Jacqueline Brückner

Untertan

Untertan
 
Als sie noch ein kleines Mädchen war, brachte ihr ihre Mutter als Lebensregel bei, dass sie als Mädchen und als Frau dem Manne stets gehorsam zu sein hat.Sie hat ihm Untertan zu sein, in allen Lebenslagen.
 
Sie wuchs heran, sah wie ihre Mutter ihrem Vater stets Untertan, stets gehorsam war:
Sie putzte das Haus, pflegte den Garten, kümmerte sich um alle Belange  der Kinder und ihres Vater. Scheinbar las sie ihm jeden Wunsch von den Augen ab und unterhielt sich anscheinend oftmals ohne Worte mit ihm. Dabei sah sie bei der Hektik des Tages immer adrett aus, so dass man nur staunen konnte. Sogar wenn es mal Streit zwischen den Eltern gab, was es in jeder guten Beziehung geben konnte, war es ihre Mutter, die stets gehorchte und sich fügte, auch wenn sie hin und wieder deswegen stille Tränen weinte, ganz heimlich, im Verborgenen.
 
Sie reifte zur Frau und heiratete, bekam ein Kind. Egal was war, sie erinnerte sich immer daran, was ihr ihre Mutter während ihrer Kindheit beigebracht hatte: „Sei dem Mann stets gehorsam und Untertan, in allen Lebenslagen!“ Sie kümmerte sich um das Haus mit dem dazugehörigen Garten, was ihr Mann gekauft hatte. Sie kümmerte sich um das Kind und versuchte ihm jeden Wunsch von Augen abzulesen, egal was es war und egal wie spät er von Arbeit nach Hause kam.
Dabei sah sie immer adrett aus, egal wie erschöpft sie manchmal war. Über ihre eigenen Wünsche dachte sie dabei nicht nach. Und wenn es mal Streit gab, gab sie nach und gab klein bei. Sie war ihm Untertan und gehorchte ihm, so wie schon ihre Mutter ihrem Vater gehorcht hatte.
 
Als er anfing, sie zu schlagen, sie plötzlich blaue Flecken an den Armen hatte, die sie mit Kleidung versuchte zu überdecken. Als er versuchte, sich das mit Gewalt von ihr das zu holen, was ihm in seinen Augen zustand, suchte sie bei ihrer Mutter Rat.
 
Sollte sie ihm jetzt noch immer Untertan sein? Ja, sie sollte! Sie sollte ihm gehorchen und sich Mühe geben, dass es keinen Grund dafür gab, um ihn zu provozieren. Wenn er sie schlug, ihr Gewalt antat, dann war es schließlich ihre Schuld und sie hatte ihm einen Anlass dafür gegeben.
 
Vielleicht hatte sie ihm widersprochen?
Vielleicht hatte sie einfach zu viel gegessen und ein paar unangenehme Pfunde zugenommen?
Vielleicht war sie nicht attraktiv genug für ihn oder war ihm nicht dienlich genug?
Vielleicht hatte sie etwas bei den alltäglichen Arbeiten vergessen oder etwas Falsches für ihn gekocht?
Vielleicht hatte sie nicht dafür Sorge getragen, dass ihn das Kind nicht nach der Arbeit nervte?
Vielleicht?
Sie sollte ihm Untertan sein, ihm gehorchen und sich Mühe geben! Dann würde so etwas nicht wieder passieren!
Das waren die Worte ihrer Mutter.
 
Sie versuchte alles für ihn zu tun, immer wieder. Sie versuchte, ihm keinen Anlass dazu zu geben, dass er ihr Gewalt antat. Sie war stets wie eine unsichtbare Fee um ihn herum, die ihm jeden Wunsch ablas. Dennoch! Er schlug wieder zu! Nichts konnte sie ihm recht machen! Dabei versuchte sie doch zu gehorchen, ihm keine Widerworte zu leisten, für ihn dazu sein, wenn er sie brauchte. Ja, sie nahm sogar ein paar Kilo ab, so wie es ihr ihre Mutter geraten hatte. Trotzdem schlug er zu, einfach so.
 
