Klaus-D. Heid

Süße Sünde ...

Liesegang vergaß nur für einen winzigen Augenblick, was ihm sein Zahnarzt gesagt hatte. Eine klitzekleine Sekunde entschied also über Liesegangs Schicksal. Und eben jene Sekunde war es auch, die jeden Zweifel an einem grässlichen und schmerzerfüllten Schicksal, ausmerzte...

„Niemals Bonbons, niemals Weingummi und niemals – wirklich NIEMALS – Karamellkonfekt!“

Genau das waren die Worte, an die Liesegang gedacht haben musste, als er mit einem Schmerz konfrontiert wurde, der seinen Ursprung entweder in der Hölle hatte oder den seelischen Abgründen eines perversen Tierquälers entsprungen war.

„...NIEMALS Karamellkonfekt!“ hatte Doktor Zibelius besonders betont, weil er eben Liesegangs Vorlieben richtig einzuschätzen wusste.

„...nicht nur, weil ich Ihr Zahnarzt bin, sondern auch, weil ich Ihnen ein grausames Ende ersparen möchte, verbiete ich Ihnen jede Form von zuckrigen, klebrigen und ungesunden Süßigkeiten! Am allerschlimmsten jedoch, mein lieber Liesegang, ist Karamell. Natürlich werden Sie sündigen. Natürlich werden Sie naschen und mir erzählen, sie hätten tapfer jeder Versuchung widerstanden. Lügen Sie mich an; lächeln Sie mir ins Gesicht und sagen Sie mir die Unwahrheit! Damit komme ich schon irgendwie klar. Aber bitte! Bitte, BITTE! KEIN KARMELKONFEKT!“

Der alte Zahnklempner kannte seine Pappenheimer schon. Er kannte alle Versuchungen und Verlockungen, die einem vorgaukelten, hemmungslos von verbotenen Früchten naschen zu dürfen. Doktor Zibelius hatte in seinen fast vierzig Jahren Praxis so viele Moralleichen erlebt, dass es ein Wunder war, wie er immer noch an am Guten im Menschen festhielt.

„Neeeeiiiin...!“ schrie das bisschen Verstand von Liesegang, als ihm bewusst wurde, dass es bereits zu spät war! Seine Zähne verbissen sich in eben jenem verführerisch aussehenden, kleinen Stückchen Karamellkonfekt, das Doktor Zibelius nur den „...süßen Satan“ nannte. Die Motorik des Kauvorganges setzte ein und ließ sich nicht schnell genug abbremsen. Ober- und Unterkiefer starteten den bedingungslosen Krieg gegen den Mundinhalt und begannen ihre Attacke gegen den Eindringling. „vernichten...,vernichten....,vernichten...“ musste jemand den Zähnen einprogrammiert haben. „...nicht auf Verluste achten. Einfach nur - vernichten...!“

Der sofort einsetzende Schmerz riss Liesegang das Gehirn aus dem Schädel. Eine unsichtbare Kraft schälte ihm die Haut vom Kopf und übergoss ihn mit siedendem Fett. Milliarden von Teufeln mit Sägen und Zangen vergnügten sich an Liesegangs schmerzverzerrtem Gesicht und steigerten sich in einen wahren Rausch aus Hass und Bosheit. Aus den Pupillen ihres Opfers stiegen kleine Rauchschwaden; die Beine knickten ein, als wären sie dem Gewicht der Schmerzen nicht gewachsen und Liesegangs Hände verformten sich zu Krallen, denen jegliches menschliches Aussehen fremd war. Der Bruchteil eines Augenblickes verwandelte einen Menschen in ein Monstrum mit bizarrem Äußeren. Und alles nur, weil Liesegang diesen winzigen Moment die Worte seines Zahnarztes vergessen hatte...

Die Obduktion von Liesegangs entstelltem Körper in der städtischen Sankt Vincent Klinik verursachte auch in den abgebrühten, Gott wer weiß was kennenden Gemütern, Ekel und Übelkeit. Natürlich erkannten die obduzierenden Ärzte jenes typische Karamellkonfekt-Syndrom – aber einen solch scheußlichen und abstoßenden Fall hatten auch sie noch niemals erlebt. Aus völlig unbegreiflichen Motiven wurden auch für Obduktionen notwendige Werkzeuge sterilisiert, um dann in schon totes Gewebe einzudringen. Eine dieser sterilen Zangen versuchte nun also, Liesegangs Kiefer auseinander zu ziehen, um an das Corpus delicti zu gelangen.

„..sitzt verdammt fest. Versuch es mal mit dem elektrischen!\"

Der jüngere, weiß gekleidete Arzt nahm allen Mut zusammen und näherte sich mit der elektrischen Reißzange Liesegangs Kiefer. Unter Aufbringung aller körperlichen Kräfte und unter Ausnutzung der Hydraulik wurde der Kiefer auseinander gerissen. Knochen brachen und splitterten; Fleisch riss in Fetzen; Liesegangs Zunge platzte wie ein Ballon unter der Gewaltanwendung. Und dann endlich sahen die geschockten Ärzte, was einen Menschen zu einem verkrüppelten Horrorszenarium werden ließ.

„...niemals, mein lieber Liesegang. NIEMALS KARAMELLKONFEKT!“

Doktor Zibelius hatte schon ganz Recht!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.10.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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