Jürgen Berndt-Lüders

Ménage a troi

„Mama, warum musstest du ausgerechnet in der Nacht von Samstag auf Sonntag zurück kommen?“ nörgelte Susanne und klappte den Regenschirm zusammen. Sie öffnete die Fahrertür und wollte einsteigen.
„Lass’ mich fahren“, kommandierte Carmen.
„Mama, ich bin keine siebzehn mehr“, stellte Susanne fest.
„Nein, achtzehn“, verbesserte Carmen. „Steig auf der anderen Seite ein, oder willst du hier im Regen fest wachsen?“
Die Autotüren klappten und  Carmen startete. Sie stellte den Scheibenwischer auf höchste Geschwindigkeit. „Kind“, sagte sie. „Du hast keine Fahrpraxis, du Studentin der Psychologie, erstes Semester. Dunkelheit, Regen und Aquaplaning sind was für routinierte Autofahrer. Üb’ mal noch ein wenig bei Sonnenschein.“
„Mama“, stöhnte Susanne. “Du bist ja wieder grässlich. Wer hat dir was getan? Ich jedenfalls nicht.“
Carmen überhörte das. Eine andere Frage lag ihr auf der Zunge. „Wieso sollte ich eigentlich nicht am Wochenende zurück kommen?“
„Ich war verabredet“, informierte Susanne. „Mit Charly in der Disko, und diese Verabredung ist nun geplatzt, weil du ausgerechnet zur selben Zeit abgeholt werden wolltest.“ Sie sah auf die Uhr. „Die Disko schließt in wenigen Minuten. Vielleicht sehe ich ja noch die Rücklichter von Charlys Geländewagen.“
„Und hinterher wird unter einem fadenscheinigen Grund in den Waldweg eingebogen und rumgeknutscht“, vermutete Carmen.
Susanne fuhr aus der Haut und brüllte ihre Mutter an. Sie fasste kurz ins Lenkrad, dass Carmen Mühe hatte, die Richtung zu halten und drückte anhaltend auf die Hupe. Sie trat gegen das Armaturenbrett, und ihr Gesicht wurde rot vor Wut. Man sah ihr an, dass sie ihre Mutter am liebsten getötet hätte.  Aber bevor Susanne die Worte gefunden hatte, mit denen sie ihrer Mutter klar machen konnte, wie abgrundtief ungerecht sie war, wurde der Hupton erwidert und ein Geländewagen kam ihnen mit aufgeblendetem Scheinwerfer um die Ecke. Er schnitt die Kurve, und wenn Carmen nicht voll auf die Bremse getreten hätte, wäre es zu einem frontalen Zusammenstoß gekommen, den sicherlich keiner der Insassen beider Fahrzeuge überlebt hätte.
Carmen ließ sich kraftlos in die Polster fallen und atmete tief durch. Susanne war starr vor Entsetzen und riss Augen und Mund auf.
„Siehst du, wenn du gefahren wärst, würden wir beide jetzt nicht mehr leben“, sagte Carmen beherrscht.
Susannes Erstarrung löste sich und sie trommelte wie wild auf ihre Mutter ein. Rotz und Wasser liefen ihr an Gesicht und Hals herab. Sie schrie zusammenhangloses Zeug, und als sie feststellte, dass Carmen alles ruhig über sich ergehen ließ, ohne aus der Haut zu fahren, sank sie in sich zusammen und schluchzte still in sich hinein.
„Hast du dich endlich beruhigt?“, fragte Carmen, und ohne eine Antwort abzuwarten: „Wer war denn dieser Idiot? Du kennst ihn doch sicher aus der Disko.“
Susanne fasste sich. Sie sah ein, dass ihre Mutter nicht in der Lage war, das Problem zu erkennen. „Das war Charly“, flüsterte sie. „Er ist so impulsiv. Er reagiert sich mit dem Auto ab, wenn ihn eine aufregt.“
Carmen gab vorsichtig Gas um zu sehen, ob der Motor noch lief. „Dann bin ich also Schuld, dass er uns beinahe getötet hätte? Wäre ich nicht heute Nacht aus dem Urlaub gekommen...“ Sie sprach nicht weiter.
Susanne nickte und formulierte vorsichtig. „Klar ist er ein Idiot, aber er kann jede haben, und weil er das weiß, probiert er seine Macht immer und immer wieder aus. Er ist Waise und im Heim aufgewachsen, weißt du? Wahrscheinlich hat er eine andere im Wagen, allein schon, um sich zu zeigen, dass ich ersetzbar bin.“
Carmen begriff. Für sie war das Thema Charly abgehakt. „Und was wolltest du mir vor deinem Wutanfall beichten?“
Susanne holte tief Luft. „Mama, willst du jetzt, hier im Auto und nach Mitternacht über das Thema reden?“
Carmen nickte. „Klar, ich bin nicht müde, und es scheint dir doch wichtig zu sein. Nach dieser Aufregung kannst du bestimmt nicht schlafen.“ 
Susanne seufzte tief. „Ok“, gab sie nach. „Es geht um dich und um dein zweigeteiltes Gerechtigkeitsempfinden.“
