Ewald Frankenberg

Sex & Drugs & Rock ´n Roll

Sex & Drugs & Rock ´n Roll

Da schlägt das Herz des alten Mannes mal wieder ganz wild vor Aufregung. StockRock, ein kleines Festival in meinem Geburtsort, in der Kneipe, in der ich so einige Partysausen meiner Jugend fetete. Ich weiß garnicht, was mich dabei so aufdreht, ist es einfach so, dass mit zunehmendem Alter die nostalgischen Gefühle steigen, jedenfalls, da muss ich hin, von acht Bands, die an zwei Tagen dort vorspielen sollen, sind immerhin drei in meinem Plattenregal vertreten. Und einen Freund mit ähnlicher Sammlung hat es inzwischen wieder fest nach Klein – Hagen verschlagen. Also Mama angerufen, das Gästebett klar gemacht und mich der Vorfreude, in diesem Fall wohl eher der Nostalgie, hingegeben. Erinnerungen sind das Leben des alten Mannes.

Was verspreche ich mir davon?

Die alten Kumpel gingen schon vor dreißig Jahren lieber ins Bett als ins Konzert. Werd ich also wohl kein bekanntes Gesicht sehen, denn die jungen Leute aus der Verwandtschaft beschränken sich eher auf radiotaugliche Musik, und die ist momentan von einer Qualität, so lange die Texte deutsch sind könnte ich die auch meiner Mutter anbieten.

Und die Kneipe selbst. Mal ehrlich, das war auch nie meine Stammkneipe, allein schon, weil an den Wochenenden dort meine Ausbilder sich die Birnen dichtzogen, um sich Montags auf dem Bau gegenseitig zu erzählen, was sie alles gemeinsam erlebt hatten und der Andere nicht mehr so genau wusste.

Aber was soll das jetzt, versuche ich mir etwa selbst auszureden, dort hinzufahren, mach ich ja genau das, was ich meinen Altersgenossen immer negativkritisch vorwerfe.

Der erste Tag verstreicht jedenfalls schon mal ohne meine Anwesenheit, weil ich Freitags halt noch arbeite und einen langen, stressfreien Vorlauf brauche, um mich relaxt amüsieren zu können. Den Hinweis auf mein Alter verkneif ich mir hier mal jetzt, weil ich es selbst nicht wahrhaben möchte.

Und weil wir glauben, dass in Klein – Hagen schon um 23 Uhr Schluss sein muss, was unseren konditionellen Verhältnissen denn auch sehr entgegenkommen würde, stehen wir schon um 19.00 Uhr in dem seit über dreißig Jahren unveränderten Saal an der Theke, wo noch nicht einmal der Zapfhahn nach unten gedreht worden ist.

Beginn ist für 20.00 Uhr geplant, erfahren wir, na klar, erst muss ja auch in der Kirche nebenan die Vorabendmesse durch sein, aber Bier zapft er denn doch schon mal für uns. Vor dreißig Jahren war das komplett anders, da wurde für uns das letzte Bier eingeschenkt, heute das erste.

Aber genug Zeit für uns, in Erinnerungen zu schwelgen. Rausch haben hier mal gespielt, weiß Werner. Da war ich schon weg hier. War außerdem nie meine Band, meine kompletten Erinnerungen an Rausch konnte ich in dem Artikel „20 Jahre Nevermind“ in einem Halbsatz niederschreiben. Ich war das letzte Mal hier im Saal zum plattdeutschen Theater und darüber decke ich lieber den Mantel des Schweigens.

An Konzerte hier kann ich mich garnicht erinnern, in den letzten Jahren habe ich hier allerdings wohl einige starke Gigs verpasst, mangels Werbung, liebe Veranstalter, habe ich immer erst hinterher davon erfahren. Richtig gut bin ich hier musikalisch eigentlich nie bedient worden, obwohl die schlechte Musik in den Siebzigern lange nicht so weit von der guten entfernt war, wie sich das heute darstellt. So fünf, sechs Mal im Jahr fand hier eine Disko statt, die wir ausschließlich wegen mobiler Inflexibilität beehrten.

Wir hatten nur jeder Zweite oder Dritte ein Mofa, entsprechend viele Leute saßen immer auf einem Gerät, entsprechend kurz musste die Strecke bleiben. Denn als Beifahrer war das nicht so bequem, es gab noch nicht die Doppelsitzer, man musste sich auf den Tank legen, zwischen die Beine des Fahrers, der Fahrerin, die Füße auf dem Gepäckträger verschränkt, den Blick in den Schritt der Fahrerin und die Hände, … Waren sich die Mädchen eigentlich genau so bewusst, das sie mich zwischen den Beinen liegen hatten, wie ich es immer spürte. Ich habe sie nie gefragt, und die Jungs natürlich erst recht nicht.

