Manuel Paul

Das ewige Drama


Getrieben von
stürmischem Wind schob sich die dunkle Wolkenbank an der Bergkette entlang. Das
Grollen des nahenden Unwetters rollte über das Land hinweg. Längst war der
Gesang der Vögel verstummt.
Einen schwarzen
Umhang um seine hagere Gestalt geschlagen, stand ein Mann am Rand der alten
Landstraße. Er blickte zum Himmel auf.
In der Ferne
spalteten grelle Blitze das Dunkel der Gewitterwolken. Bald würde es Regen
geben. In gespenstischem Licht tauchte das Umland auf um sofort wieder vom Mantel
der Finsternis verschlungen zu werden.
Trotzig wogen
sich die Baumkronen im Sturm. Unheilvoll raschelte das Laub der Büsche. Schäumend
weiße Gischt überzog den nahegelegenen See. Weit entfernt, fahl wie der Schein
alter Laternen, schimmerten die Lichter der Stadt.
Der Mann zog seinen
kuttenartigen Umhang fester um seinen Körper. Tief hing die Kapuze in sein
Gesicht. Abseits der Straße kletterte er einen steilen Hang hinab. Nach wenigen
Minuten hatte er gefunden wonach er gesucht hatte. Er zog seine Kapuze ein Stück
aus dem Gesicht und bückte sich zu der Leiche hinab. Mit kundigen Händen tastete
er den leblosen Körper ab. Das Genick war gebrochen.
Die
uniformähnliche Jacke des Toten war zerrissen. Er trug enganliegende Hosen und
Reitstiefel. Der Mann warf ein weites, schwarzes Tuch über den Leichnam.
Der Wind
peitschte durch die kleine Lichtung. Hufgeklapper drang durch das Dunkel des
Waldes. Der Mann bei der Leiche hielt inne. Von der Straße klang das lauter
werdende Rattern einer Kutsche. Langsam richtete er sich auf.
Ein schwerer Sechsspänner
kam geradewegs über ihm auf der Straße zu stehen. Schnaubend stiegen die Rösser
unter den zum Zerreißen gespannten Zügeln. Bewegungslos saß der Kutscher auf
seinem Bock.
Die Tür des
schwarzen Ungetüms wurde aufgestoßen und  eine stattliche Gestalt sprang heraus. Im flackernden
Licht der nahen Blitze hob sich ein galant gekleideter Mann vom schemenhaften Umriss
seines Gefährtes ab. Kurz blieb er stehen um seinen Zylinder fester auf seinen
Kopf zu drücken, dann setzte er sich langsam in Bewegung.
»Alter Freund«,
rief er gegen den Wind den Hang hinab. »Lass ihn nur so liegen. Ich erledige
das schon, der Kerl gehört mir.«
Der Mann bei der
Leiche zeigte keine Regung. Lediglich sein Blick wanderte langsam zur Straße
hinauf. Gleichgültig schüttelte er Kopf.
»Luzifer, dass du
kommen würdest ahnte ich bereits.«
Ein schallendes
Lachen rollte den Abhang hinunter. Der Mann an der Kutsche streifte seinen
dunkelroten Samtanzug glatt und wuchtete seinen massigen Körper zu den beiden anderen
hinab. Unten rammte er seinen Gehstock direkt neben der Leiche in den lehmigen
Boden.
»Ich bin immer
und überall«, antwortete er.
»Hier hast du nichts
zu schaffen, Luzifer«, fauchte der Mann im schwarzen Umhang. »Also
verschwinde!«
»Es gab Zeiten
da hast du mich weit freundlicher begrüßt.«
»Es gab Zeiten,
da hast du dich an deine Grenzen gehalten. Doch schwer gefallen ist dir ja
immer schon.«
»Was«, zischte
Luzifer, »willst du damit sagen, alter Mann?«
Blitzschnell
hatte er seinen Stock aus der Erde gezogen und zwischen sein Gegenüber und die
Leiche gebracht. Stumm blickte der andere Mann auf den Stock. Seine Kapuze
flatterte im Wind.
»Du weißt genau
wovon ich spreche und nun lass mich meine Arbeit voll-«
»Es tut mir
leid«, unterbrach ihn Luzifer. Mit seinem Stock deutete er auf den Toten. »Aber
er gehört jetzt mir. Ich kann dich nicht so einfach ziehen lassen.«
Ein hohles
Lachen schüttelte den Mann in der Kapuze. Es dauerte eine ganze Weile bis er
antwortete.
»Hast du nicht
schon genug von der Art da unten?«
»Für den einen
hab ich noch Platz«, schmunzelte Luzifer. Ein spitzbübisches Lächeln zog über
sein Gesicht. Zwischen den beiden Männern lag kaum ein Meter. Wohlgenährt und
in teuren Samt gekleidet wirkte Luzifer wie ein reicher Edelmann neben der klapprigen,
in Leinen gewickelten Gestalt des anderen Mannes. Luzifer kam noch einen
Schritt näher.
