Isabel war eine leidenschaftliche Frau, die man nicht leicht zufrieden stellen konnte.
„Morgen. Ach, eigentlich wie immer.“ Nun musste auch Ryan grinsen. Er griff sich einen Becher mit dem dampfendem Getränk und hockte sich neben Jack. „Die anderen schlafen noch?“ Jack nickte. „Burt hat sich gestern noch vollaufen lassen und Larry pennt auch noch. Vermutlich haben die noch einiges geleert gestern Abend. Grant ist auf dem Schiff, um einige Reparaturen vorzunehmen.“ Ryan nickte zufrieden. So liebte er seine Mannschaft.
„Ich werde eine Runde ausreiten.“ Er strich sich eine Haarsträhne aus dem blassen Gesicht. „Möchte ein bisschen allein sein und einen klaren Kopf bekommen. Halte du indes die Stellung hier, mein Freund.“ Er klopfte Jack freundschaftlich auf die Schulter und erhob sich. „Das mache ich doch immer.“ Jack nickte ihm zu.
Ryan schritt Richtung der Pferde, die sie bereitstehen hatten. Er sattelte seine treue Stute Poison und strich ihr über das Fell. „Meine gute Poison. Wie habe ich dich vermisst.“ Die Stute freute sich über das Wiedersehen mit ihrem Herrn. Lange Zeit hatte er sie nicht mehr ausgeritten. Sie scharrte mit den Hufen im Sand. „Ich habe dich vernachlässigt mein Gute, aber das werde ich jetzt wieder gut machen. Wir reiten jetzt eine Runde aus.“ Er stieg auf und führte sie Richtung Wald. Hier galoppierte er mit ihr los. Die Stute war dankbar über den Auslauf und peitschte Richtung Strand, der auf der anderen Seite lag.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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