Einmal kollidierten wir nach intensivem Vorglühen daheim in der letzten Kurve vor Stock. Fünf Leute und zwei Mofas lagen auf der Straße, als ausgerechnet jetzt ein Streifenwagen um die Ecke bog. Als die Herren ausgestiegen waren bestätigten wir ihnen nicht, was sie gesehen zu haben glaubten, wollten uns aber nicht so ohne weiteres ziehen lassen. Hauchen sie mich mal an, war die Aufforderung an einen der offensichtlichen Fahrer. Oh, Scheiße, wir alle sinken etwas in uns zusammen, nur Detlef ganz cool, atmet laut vernehmlich tief ein und hält dem Polizisten luftanhaltend seinen weit aufgerissenen, schlecht bestückten Mund hin, bis das dieser bemerkt – okay, und lasst die Dinger stehen, wenn ihr etwas trinkt-.

-Na Klar-.

Heute gibt es gute Musik. Sexto Sol machen das, was ich von ihnen erwartet habe, ihnen aber als erste Band, so früh am Abend niemals zutraute, sie bringen mit ihrem karibisch angehauchtem Ska – Punk den Saal zum Tanzen. Den Eingeborenen wird hier scheinbar immer noch nichts geboten, so dass sie jetzt auch in der breiten Masse das aufsaugen, was gegeben wird. Und nicht nur die Jugend ist vertreten, Werner sieht immer wieder Gesichter von Leuten, die damals schon älter waren als wir.

Damals haben wir hier unsere Schulentlassung gefeiert. Im Anzug. Mit Eltern. Die Musik zum Vergessen. Hab ich jedenfalls. Dafür immer noch in meinem Kopf präsent, ein Traum von einem Mädchen. Ich war heftigst verliebt, aber auch ebenso schüchtern. Auch meine Annäherungen, vorsichtig, heimlich, dass keiner etwas bemerkte. Nicht einmal sie. Trotzdem hatte ich es irgendwann bis auf den Platz direkt links neben ihr geschafft. Jetzt musste ich mich in langer, innerer Diskussion dazu überreden, den Körperkontakt herzustellen, und als ich dann endlich, ganz unauffällig, wie zufällig, meinen Arm auf ihre Schulter gleiten lasse, ja, da liegt da schon einer von rechts. Wer zu spät kommt. Einen Traum ärmer.

Auf der Bühne tummeln sich, auch im Wortsinn, inzwischen Bitter Orange, die ich früher schon mal gut gesehen habe, heute aber ziemlich konzeptlos finde und mindestens eben so angetrunken wie wir damals in dieser frühen Stunde. Die Jungs oben haben aber sichtlich Spaß und das Publikum feiert sie. Ich bin da nicht mehr so sehr Lokalpatriot.

Aber bei Spaß auf der Bühne fällt mir ein anderer Traum von Frau ein, die damals schon nicht wirklich zu mir passte und heute VIP ist. Eigentlich war ich scharf auf ihre Mutter, die ich am selben Abend irgendwie kennenlernte, die ihr Ehegelübde aber zu ernst nahm oder mich in meiner Jugend nicht ernst genug.

Immerhin stellte sie mich aber ihrer Tochter vor und ließ uns dann allein. So saßen wir denn auf der Bühne, und obwohl schon ziemlich enthemmt hatten wir uns nichts zu sagen. Als das Schweigen peinlich zu werden drohte, nahmen wir uns küssend in den Arm, ließen uns zur Seite kippen und boten sicherlich einigen Unterhaltungswert bis wir uns entschlossen, die Stage gegen eine intimere Bühne zu tauschen.

Gummis hatte man für solche Fälle immer im Portemonnaie. Das war auch wichtig im konservativen Hagen a.T.W., denn als ich mal nicht darauf eingestellt war, zogen wir durch nahezu alle Kneipen und öffentlichen Toiletten auf der vergeblichen Suche nach einem Kondomautomat, was sich denn wiederum als erfolgreiches Verhütungsmittel erwies, denn am Ende unserer Wanderung schliefen wir erschöpft ein. Man müsste mal schauen, ob die Versorgung da heute besser ist.

