Charlotte Sander

Brachial (5)

 
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an. „Warum tust Du das?“ Den Baseball-Schläger hoch erhoben, jederzeit bereit, in meine Richtung zu schnellen und mir das Gesicht zu zerschmettern, schrie Thomas so laut, dass es wahrscheinlich der übernächste Nachbar bei geschlossenen Fenstern hören konnte. Ich schämte mich, wie so oft, dafür, wie asozial uns die Leute finden mussten, weil aus unserem Haus immer dieser Krach dröhnte… es war einfach nur peinlich und unerträglich.
 
Ich kam aus einem guten Elternhaus, hatte einen fordernden Beruf, wo ich auch ein richtig gutes Einkommen hatte. Ich war bei meinen Arbeitskollegen eigentlich ziemlich hoch angesehen, was nicht nur an meiner Position lag, sondern auch an meinem natürlichen und fröhlichen Auftreten… mit immer einem Scherz auf den Lippen und darauf bedacht, dass jeder Spaß bei der Arbeit hat, war ich eigentlich eine recht gute und angenehme Vorgesetzte… Nun ja, das hatte sich in letzter Zeit etwas geändert, denn was ich mit Thomas durchmachte, konnte ich zwar für eine gewisse Zeit überspielen, doch irgendwann wird man gebrochen – und dann kann man ein noch so guter Schauspieler sein… die Spuren verraten einen irgendwann sowieso. Seien es blaue Flecken, tiefe Augenränder oder wunde Hände, die vom vielen Händewaschen bereits blutig waren. Ich sah wirklich runter gekommen aus, was auch den wie ein Sack an mir hängenden Kleidern geschuldet werden darf. Ich hatte keine Zeit, mir neue, enger anliegende Sachen zu kaufen, denn ich musste ja auf direktem Wege nach Hause fahren. Thomas machte ständig Kontrollanrufe auf meiner Arbeitsstätte und würde ich einmal nicht ans Telefon gehen, so gnade mir Gott.
 
Was ich allerdings ziemlich widerwärtig finde, ist, dass alle meine Arbeitskollegen Thomas total toll fanden. „Das ist ja so ein charmanter netter Mann,“ sagte mal eine, eine andere wieder meinte „Mensch, da haste ja einen Hauptgewinn getroffen; das ist ja quasi wie ein Sechser im Lotto.“
 
Ja, Thomas konnte blenden, das war unglaublich, und er verstand es, Menschen durch seinen gestochen scharfen Verstand zu imponieren. Seine Intelligenz war überwältigend – und auch das war damals wohl ein Grund, warum ich mich so zu Thomas hingezogen gefühlt hatte… leider sollte auch das mir bis heute zum Verhängnis werden. So adrett, freundlich und beliebt ich einmal war, so sehr machte das Thomas zunichte, denn er machte es sich zum Sport, mich vor anderen lächerlich zu machen. Egal, was ich erzählte, es wurde von ihm in den Boden gestampft, alles wurde in Frage gestellt, dem meisten widersprochen. So hatte ich irgendwann aufgehört, irgendetwas zu erzählen, hatte mit der Zeit überhaupt keine Meinung mehr, die ich äußern wollte, und wenn Thomas immer um Bestätigung verlangend zu mir sah, nickte ich einfach nur und gab ihm in allem recht – ob es so war oder auch nicht. So kam es auch, dass Thomas dann bei Treffen mit Arbeitskollegen oder Bekannten (davon hatten wir allerdings wenige) das Zepter in der Hand hatte, um Reden zu schwingen und ich eigentlich nichts weiter mehr war als schmückendes Beiwerk, das nur noch ja und amen sagte. Und wen wird es wundern? Thomas stand irgendwann im absoluten Mittelpunkt, und ich galt sicherlich nur noch als die langweilige, lahme Frau an seiner Seite, bei der niemand verstand, warum ein so interessanter, rhetorisch überaus versierter Mann wie Thomas sich mit jemandem wie mir überhaupt abgab. Es konnte ja niemand wissen, was Thomas aus mir gemacht hatte – die meisten wussten irgendwann auch wahrscheinlich gar nicht mehr, wie ich einmal gewesen war, und ich bemühte mich, mir nicht anmerken zu lassen, wieviel Angst ich vor Thomas hatte, denn dann würde ich abermals die Hölle durchmachen. Thomas musste ja selbstverständlich als Mister Saubermann da stehen – ich würde es nie wagen, ihn als etwas anderes darzustellen – er würde es mir doppelt und dreifach heimzahlen… so ließ ich einfach um meiner selbst willen die Leute weiterhin denken, wie toll Thomas doch war und hatte wenigstens diesbezüglich Ruhe vor seinen Schikanen; allerdings war es ja eigentlich egal, was ich tat, denn er fand immer wieder etwas, wofür er mich bestrafen konnte, auch wenn gar nichts zum Finden da war… so auch heute…
 
„Warum tust Du das?“, wiederholte er abermals. Ich wusste nicht, was Thomas meinte. Ich stand da wie angewurzelt, vor allen Dingen, weil dies wieder so ein Zustand von ihm war, in dem er alles um sich vergessen zu haben schien. So nett Thomas oft schien, so irre Anwandlungen kamen häufig zutage. Man konnte ihn nie wirklich einschätzen, denn von jetzt auf gleich konnte sich seine momentane Situation schlagartig ändern. Wenn er eben  noch gelächelt hat, konnte es jetzt schon sein, dass er einfach austickte und mich für irgend welche erfundenen Dinge verantwortlich machte, von denen er tatsächlich glaubte, sie waren da, ob ich etwas getan hatte oder nicht. Es hatte auch überhaupt keinen Zweck, Widerworte zu geben, denn dann gab es nur noch die Devise „Lernen durch Schmerz“. Was ich auch tat und was ich auch sagte, es würde eh in einem Dilemma enden, bis dass Thomas seine Aggressionen freien Lauf gelassen haben und sich wieder beruhigt haben würde. Aber das würde erst geschehen sein, wenn ich wieder darunter habe leiden müssen.
 