»Mach es dir
nicht so schwer und zieh deines Weges«, sagte er mit schmeichelnder Stimme.
»Der Mann gehört mir.«
»Schweig!« der
Arm des anderen schnellte hervor. Der Umhang war zurückgerutscht. Knöcherne
Finger hatten sich vor Luzifers Gesicht zu einer Faust zusammen geballt.
Erschrocken stolperte er zurück. Zu überraschend war die plötzliche Reaktion
des Todes gekommen.
»Schweig!«
zischte der Tod noch einmal. Seine Stimme war kaum lauter als ein heißeres
Flüstern, doch seine Worte klangen endgültig. »Du bist es nicht, der hier
richtet!«
Zum heulenden
Wind mischten sich nun große Regentropfen. Überall zuckten Blitze durch den
nächtlichen Himmel. Mit dem Sturm war die Kapuze wieder über den Schädel des
Todes gerutscht. Seine eingefallenen Augenhöhlen waren darunter verschwunden. Mit
seinem gestreckten Arm hielt er Luzifer weiter auf Distanz.
»Deine Taktik
mag vielleicht bei den Menschen ihre Wirkung entfalten, an mir jedoch prallt
sie ab.«
Sein Arm fiel
nach unten. Ein skelettierter Finger zeigte auf die Leiche. »Seine Zeit ist
gekommen und ich hole ihn, ganz so wie es der ewige Plan vorsieht. Alles Weitere
liegt nicht in meiner Hand.«
»Pah!« Luzifer
hatte seine Stimme endlich wieder gefunden. »Du bist nichts weiter als ein
Lakai.«
Unbeeindruckt
wandte sich der Tod der Leiche zu. Der Wind hatte das schwarze Tuch ein Stück weit
verweht. Sorgfältig wickelte er es wieder um den leblosen Körper.
»Du hast dich
verändert«, sprach Luzifer unbeirrt weiter. »Vor wenigen Jahren noch warst du
nicht so zimperlich.«
»Vor wenigen
Jahren war Krieg«, antwortete der Tod müde. »Ich hatte zu viel zu tun in dieser
Gegend.«
»Ich spreche von
Galizien«, entgegnete Luzifer. »Von den beiden Aufsehern dort, von Stenger und
Kreuzer.«
»Namen.« Der Tod
zuckte mit den Achseln. »Für mich haben sie keinerlei Bedeutung.«
»Aber du hast sie
mir überlassen.«
»Ein Fehler.«
Luzifers
gurgelndes Lachen übertönte das Grollen des Donners. Auf der Straße scheuten
die Pferde und der Kutscher hatte Mühe die Tiere im Zaum zu halten.
»Der erhabene,
der unbestechliche Tod macht Fehler? Das ist doch kaum vorzustellen.«
»Fehler zu denen
du mich verleitet hast, Luzifer. Es ist nicht vorgesehen die Seelen der Menschen
der großen Gerichtsbarkeit zu entziehen.«
»Nicht
vorgesehen«, spöttelte Luzifer. »Was hätte es für einen Unterschied gemacht, wären
sie vor das große Gericht gekommen? Am Ende wären sie doch bei mir gelandet. Es
war ihr vorbestimmter Weg!«
Mit ratterndem
Brustkorb hustete der Tod einige Male. Er trat an Luzifer heran. Die beiden
waren etwa derselben Größe, doch mit dem Zylinder auf seinem Kopf überragte Luzifer
den Tod um ein gutes Stück.
»Welches Unheil
heckst du aus?« fragte der Tod.
»Unheil?«
Luzifer starrte am Gesicht des Todes vorbei in das Dunkel der Nacht. »Ich will
mir nur holen was mir zusteht.«
»Sieh dich vor«,
raunte der Tod in Luzifers Ohr. »Wenn du mir entgegentrittst, hast du keinen deiner
Diener vor dir.«
Luzifer schwieg.
Krachend schlug unweit der beiden ein Blitz ein. Bald darauf wehte der Geruch
von modrigem Holz durch den Wald.
»Mir ist nicht
entgangen, dass du in der letzten Zeit wieder angefangen hast Seelen zu sammeln.«
Luzifer grinste.
»Das ist doch
aber keine wirkliche Neuigkeit, oder?«
»Nein, nichts
Neues«, flüsterte der Tod. »Doch du weißt worauf ich hinaus will. Für
gewöhnlich lässt du keine Möglichkeit aus dich einer Seele zu bemächtigen. Seit
geraumer Zeit aber lässt du viele von ihnen ziehen. Du interessierst dich
lediglich für die besonders verdorbenen, für die abgrundtief bösen Seelen. Ich
frage mich was das zu bedeuten hat.«
Luzifer strich
über sein Bärtchen am Kinn.