Eine kleine Enttäuschung heute Abend ist die Absage von Dyse, da hätte ich echt gern gesehen, wie sich die entwickelt haben. Stattdessen stehen da Atomic Peat, spielen leicht psychedelischen Desertrock, wenn Josh Homme eine solche Gitarre gespielt hätte wären die Q.o.t.S.A. vor 15 Jahren meine Lieblingsband geworden, aber eben vor 15 Jahren, heute frage ich mich, wenn man so fett spielt und nur ein solches Stimmchen dagegenzuhalten hat, warum macht man keinen Instrumentalrock.

Werner hingegen bemerkt die veränderte Würze in der rauchgeschwängerten Luft, was mich wieder den Satz – könnt ihr eure Scheißdinger nicht draußen drehen – anbringen lässt der uns als Running Gag durchs Leben begleitet, seitdem wir mit ebendiesem eben deswegen einmal des Saales verwiesen wurden.

Ich war nie großer User, weil ich schon als Teenager nach zwölfjährigem, zeitwiese hardcoremäßigem Raucherdasein zum Nichtraucher mutierte. Aber eines Abends hier waren wir doch ziemlich bekifft und ich rief mir mit der Frau neben mir am Tisch, es standen während der Veranstaltungen tatsächlich schon mal Tischreihen im Saal, im Wechsel, trotz der lauten Musik wohl nicht nur für uns beide gut verständlich Sexfantasien zu, was wir mit jenem machen würden, wie wir es mit jener handhaben könnten, auch im Wechsel oder alle zusammen, was uns zweien einen, gefühlt mehrstündigen, Lachkrampf einbrachte, aber zu mehr waren wir dann leider wirklich nicht in der Lage.

Wie die Frauen im Saal, für meine alten Augen meist eher Mädchen, heute wohl so drauf sind.

Damals kamen gerade die Zombiefilme in die Kinos, so die ersten zaghaften Splattermovies, als man sich noch nicht traute, wirkliche Menschen zu zermetzeln und deswegen Untote herhalten mussten. Das brachte uns jedenfalls auf den Gedanken, es bei den Frauen mit der Idee zu versuchen, sie um Mitternacht über den nahen Friedhof zu führen, in der Hoffnung, jedes leise Geräusch würde sie panisch in unsere schützenden Arme treiben. Vielleicht wäre das Heute auch einen Versuch wert, die Filmindustrie ist ja wohl schon wieder so weit, obwohl, es ist nicht überliefert, das jemals einer von uns mit dieser Masche Erfolg hatte, auch wenn auf der Lokation nachts tatsächlich oft mehr Leben war als tags.

Aber jetzt stehen Peter Pan Speedrock auf der Bühne, und man merkt gleich einen Klassenunterschied bei den Profis, die seit Jahren ständig auf der Bühne stehen. Ein Wahnsinn, wie der Drummer die Jungs durch die Stücke peitscht. Das sind Motorhead in jung und schnell. Da öffne ich mal wieder meine Haare, den Weg in den Moshpit verkneife ich mir, die Zähne sind zwar noch nicht die Dritten, aber beim Hüpfen könnte ich ja die für meine geschädigten Ohren überlebenswichtigen Ohrenstöpsel verlieren. Aber es wird richtig heiß im Saal, T-Shirts fliegen in die Ecke. Holländer können halt mehr als nur Fußball und Paloma Blanca.

Es ist sage und schreibe halb zwei als das Rock ´n Roll Gewitter zu Ende geht. Zum Ausklang gönnen wir uns in der Kneipe noch ein letztes der Biere, die wir heute Abend an den Fingern einer Hand abzählen können. Damals hätten wir vier Hände mehr gebraucht, und nur deshalb so wenige, weil man nie losging ohne Vorglühen.

Aber die Veranstaltung ist okay, kann man fortführen, und wenn sich immer jemand findet, der uns den Rollator hochträgt, seht ihr uns auch noch in zwanzig Jahren hier.

Wir haben verschiedene Richtungen und verabschieden uns vor der Kneipe. Da spricht mich eine Frau an „du fährst nicht noch zufällig in Richtung Stadt?“ „Heute darf ich nicht mehr, aber wenn dir morgen früh reicht, dann könnte ich dir bis dahin einen Platz in meinem Bett anbieten.“ Mit einem „Hmm, …, Okeey“ hakt sie sich nach kurzem, prüfenden Blick bei mir unter.



 

©Ewald Frankenberg 04.2012

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