Ute Abele

Die richtige Richtung



Da waren nur noch diese beiden Ketten in dem Meer des Selbst. Winzig. Bunt. Und er konnte die Augen nicht davon abwenden. Nicht frei, sondern wie hypnotisiert. Er sah nicht das unendliche Meer um sich herum, mit welchem er selbst untrennbar verbunden war. Nicht einmal verbunden, sondern eins damit. Er sah nur die bunten Perlen der beiden lächerlich winzigen Ketten und hielt sie für alles. Alles um ihn herum konnte sehen, was geschah und wollte ihm zeigen, was er war, aber er sah es nicht. Und dann war er in einer der Perlen verschwunden. Unauffällig und von ihm unbemerkt, folgte ihm jemand.

Er sah eine Welt, die groß schien, und er winzig. Die machtvoll schien und unberechenbar, während er machtlos und ausgeliefert zu sein glaubte. Alles war genau umgekehrt, doch er sah es nicht. Er nahm den Traum für die Wahrheit. In einer Zeit, die ihm ungeheuerlich lang erschien, die jedoch gar nicht stattfand, bewegte er sich in diesem Traum von Leben zu Leben. Unwissentlich immer begleitet von derjenigen, die ihm gefolgt war. Er erfuhr Genuss und Leid, in tausenden von Formen. Alles wiederholte sich immer wieder. Bis er eines Tages in irgendeiner unwahren Zeit in einem der Myriaden von Träumen den Fensterheber seines Wagens bediente. Er hatte sich verfahren, und da war eine Frau auf dem Gehweg, die er nach der richtigen Richtung zu dem gewünschten Ort fragen wollte. Er rief "Hallo, entschuldigen Sie bitte". Sie kam herbei und als er in ihr Gesicht schaute, sah er in ihren Augen das vergessene unendliche Meer, aus dem er eines Tages in den Traum getaucht war. Sofort wusste er. Erinnerte sich an alles. Sie lächelte. Er fragte sie nach der Richtung zu dem gewünschten Ort. Und sie wies ihm den Weg. Es war der Weg, der aus dem Traum in die Wahrheit führte. ...

Unwahre Jahre später, in diesem Traum, der zu seinem letzten wurde, fand er sich, unheilbar erkrankt, in einem Hospiz wieder. Ein Freund besuchte ihn, und staunend erzählte er später den anderen, dass er den Sterbenskranken nicht nur in völligem Frieden vorgefunden hatte, sondern sogar in einer Art Vorfreude, in einer Art Abenteuerlust. "Ich sterbe. Ich kehre zurück. Ist das nicht aufregend?", lachte er. "Ich weiß, wo es hingeht. Sie hat es mir gesagt und ich habe mich erinnert. Ich weiß." 









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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.04.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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