Aus ihren stillen Tränen, ihrer Verzweiflung und ihrer Angst, wurden irgendwann blutige Schnitte in ihrem Armen. Stumme Hilfeschreie, einer Frau, die gehorsam war.
 
Als ihre Mutter diese sah, meinte sie, sie solle sich zusammennehmen! Sie solle das unterlassen, weil sie das schließlich hässlich und unattraktiv machen würde. Sie bräuchte sich nicht zu wundern, dass er sie schlug und misshandelte, wenn sie so aussehen würde! Doch er schlug weiter und misshandelte sie, obwohl sie gehorsam war!
 
Dann floh sie, die einst noch so schöne Frau, ins Essen. Sie aß heimlich all ihre Sorgen und ihren Kummer auf.
 
Als ihre Mutter das sah, maßregelte sie sie. Sie solle das nicht tun, weil sie ja schließlich fett werde würde und nur schlanke Frauen wirken auf Männer aufreizend. Doch er schlug weiter und misshandelte sie, obwohl sie gehorsam war!
 
Sie tat alles für ihn, egal wie sehr er sie verletzte in all den letzten Jahren. Sie akzeptierte alles, was er sagte und was er tat. Selbst als er eine Affäre hatte, schwieg sie und nahm es hin. Schließlich war sie doch daran Schuld, dass ihr Mann sie mit einer anderen betrog! So hatte es ihr ihre Mutter beigebracht und in all den letzten Jahren immer wieder gelehrt. Ihren Schmerz hielt sie geheim, sprach nicht darüber und versuchte alles vor ihrem Kind geheim zu halten und auch vor der restlichen Außenwelt. Sie suchte oftmals nach Ausreden und Entschuldigungen für ihre Tränen und Verletzungen, die sie nicht immer verbergen konnte. Sie konnte aber auch nicht einfach gehen, denn schließlich hatte ihr die Mutter gesagt, dass sie ihm zu gehorchen habe. Und ihre Mutter musste doch Recht haben! Mütter haben doch viel mehr Lebenserfahrung und vielmehr Weisheit!
 
Doch eines Tages konnte sie es nicht mehr verbergen, vor ihrem Kind und vor ihrem Umfeld, denn sie kam mit schwersten, innerlichen Verletzungen ins Krankhaus, hervorgerufen durch seine Schläge und Tritte, die er ihr einmal wieder verpasst hatte. Ein Nachbar hatte die Polizei gerufen, weil er sich von den lauten Schreien gestört fühlte. Als diese kam, lag die junge Frau blutend und mit blauen Flecken von Kopf bis Fuß übersät am Boden. Sie alarmierten den Notarzt und man brachte sie mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus. Ihre Eltern wurden  informiert, die so gleich ins Krankenhaus eilten. Auch einige enge Freunde erfuhren davon, welche ganz erschrocken waren über diese Nachricht. Die Ärzte kämpften um ihr Leben, aber scheinbar war sie es, die nicht mehr leben wollte. So gaben die Ärzte irgendwann auf, diesen aussichtslosen Kampf.
 
Sie war bei vollem Bewusstsein, als Freunde sie noch einmal besuchten und auch als ihre Eltern noch einmal nach ihr schauten. Irgendwann stand ihre Mutter mit Tränen in den Augen vor ihr und fragte sie: „Warum bist nicht gegangen, mein Kind?“
 
„Mama! Du hast zu mir gesagt und beigebracht, dass ich ihm gehorchen und Untertan sein sollte! Darum bin ich geblieben! Aber scheinbar hat es nicht gereicht!“
 
Mit diesen letzten Worten und Tränen in den Augen machte die junge Frau für immer zu, die nur alles für ihren Mann tun wollte, wie es ihr die Mutter beigebracht hatte.
 
 
  

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