„Warum tust Du das? Antworte, oder ich schlag‘ Dir den Schädel ein!“ Sein Blick wurde von Mal zu Mal verrückter. Ich stammelte etwas Unverständliches vor mich hin, war starr vor Angst, wusste, würde mich nur ein Schlag treffen, so würde ich nicht wieder aufstehen, und wenn er mich doch, wie er es immer tat, wieder hochreißen würde, so würde ich wahrscheinlich nicht unerhebliche Schäden davontragen. Deshalb galt es, so wenig Widerworte wie nur möglich und ihm in allem, was er spekulierte, recht zu geben und alle Schuld auf mich zu nehmen und zu tun, was er wollte. Nichts konnte schlimmer sein, als das, was er sich wieder einfallen ließe, um mich zu bestrafen – und der Baseball-Schläger, der bedrohlich über mir von Thomas‘ starken Händen gehalten wurde, sollte mehr als nur eine Warnung sein. Er würde zuschlagen; dessen war ich mir sicher, denn es interessierte ihn nicht, mit welchen Konsequenzen zu rechnen war. In diesem Zustand schien er alles um sich herum zu vergessen, und demnach war es ihm auch egal, was danach kommen würde, da er im Hier und Jetzt war, und nur das zählte…
 
„Warum tust Du das?“ Beharrlich und bereit zu allem stand er vor mir; immerzu sagte ich irgendwas, nur um ihn zu beruhigen. Es war ein Wettlauf mit der Zeit, und allmählich begann sich in meinem Kopf alles zu drehen. Ich hatte keine Chance, Thomas etwas entgegen zu setzen. Er hatte ein wahnsinniges Talent, Menschen die Worte im Mund herum zu drehen. Ich bemerkte oftmals, dass ich im nächsten Moment nicht mehr wusste, was ich eigentlich gesagt hatte, geschweige denn was ich sagen wollte - und was ich meinte, das wusste ich schon lange nicht mehr. Mir wurde in diesem Moment schwindelig – ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte, wusste nicht, was er hören oder sehen wollte. Egal, was ich auch entgegnete, immer und immer wieder kam diese Frage „Warum tust Du das?“ Ich zitterte am ganzen Körper. Was habe ich nur getan, dass mich mein Leben so gestraft hatte? Wie konnte es passieren, dass ich in die Fänge dieses Tyrannen geraten war? Wen habe ich verletzt, dass ich nun die Retourkutsche, quasi, was mir zusteht, bekam? Was um alles in der Welt lief in meinem Leben schief, dass es jetzt die Hölle auf Erden werden musste? Wie würde ich aus diesem verdammten Elend wieder heraus kommen?
 
Während ich verzweifelt dastand, schossen mir so viele Dinge durch den Kopf, der sich mittlerweile einfach nur leer anfühlte. Ein Rauschen raste durch meinen Kopf – da war wirklich nichts mehr. „Warum tust Du das?“ „Warum tust Du das?“ „Warum tust Du das?“ „Warum tust Du das?“ „Warum tust Du das?“
 
Wie eine Schallplatte, die hängen geblieben war, spulte Thomas immer wieder diesen einen Satz herunter. Ich hatte wahnsinnige Angst und wusste nicht mehr, was er noch hören wollen könnte. Wahrscheinlich war es in seinem Irrsinn einfach wieder ein Spiel, mit dem er mich nur weiter in den Wahnsinn treiben wollte, und ich war mir langsam darüber im Klaren, dass ich, wenn es noch viele dieser Spielchen geben würde, tatsächlich irgendwann den Verstand verlieren würde, da ich all dem nicht mehr standhalten könnte.
 
Thomas riss den Baseball-Schläger nach unten. Ich sah, wie der Knüppel mit einer Wucht auf mich zuraste, sah ihn auf mein Gesicht zukommen, hielt schützend die Arme davor – doch kurz bevor es zum Aufprall kommen konnte, hielt Thomas in seiner Bewegung inne, kurz bevor es zum zerschmetternden Knall kommen konnte. Er lächelte. „Wenn Du dummes Miststück meinst, Du könntest mich verarschen, dann weiß Du ja jetzt, was auf Dich zukommt.“ Was er damit meinte, das weiß ich bis heute nicht, denn er löste das Geheimnis nie auf. Wie immer hatte ich nichts getan, und wie so oft hatte er wieder etwas in seinem Gehirn zusammen gebastelt, um mich zu demütigen. So war es immer…
  
 
Ich schreibe diese Geschichte zum Selbstschutz unter einem anderen Namen; eventuelle Ähnlichkeiten mit anderen Personen / Namensähnlickeiten sind Zufall und nicht auf diese übertagbar.

CS

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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