Hans Pürstner

Die ärztliche Kunst

Heftiges Stechen in der Schulter lässt den Patienten zusammenzucken. Fieberhaft überlegt er, wo er sich diese schmerzhafte Sache zugezogen haben könnte. Da sich weder der gestrige Ausflug ins Grüne noch der abendliche Besuch eines Grillabends wirklich als Erklärung anbieten, beschließt der gute Mann zur Arbeit zu gehen und im Lauf des Tages telefonisch einen Termin beim Hausarzt zu erbeten.
Am nächsten Tag versucht er mit allen Mitteln rechtzeitig Feierabend machen zu können um den inzwischen arrangierten Termin einhalten zu können.
„Na, Herr Meier, was kann ich für Sie tun?“
Auf die entsprechende Antwort hin bittet der Hausarzt ihn aufzustehen und den rechten Arm hochzuheben. Da sich dessen Gesicht nach diversen Drehbewegungen sofort vor Schmerz verzerrt, setzt sich der Doktor an seinen Schreibtisch, um eine Überweisung für den Orthopäden auszustellen.
Ohne sich weiter um die Schmerzen von Herrn Meier zu kümmern, verabschiedet er ihn, immerhin mit den freundlichen Wünschen zur guten Besserung.
Am Tag 3 nach erstmaligem Auftreten der Schmerzen steht nun die Suche nach einem Orthopäden in der Nähe und der Vereinbarung eines Termins an.
„Frühestens in drei Wochen...“ flötet die genervte Stimme der Sprechstundenhilfe ins Telefon.
„Ich habe aber heute Schmerzen und nicht in drei Wochen“ antwortet der frustrierte Herr Meier.
Nach dem vierten Versuch gelingt es ihm, einen Arzttermin für Ende der Woche zu bekommen, wenn auch am anderen Ende der Stadt.
Seufzend macht er sich auf den langen Weg, setzt sich ins brechend volle Wartezimmer und vertraut auf den versprochenen Termin. Ein Patient nach dem anderen wird aufgerufen, nur er nicht. Dass einige dieser „Glücklichen“ gar nicht zur Sprechstunde, sondern nur zur Spritze oder ähnlichem gekommen waren, weiß Herr Meier ja nicht und fühlt sich vergessen. Endlich weiß er warum im Englischen nicht nur der Patient so heißt, sondern das gleichlautende Adjektiv „geduldig“ bedeutet.
Endlich ist er an der Reihe.
„Na, wo tut’s denn weh?“, fragt der Orthopäde jovial, nachdem er ihm die schmerzende rechte Hand geschüttelt und wieder mal die obligate Frage, was er für ihn tun könne, gestellt hat.
„Oh, oh, oh!“ meint er nach kurzer Untersuchung. „Wurde das denn schon geröntgt?“
„Wie denn, du T…., das kann doch nur ein Arzt anordnen“ schimpft Herr Meier im Stillen, antwortet aber natürlich höflich mit „Nein“ „Ja, ohne Befund kann ich Ihnen nicht helfen“, meint der Doktor.
Glücklicherweise gibt es im selben Haus eine Röntgenpraxis die ihn erstaunlicherweise auch am gleichen Tag noch dran nimmt. Die Schulter schmerzt zwar wie eh und je, aber man freut sich ja auch über kleine Dinge. Vier Tage sind vergangen, noch wurde nichts gegen die Schmerzen gemacht
Am nächsten Nachmittag derselbe lange Anfahrtsweg zur Praxis, heute geht es überaschenderweise ohne Termin und schon nach anderthalb Stunden sitzt er wieder seinem Arzt gegenüber.
„Also ich kann da nichts erkennen“ brummelt er nach Ansicht der Röntgenaufnahme. Den schüchternen Einwand, dass der Radiologe ja seine Diagnose mitgeliefert habe, tut er mit einer ärgerlichen Handbewegung ab. “Was weiß der schon über Orthopädie!“
„Also, ich werde es erst mal mit der konservativen Methode versuchen, operieren kann man immer noch“ brummelt er und stellt eine Überweisung zur Krankengymnastik aus.
Wieder dasselbe Lied, Adresse und Telefonnummer raussuchen und Termine vereinbaren.
Die Krankengymnastin schaut unschlüssig auf die Behandlungsanweisung und fragt mal wieder, wo es wehtut.
Nach sechs Behandlungen, sprich drei Wochen, hat sich an den Schmerzen nichts geändert, entgegen der Behauptung aller Experten „Bewegung ist das A und O!“
Freunde, Bekannte und Kollegen verzichten mittlerweile schon in weiser Voraussicht darauf, bei der Begrüßung die obligatorische Frage „Wie geht´s ?“ zu stellen, lassen es sich aber dennoch nicht nehmen, ihm allerlei Hausmittel und gute Ratschläge zukommen zu lassen. Herr Meier beschließt, es erneut beim Orthopäden zu versuchen. Der Fahrstuhl des fünfgeschossigen Hauses klemmt, also auf zu Fuß nach oben in die Praxis.
„Haben Sie eine Überweisung oder zahlen Sie die 10€ iPraxisgebühr n bar? Heute ist der erste Tag des neuen Quartals!“ blafft ihn die Mitarbeiterin am Empfang an, anstelle einer Erwiderung seines hölichen Grußes.
Der Doktor ist etwas freundlicher, aber gegen die Schmerzen selbst will er immer noch nichts unternehmen.
„Da hilft nur noch ein Kernspin MRT, dann sehen wir weiter. „Spritzen helfen bei so was eh nicht, hier, ich gebe ihnen ein paar Schmerztabletten.
Immerhin, nach vier Wochen der erste Therapieversuch.
Nach einer weiteren Woche, die Schmerztabletten waren übrigens wirkungslos, wenn man von den starken Magenschmerzen als Nebenwirkung mal absieht, sitzt Herr Meier, nun mit MRT Befund wieder dem „Spezialisten“ gegenüber
„Mein Kollege Doktor XYZ macht diese Eingriffe, ambulant, Sie können am gleichen Tag wieder nach Hause“ eröffnet ihm der Doktor, nachdem er den Befund des Radiologen diesmal ohne zu murren akzeptiert hat.
Nach dem Eingriff, inzwischen sind drei Tage ins Land gegangen, darf Herr Meier zwar nach Hause, aber nicht im eigenen Wagen, das hat ihm bloß keiner vorher gesagt. Also Auto stehen lassen und ein Taxi rufen.
Sechs Wochen soll er nun mit dem rechten Arm in einer Schiene diesen ruhig halten.
Die Schmerzen sind natürlich nicht besser sondern schlimmer geworden, ganz natürlich nach einer OP, wie ihm alle versichern. Trösten kann ihn das nicht wirklich.
Nach sechs Wochen sind die Muskeln völlig schlaff, was liegt da näher, als erneut eine Behandlung bei der Krankengymnastin.
Nach weiteren drei Wochen haben sich die Muskeln, nicht ohne schmerzhafte Übungen auch zu Hause, einigermaßen regeneriert.
Bei der Abschlussuntersuchung beim Operateur stellt sich heraus, dass sich an den stechenden Schmerzen in der Schulter leider nichts geändert hat.
„Tja, Wunder können wir halt leider auch keine vollbringen", seufzt der Doktor.
„Kopf hoch, das wird schon wieder. Und denken Sie dran, Bewegung ist das A und O!“
Die einzige darauf passende Bewegung, das Tippen des Zeigefingers an die Stirn, verkneift er sich wohl oder übel und tritt, frustriert von der ärztlichen „Kunst“, den Heimweg an.


 

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