Jürgen Berndt-Lüders

Gehst du mal mit’m Hund runter?

Wir brauchten Fiffi, den kleinen Mischlingsrüden, damit er uns Couchpotatoes in Bewegung brachte.
 
Nach wenigen Wochen schon wurde Fiffi uns lästig. Immer um die gleiche Zeit schnappte er nach der am Schlüsselbrett hängenden Hundeleine und wollte Gassi gehen.
 
„Jehste ma büdde mit’m Hund runta?“ lautete die regelmäßig wiederkehrende Frage meiner aus Berlin stammenden Frau. Das Wort „büdde“ ist zwar kein ausgesprochener Dialekt, aber Erna senkte bei dem Wort regelmäßig den Blick, ihre Stimme wurde tiefer und ihr Gesichtsausdruck mädchenhaft.
 
 „Du könntest aber auch mal gehen“ sagte ich,  warf den Kopf in den Nacken, schnappte mir den vor Freude Purzelbaum schlagenden Hund mitsamt der Leine  und machte mich auf den Weg.
 
Das ging monatelang gut. Unser Fiffi und ich, wir bekamen unseren Auslauf und meine Erna ihre halbe Stunde Eheurlaub.
 
Fiffi hatte eine andere Promenadenmischung namens Lady kennen gelernt. Mit der dazugehörigen Besitzerin tauschte ich anfangs nur ein freundliches „Guten Morgen“ und ein unverbindliches Lächeln aus, aber langsam kamen wir ins Gespräch.
 
„Sie sind wohl schon Rentner?“, fragte sie und steuerte gegen jede Gewohnheit Richtung Schillerpark, wo sie sich auf eine Bank setzte und mich aufmunternd ansah.
 
Hallo, pass auf, Jürgen, die will was von dir, flüsterte mein kleiner Mann im Ohr mir zu. Was sollte eine so junge Frau von einem alten Mann schon wollen? Geld? Oder hatte sie einen Vaterkomplex?
 
Ich setzte mich dazu. Die Hunde spielten angeleint und meine hübsche Gesprächspartnerin taxierte mich in Ruhe.
 
„Klar bin ich Rentner. Wieso?“
 
„Na, Sie könnten ja auch arbeitslos sein und frühmorgens Zeit haben, mit dem Hund Gassi zu gehen.“
 
„Nein, ich bin schon seit drei Jahren ohne jeden Zwang, irgend etwas tun zu müssen, zu dem ich eigentlich gar keine Lust habe. Und Sie? Sind Sie Hausfrau?“
 
Sie schüttelte verlegen den Kopf und suchte nach Worten.
 
„Ich habe zwangsweise keine Arbeit. Ich würde zwar gern was tun, aber...“
 
Ich wollte ihr peinliche Geständnisse ersparen und unterbrach sie. „Sie sind also arbeitslos“, stellte ich fest.
 
Sie nickte und stand auf. Die Hunde drängten aufs Weitergehen und ich wollte Erna nicht allzu lange warten lassen. „Sie sind ja morgen wieder hier, oder?“ fragte sie.
 
Ich nickte und wir gingen unserer Wege.
 
Eine Frau wie die und arbeitslos? Unglaublich.
 
„Ick jeh mit dem Hund runta“, sagte Erna am nächsten Morgen und schnappte sich die Leine, so, als wenn sie dies jeden Tag täte und es die selbstverständlichste Sache der Welt sei.
 
Ich dachte an meine Gesprächspartnerin, deren Namen ich nicht einmal kannte und der ich versprochen hatte, heute wieder mit dem Hund Gassi zu gehen, schwieg aber, weil ich Erna nicht misstrauisch machen wollte.
 
Was hatte ich auch mit der jungen Frau zu schaffen? Es ging doch um nichts anderes als um ein paar nette Worte, während die Hunde ihren Spaß miteinander hatten.
 
Erna kam erst nach einer Stunde zurück. Sie brachte ein versteinertes Gesicht mit nach Hause und sagte kein Wort. Natürlich reichte meine Phantasie aus um mir haargenau vorstellen zu können, was sich abgespielt hatte.
 
Natürlich hatte meine hübsche Bekannte unseren Fiffi wieder erkannt. Natürlich hatte sie Erna darauf angesprochen. Natürlich waren die beiden ins Gespräch gekommen und das Frauchen der Hündin Lady hatte von mir geschwärmt.
 
So wie die mich angesehen hatte musste sie von mir geschwärmt haben. Und nun hatte Erna die schlimmsten Befürchtungen. Ein alter Mann und eine alte Frau, und dazwischen eine junge Frau, die den alten Mann zu einem verrückten Träumer machte. So und nicht anders musste es Erna sehen.
 
„Ich muss dir was sagen“, murmelte Erna und sah mich tiefernst mit ihren graublauen Augen an. Kein mädchenhafter Gesichtsausdruck, aber der gesenkter Kopf und die tiefe Stimme.
 
„Es ist doch aber gar nichts“, formulierte ich unsicher.
 
„Doch, es ist etwas“, sagte sie. „Ich kann es mir nicht erklären, weshalb Fiffi so völlig anders war. Er rannte plötzlich über den Radweg, ich war nicht drauf vorbereitet, hielt die Leine nicht straff genug...“
 
Ich sah Fiffi aus dem Augenwinkel. Er schien völlig okay zu sein.
 
„...und eine Radfahrerin bremste, kriegte ihr Rad nicht unter Kontrolle und stürzte.“
 
„Mein Gott“, ich hielt die Luft an, „ist ihr was passiert?“
 
„Ich glaube nicht. Eine junge Frau mit Hund, wegen dem Fiffi wohl losgerannt ist, hat ihr geholfen. Die schien Ahnung zu haben. Sie hat kurz gecheckt , ob der Frau was fehlt...“
 
Den Rest hörte ich kaum noch. Was hatte ich mir nur eingebildet? Hatte ich doch geglaubt, mein Auftreten hätte eine junge Frau ins Schwärmen gebracht. Netter Opa, wird sie gedacht haben. Das wird alles gewesen sein.
 
„Sie sind Krankenschwester, oder?“, fragte ich sie in paar Tage später, als wir wieder auf der Parkbank saßen.
 
„Ärztin“, sagte sie. „Ich kämpfe um meine Approbation.“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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