„Ist mein Empfinden zweigeteilt?“
Susanne nickte heftig. „Wenn ich dir ein Beispiel bringen soll, musst du aber ruhig bleiben und nicht dermaßen wütend werden, dass ich mich dann doch nicht traue.“
„Bin ich eben wütend geworden? Das warst doch wohl du. Ich bin die Ruhe selbst.“
„Eben, Mama, und das kenne ich eigentlich nicht von dir. Also gut. Eben hast du abfällig betont, wie unmöglich du es findest, wenn 18jährige nach der Disko in einen Waldweg einbiegen und knutschen. Weißt du, es gibt hundert Beispiele und mehr, und ich rede nur von denen, die ich selber erlebt habe, hundert, die ich beurteilen kann. Zum Beispiel auf Opas Beerdigung, wo du mit diesem Kerl vom Beerdigungsunternehmen unter dem Tisch mit den Füßen geturtelt hast. Dann bist erst du aufgestanden und zur Toilette gegangen und er ist dir kurz danach gefolgt. Ich bin euch nachgeschlichen und habe euch belauscht. Das war kein Knutschen nach der Disko, das war wilder Sex, Mama, und du warst so laut, dass ich Angst hatte, man würde dich im Saal bei der Trauerfeier hören. Noch während der Pfarrer ein paar nette Worte über Opa sprach.“
Carmen dachte nach. Sie blieb völlig ruhig und sagte klar und deutlich, dass sie sich zwar daran erinnern könne, aber nicht bereit sei, dazu Rede und Antwort zu stehen.
Susanne wurde nun noch direkter. „Mama, du bist das heißblütigste Luder, das ich in meinem kurzen Leben kennen gelernt habe. Du hast Peter verführt...“
„...Peter?“
„Ja, Peter, als er uns besuchen kam. Ich wollte ihn dir vorstellen, weil es etwas Ernsteres war. Bring’ ihn doch mal mit, hast du zu mir gesagt. Du hast ihn schnuckelig gefunden und mich Sahne holen geschickt, Sahne vom Konditor, zum Gugelhupf, zu dem doch nun wirklich keine Sahne passt. Ich bin misstrauisch geworden und habe euch belauscht. Du hast ihn regelrecht vergewaltigt. Da war es natürlich aus zwischen Peter und mir.“
„Ach so, Peter hieß der...“
„Und dann dein Fable für Fußballspieler. Papa spielte in der Kreisliga. Er musste wegen Verletzung ausgewechselt werden. Der einzige Ersatzmann war nicht anwesend, weil du ihn in der Kabine zwischen Stinkesocken und verschwitzten Trikots vernascht hast. Der Trainer ging ihn suchen, brüllte wie ein Ochse nach ihm, und als er ihn endlich fand, rannte der Ersatzspieler nach einem gewaltigen Anschiss aufs Spielfeld und der Trainer blieb statt seiner bei dir. Die ganze Mannschaft, ja das ganze Dorf machte sich lustig über dich und Papa zum Gespött. Das ist einer der Gründe dafür, dass Papa dich verlassen hat.“
„Aber sie haben doch noch gewonnen“, wandte Carmen vorsichtig ein.
„Aber doch nicht deinetwegen, Mama. Man könnte höchstens behaupten, dass sie trotz deiner gewonnen haben. Aber das Schlimmste habe ich noch gar nicht erwähnt. Papa hat es mir erzählt. Dein Chef hat Besuch von einer befreundeten Firma gehabt, ein international tätiges Unternehmen. Felcher hat mit dir angegeben, hat gesagt, dass keine so leicht erregbar sei wie du. Er hat dich in deinem Beisein verscherbelt wie ein Stück Dreck, und du hast das Ganze einfach so mitgemacht, ohne zu protestieren. Wie bei den Eskimos.“
„Innuit“, verbesserte Carmen. „Die Innuit verleihen ihre Frauen an gute Freunde, die zu Besuch sind.“
Susanne starrte ihre Mutter zweifelnd an, als müsse sie prüfen, ob diese Situation geträumt oder real war. Sie riss die Autotür auf. „Gehab’ dich wohl, du tollste Mutter aller Zeiten. Ich gehe zu Papa. Der wird sich freuen. Endlich kriegt er seine Meinung über dich bestätigt.“
Carmen wartete, bis Susanne im Gebüsch verschwunden war, zuckte mit den Achseln und gab Gas. 
 
 

Hier der erste Teil eines Drehbuchs. Bei Interesse bringe ich die Fortsetzung.

Leider lässt sich die vorgeschriebene Form nur sehr mügsam bei e-stories verwirklichen:

Noch was: Handelnde Personen verkörpern nicht unbedingt meine Vorstellungen von idealen Menschen.
Jürgen Berndt-Lüders, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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