Anna Osowski

Erinnerungsstücke

Ein Tag, der so bedeutungslos begann. Ein leiser Regen, der den Winter aus den
Sträuchern wäscht. Ein zaghafter Wind. Ein Tag ohne große Pflichten. Seufzend und
entspannt lasse ich mich auf das Sofa fallen und öffne den Brief, den ich zwischen
Rechnungen und Wurfsendungen fand. Innerhalb abzählbarer Momente legt sich ein trüber
Ernst auf mein Gesicht. Für einen Atemzug schließe ich die Augen und beschwöre Dein Bild
herauf. Wie ich Dir das letzte Mal begegnet bin. Ich seh es noch genau vor mir: Du trugst
einen kitschigen Seidenschal und Dein hervor stürmendes Lachen, von dem man nie weiß,
ob es nicht ein Weinen ist. Oder ein Zagen. Oder eine Frage. Ich versuche mich zu erinnern;
es muss etwa ein halbes Jahr her sein.

Bis heute weiß ich nicht, was uns eigentlich in unserer Zeit zusammen gehalten hat. Als wir
uns kennen lernten, waren wir blutjung und wilde Weiber. Und auf so unterschiedliche Art
lebenshungrig, dass es ein großes Rätsel ist, was uns miteinander verband. Wir zogen oft
nachts durch die Strassen, Du in Deinem Nerz, grell geschminkt, sonnenbankbraun und mit
Dauerwelle, ich mit Lederjacke und schwarzem Nagellack. Wir haben uns die Nächte in
Bars und Billardsalons um die Ohren geschlagen, haben über dieselben Witze gelacht und
sogar dieselben Filme gesehen. Wir haben unseren Kummer geteilt, uns aufgemuntert.
Und haben versucht, einander zu verstehen. Und vielleicht auf diese Weise auch das Leben
zu verstehen. So wenig Berührungspunkte und doch war da immer ein dickes festes Band
zwischen uns. Wir hielten zusammen. Manchmal einfach: gegen die Welt.

Da war dieser Geburtstag, Jahre später. Es war das erste Mal, dass Du mir peinlich warst.
Noch heute schäme ich mich in gleichem Maße für Dich und meine Gefühle deswegen. Ich
habe es nie so offen ausgesprochen, aber ich weiß, Du hast es bemerkt. Die meisten
Gäste waren in Gespräche vertieft und dann kamst Du. Mit diesem eigentümlichen Lachen,
das ich nie verstanden habe. Aber weil es so fest zu Dir gehörte, auch wieder richtig war. Du
kamst in Deiner grellsten Aufmachung und alle anderen Freunde schauten einen Moment
lang bestürzt von ihrer Unterhaltung auf. Und zuckten einen Moment lang zusammen, als Du
Dein lautes Lachen in den Raum schleudertest. Ich weiß noch, ich fühlte mich, als hätte
man mir den Stuhl, auf den ich mich gerade setzen wollte, weggezogen. Und dann gabst Du
mir Dein Geschenk. Ich wollte es nicht auspacken, ich wollte Dir das nicht antun. Diese
kitschige Brosche, ich weiß, dass sie von Herzen kam. Du wolltest mir immer ein Stück von
Deiner Idylle schenken. Aber Deine Idylle war nie meine. Und so musste jeder sehen, dass
die Freude in meinem Gesicht geheuchelt war. Und dann schämte ich mich wieder für die
Heuchelei. Und ich umarmte Dich, denn meine Sympathie für Dich war tief genug, diese
Kluft zu überspringen. Die Kluft zwischen unseren Welten.

Ich stehe auf und schlurfe zu der klobigen Holztruhe im Nebenzimmer. Hinten, in der rechten
Schublade, da finde ich sie und schließe meine Hand um sie. Ich habe sie nie getragen, nie
mehr daran gedacht, nun krame ich sie hervor. Ein inzwischen angelaufenes Gold, kein
echtes. Ein Schwan, übertrieben geschwungen, mit einem Strass-Stein als Auge. Das
funkelt mich an, als ich es versunken betrachte. Der Tee ist mittlerweile lauwarm und wieder
gleiten meine Erinnerungen an diese Zeit zurück. Und an die Zeit danach.

Genau wie unsere Wesen sich unterschieden, unterschieden sich auch unsere Männer.
Doch eines Tages tauchte da dieser Kerl auf. Ich weiß nicht einmal mehr seinen Namen. Er
hatte geradezu erschütternd grüne Augen, doch alles andere an ihm war belanglos. In
meinen Augen. Für mich war es eine Spielerei. Und als ich merkte, was los war, dass Du
Dich mit ihm nicht nur aus Zeitvertreib necktest, da war es schon zu spät. Da war ein tiefer
Graben zwischen uns und Du hast mir das nie richtig verziehen. Wenn ich nur hinter Dein
Lachen hätte blicken können, dann wäre das alles nicht passiert. Er ist aus unser beider
Leben verschwunden, aber zwischen uns war danach alles verändert. Ein Misstrauen, ein
Neid, eine Wut hatte sich da eingeschlichen und war nicht mehr zu vertreiben. Und vergiftete
unsere sorglosen Tage und trieb uns immer mehr auseinander. Und unsere Freundschaft
in Vergessenheit. Und schließlich gingen wir unsere eigenen Wege. Kamen nur noch
selten zusammen und dann oft nur verhalten. Da war nicht mehr die Tiefe, die wir einst
kannten. Nicht mehr das Licht in unseren Augen, nicht mehr die Wärme in unseren
Umarmungen. Stattdessen war da Unsicherheit und Scheu.

Ich denke an Dich und für einen kleine Moment glaube ich, Dein Wesen zu spüren. Ein
kleines Innehalten, dann ist es wieder verschwunden. Ganz tief in meinem Herzen fühle ich
noch immer das Band. Auch wenn es von den Jahren vergilbt ist und ein wenig morsch.
Aber es ist noch da. Eine traurige Zärtlichkeit durchweht mich und ich verspüre einen
seltsam heiligen Wunsch: Mich vor Dir zu verbeugen. Vor Deinem Leben, zu dem so
untrennbar Dein unverstandenes Lachen gehörte. Wie eben alles an Dir. Mich zu verbeugen
vor all den Gemeinsamkeiten, die wir teilten, vor all den Momenten, die wir uns schenkten
und auch vor all den Fehlern, die wir machten. Denn jetzt erkenne ich, wie einzigartig das
Band ist. Wie einzigartig jedes Band ist, das ich da in mir trage.

Seufzend lege ich die Brosche auf den Brief, wo sie für diesen Tag ein wenig nach Hause
kommt. Du hast Dich aus diesem Leben verabschiedet, aber das Band, das wird immer
bleiben. Der Tee ist kalt und der Regen hat aufgehört. Ich gehe an meinen Schreibtisch und
schreibe für Dich eine kleine Geschichte...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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