Jürgen Berndt-Lüders
Vom Renner zum Rentner
Wenn man zwischen die beiden 'n' ein 't' setzt...
Was bin ich froh, Rentner zu sein, auch wenn ich nebenher und unbeabsichtigt älter geworden bin.
Was bin ich für den Betrieb all die Jahre gerannt, und was habe ich nicht alles abgeschüttelt von dem, was ich eigentlich nie wollte, aber musste, wenn ich mein tägliches Brot genießen wollte.
Von meiner Familie gar nicht zu reden.
Dabei fing alles so gut an, als ich mich vor 45 Jahren bewarb. Damals herrschte noch Fairness im Betrieb, wir waren noch ehrlich und aufrichtig zueinander.
Als junger, naiver Schnösel musste ich im Vorzimmer, im Reich der Sekretärin warten, bis der Chef für das Einstellungsgespräch Zeit hatte. Ich wusste, dass sie in Wahrheit über mein Schicksal bestimmte, weil sie starken Einfluss auf den Chef hatte, also machte ich ein trauriges Gesicht, so lange, bis es ihr auffiel.
„Was haben Sie denn?“ fragte sie.
„Ach, nichts“, behauptete ich.
„Nun sagen Sie schon.“
„Nein, wenn ich Ihnen sagen würde, wie toll ich Sie finde, würden Sie das für plumpe Bestechung halten. Also sage ich es lieber nicht.“
Ich bekam den Job.
So ging das all die Jahre. Die Sekretärin wurde mir vertraut. Seit ich sie dabei erwischt hatte, wie sie einen frisch getippten Brief zerknüllte und mit einem Wutschrei in die Ecke feuerte, wurde alles viel leichter für mich.
„Vertippt?“, fragte ich mit möglichst viel Mitgefühl in der Stimme.
„Nein. Der Brief war okay.“
“Aber warum nachen Sie ihre Arbeit kaputt?“
„Ich hatte mir grad vorgestellt, der Brief sei der Chef.“
So war sie, aber andererseits war sie auch ganz anders zum Boss. Einmal, im Winter, kam er mit durchnässten Schuhen ins Büro. Er zog sie aus und stellte sie auf die Heizung. Als die Sekretärin gelüftet hatte, schaute sie auf seine Füße. Die Zehennägel hatten sich ihre Freiheit erkämpft, und anstatt ihm eine Nagelschere zu kaufen, schenkte sie ihm Hausschuhe in Übergröße.
Damit die Zehennägel mehr Platz hatten.
Als sie in Pension ging, bekamen wir eine, die hätte dem Chef die Zehennägel sogar geschnitten. Knieend, unter seinem Schreibtisch, während er wichtige Telefonate führte.
Das Betriebsklima wurde immer schlechter. Die Kollegen spielten sich gegeneinander aus. Mir blieb nichts weiter übrig als dies unwürdige Spiel mitzuspielen. Die gemeinste Kollegin habe ich später geschwängert und dann geheiratet, damit sie mir im Betrieb nicht schaden konnte. Sobald sie auf die Idee kam, wieder arbeiten zu gehen, war ich besonders lieb zu ihr. Auf die Art bekamen wir einige Kinder.
Frust im Betrieb braucht ein Ventil. Mein Ventil war meine Familie, aber nur, weil ich nicht wusste, wo man Bengalos kaufen konnte, zum Abbrennen im Fußballstadion. Außerdem habe ich mal einen auf die Nuss gekriegt, als ich in der falschen Fankurve Tor gebrüllt hatte.
Wieviele Jahre habe ich meine Wut über die Kollegen im Betrieb an meiner Familie ausgelassen, und ich habe erst damit aufgehört, als kürzlich meine Frau einfach ihr Hörgerät abschaltete, als ich sie anschrie. Und mein Großer, der Bengel, hat seine Reaktionszeiten im Sport dermaßen verbessert, dass ich unseren Garderobenspiegel zerschlug, als ich ihm eine scheuern wollte. Die Hand war gebrochen und es hat entsetzlich geblutet.
Jetzt bin ich pensioniert. 45 Jahre habe ich durchgehalten. Ich habe jeden Scheiß mitgemacht und bin schließlich eine knappe Stufe unterm Chef gelandet. Nun konnte ich nach Herzenslust nach unten austeilen, aber die Zehennägel schnitt ich mir immer noch selber. Sowas kann man ja keiner Frau zumuten. Vor allem, was hätten die Kollegen denken sollen, wenn sie ins Büro gekommen wären und meine Sekretärin hätte unter meinem Schreibtisch gekniet?
Mein Rentner-Alltag ist langweilig, zugegeben, aber ich bin in einer Internet-Community, und wenn mir mal wieder total mies ist, klicke ich auf ein paar Artikel, mache die Autoren fertig und gehe wieder. Dann ist mir besser.
Meine Frau arbeitet wieder. Sie kann mir jetzt ja nicht mehr schaden, und tagsüber bin ich sie los.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.07.2012.
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