»Ich denke du planst
seit langem etwas«, fuhr der Tod fort. »Und obwohl ich keine ernsthafte Antwort
von dir erwarte, will ich dich fragen ob du in den vergangenen Jahren nicht
genug angerichtet hast?«
»Du meinst also auch
ich könnte etwas für diese Gräueltaten? Hör dich an, du redest bereits wie er! Menschen
heben Schützengräben aus, schießen aufeinander, bewerfen sich mit Giftgas. Alles
wohl kaum meine Schuld!«
Der Tod
schüttelte den Kopf. Er deutete auf die Leiche.
»Du kennst
diesen Mann?«
»Flüchtig.«
»Dann will ich
dir etwas mehr über ihn erzählen. Er war Direktor in einem der schlimmsten
Gefängnisse hier in der Gegend. Zweifelsohne eine anstrengende Aufgabe, doch
der Mann wählte eine seltsame Art der Entspannung. Gelegentlich machte er es
sich auf einem der Wachtürme hoch über dem Gefängnishof bequem. Dort nahm er seine
Jagdflinte zur Hand, legte an und erschoss den ersten Häftling der ihm über den
Weg lief. Ein Teil der Wärter blickte beiseite, manche unterstützten ihren
Direktor sogar, schließlich handelte es sich nur um Verbrecher. Der Rest der
Wärter hatte zuviel Angst etwas zu sagen. So konnte der Mann Jahre hindurch unbehelligt
seiner Veranlagung nachgehen.«
Luzifer hatte
aufmerksam zugehört. Kalte Regentropfen fielen aus dem Himmel. Das Unwetter war
direkt über ihnen. Unbeirrt fuhr der Tod fort.
»Es gab nur eine
Sache, die er noch lieber mochte als andere Menschen tot zu schießen. Er war
ein begeisterter Reiter. Auch heute Abend ist er auf seinen Hengst gestiegen
und dort oben entlang geritten.«
Luzifers Blick
folgte dem ausgestreckten Arm des Todes bis zur Kutsche hinauf. »Dumm von ihm,
das herannahende Gewitter zu unterschätzen. Ein unerwartetes Donnern und der
Hengst scheut. Der Mann kann sich nicht halten und stürzt vom Rücken seines
Pferdes. Unglücklicherweise bricht er sich an einem der Bäume dort das Genick.«
»Tragisch.«
»Tatsächlich,
Luzifer? Vorhin, als du aufgetaucht bis, hatte ich einen Augenblick lang den
Verdacht du hättest ein wenig nachgeholfen.«
»Niemals!« gab
sich Luzifer empört. »Du weißt, ich habe genug zu tun, die Menschen sind seit dem
Bestehen der Welt kaum besser geworden.«
Der Tod knirschte
mit seinen Zähnen.
»Jedes Mal wenn
du mir in die Quere kommst bahnt sich eine Katastrophe an. Und jeder
Katastrophe folgt eine neue, noch größere.«
»Damit hast du
nichts zu tun, alter Mann.«
Kalte, schwere
Tropfen prasselten auf die beiden nieder. Zornige Blitze zuckten durch die
Nacht. Luzifers Kutscher sprang von seinem Bock. Keuchend eilte er herbei und
spannte einen großen Schirm über seinen Herrn. Schwer klebte der vollgesogene
Umhang am hageren Körper des Todes.
»Du gibst den
Mann also nicht frei?« fauchte Luzifer.
»Niemals!«
Der Tod hatte
sich wieder der Leiche zugewandt. Einige Flüche ausstoßend beugte sich Luzifer
zu ihm hinab. Ein einzelner Windstoß riss den Schirm aus den Händen des
Kutschers und den Zylinder von Luzifers Kopf. Vergeblich versuchte er ihn
wieder einzufangen.
»Du hörst von
mir«, schrie er mit bebender Stimme. »Bald schon.«
Dann wandte er
sich ab und erklomm auf allen Vieren die Steigung zur Kutsche hinauf. Peitschengeknall
durchschnitt die eisige Luft. Unter dem Klappern der Hufe setzte sich der Wagen
in Bewegung und war bald verschwunden.
Ohne Anstrengung
warf der Tod den Leichnam über seine Schulter. Langsam überquerte er die
Straße. Ein kurzes Stück seines Weges führte ihn durch den lichten Wald. Als er
die Leiche schließlich in seinen Wagen lud, hatte der Regen bereits nachgelassen.
Der Tod zog ein
kleines, ledergebundenes Buch aus seinem Umhang und schlug einige Seiten um.
Dem Namen des verunglückten Mannes folgte sein Geburtsdatum. Als Sterbetag
vermerkte der Tod mit seiner festen Handschrift den 20. April 1936. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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