Jürgen Schnaible

Die neue Welt der anderen

Wie eine riesige, glänzende Scheibe steht das riesige Raumschiff regungslos am Himmel. Es ist ganz plötzlich aufgetaucht, und keiner weiß, woher es kommt. Es fliegt mit konstanter Geschwindigkeit und Höhe über die Erde hinweg, mit einer Gelassenheit, als könnte dem Schiff niemand etwas anhaben. Es strahlt eine Überlegenheit gegenüber den Menschen aus, die es so noch nie zuvor gegeben hat. Überall in den Medien wird von dem Ereignis berichtet. Spätestens jetzt ist jedem klar, dass die Menschen nicht allein sind, und es noch anderes intelligente Leben außerhalb der Erde gibt. Rund um die Welt bestaunen die Menschen über die digitalen Medien das fremde Objekt. Was wollen diese Fremden bei uns? Sind sie uns friedlich oder feindlich gesinnt? Man hat noch nicht viel über das Schiff in Erfahrung bringen können. Mit Flugzeugen und Hubschraubern hat man versucht sich dem Objekt zu nähern, jedoch kommt man nicht besonders nahe heran. Es muss mit einem Kraftfeld umgeben sein, durch das es kein Durchkommen gibt. Man prallt einfach daran ab. Somit halten die Fremden die Menschen auf Distanz. Auch hat man mit Teleobjektiven das vorbeifliegende Raumschiff fotografiert und gefilmt, jedoch nichts erkennen können, das einem mehr über die Außerirdischen verrät. Somit fliegen die Fremden, versteckt in ihrem Raumschiff, in aller Ruhe unaufhaltsam um die Erde.

Seit drei Tagen bereits umkreist das fremde Schiff die Erde, und niemand kann es scheinbar aufhalten. Warum auch? Keiner weiß ja schließlich, was die Besucher wirklich wollen. Anmutig wirkt es auf die Menschen, an denen es vorbeifliegt. Wann würde die Menschheit so weit sein, so etwas sein eigen zu nennen? Bis dahin können die Erdenbewohner nur unterwürfig dem Objekt hinterher schauen, das über ihre Köpfe hinwegfliegt. Plötzlich bleibt das fremde Schiff nach drei Tagen ununterbrochenem Flug einfach stehen. Die Menschheit hält den Atem an. Was wird passieren? Egal was kommt, man wird es nicht beeinflussen können. Gespannt wartet man auf eine Reaktion der Fremden. Dann plötzlich fliegt das Raumschiff davon. Hinaus in den Weltraum, woher es gekommen ist. So schnell, wie es gekommen ist, so schnell ist es verschwunden. Alle sind überrascht, dass die Besucher einfach wieder wegfliegen, nachdem sie seit drei Tagen die Erde erkundeten. Werden sie zurückkommen, oder für immer weg bleiben? Vergessen wird man das Ereignis auf jeden Fall nicht, denn es hat die Weltanschauung verändert.

Zwei Monate sind inzwischen vergangen, seit das fremde Schiff verschwunden ist. Die Menschen sind seitdem wieder allein auf ihrem Planeten. Dennoch herrscht eine bedrückte Stimmung. Man hat die Erde und ihre Bewohner entdeckt, und deswegen muss man jederzeit mit allem rechnen. Mit modernster Technik wird seitdem die Umgebung der Erde beobachtet, um auf weiteren Besuch vorbereitet zu sein. Obwohl es eigentlich sinnlos ist, da man sowieso nichts gegen die Fremden unternehmen kann. Aber man will sich keine Untätigkeit nachsagen lassen, obwohl die Machtlosigkeit eindeutig ist. Das Ganze beweist sich, als plötzlich die fremden Besucher wieder da sind. Jedoch nicht mit einem, sondern mit mehreren Raumschiffen. Ganz plötzlich fliegen sie wieder um den Planeten, und die Menschheit schaut hilflos zu.

Die fremden Raumschiffe formatieren sich und fliegen gezielt über die Erde. Dabei lassen sie ununterbrochen etwas aus ihren Schiffen auf den Boden hinab fallen. Die Dinger auf dem Boden sind fremder, pflanzlicher Samen, den es so auf der Erde nicht gibt. Auf jedem fruchtbaren Boden dieses Planeten liegt der gleiche Samen. Wenn dieser auf unserem Boden aufgeht, dann würde bald eine neue Pflanze auf der Erde wachsen. Was wird das für eine Pflanze sein? Was wollen die Fremden mit dieser Pflanze bei uns? Die fremden Raumschiffe fliegen unterdessen unaufhörlich um die Erde und übersäen systematisch die Landschaften. Erst als sie ihre Ladung abgeworfen haben, verschwinden die außerirdischen Besucher wieder von der Erde und lassen die Menschen mit ihrem Geschenk allein.

Es ist jetzt ein Jahr vergangen, als die fremden Raumschiffe den Pflanzensamen auf der Erde verteilten. Die Pflanze, die daraus wächst, hat die Landschaften der Erde unübersehbar verändert. Wenn man die Pflanze abschneidet, wächst sie sofort wieder nach. Man muss die Wurzel komplett ausgraben, um zu verhindern, dass nichts nachwächst. Da die Pflanze fast überall wächst und selber neuer Samen verteilt, ist es fast unmöglich, sie wieder loszuwerden. Das will auch niemand, denn diese neue Pflanze, der man den Namen Aurora gegeben hat, kann man essen und schmeckt so gut, dass sie als neue Delikatesse gehandelt wird. Auch zur Energiegewinnung kann man sie verwenden. Zudem verbreitet Aurora einen angenehmen und beruhigenden Duft. Da sie auch noch sehr resistent gegen Schädlinge und Umwelteinflüsse ist und schnell wächst, wird sie als dankbares Geschenk der Außerirdischen angenommen.

Als dann fünf Jahre vergangen sind, steht die Menschheit vor einem Problem. Der Sauerstoffgehalt der Luft hat drastisch abgenommen. Niemand kann sich dieses Phänomen erklären. Den Menschen fällt es zunehmend schwerer zu atmen und die Wissenschaftler suchen verzweifelt nach der Ursache. Als die Ursache dann endlich gefunden wird, sind alle entsetzt, denn es ist die neue Pflanze, die die Atemluft auf der Erde verändert. Aurora, die Pflanze, die überall auf dem Planeten verteilt, sehr beliebt und fester Bestandteil des täglichen Lebens ist. Muss man sie jetzt vernichten? Man muss, wenn man die Menschheit retten will.

Schweren Herzens fängt man an, Aurora systematisch zu ernten und dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr nachwächst. Man muss die kompletten Wurzeln ausgraben, um ein Nachwachsen zu verhindern. Zudem kämpft man gegen die Zeit, da sich die Atemluft weiterhin verschlechtert. Gleichzeitig werden wieder andere Pflanzen angebaut, um die Ernährung der Menschen sicherzustellen. Dadurch wird auch die Atemluft wieder verbessert. Aber auch zur Energiegewinnung wird Aurora wegfallen, wofür man wiederum Ersatz braucht. Inzwischen müssen schon die ersten Tiere unter der veränderten Luft leiden. Einige besonders empfindliche Tierarten sind schon vom Aussterben bedroht. Auch kranke und ältere Menschen reagieren empfindlich auf die Veränderung. Die Verschlechterung der Luft geht schneller voran, als die Rückkultivierung der Erde. Zu lange hat man mit der fremden Pflanze gelebt und angebaut, um sie von heute auf morgen zu beseitigen.

Zwei Jahren lang versuchen die Menschen verzweifelt, das Geschehene rückgängig zu machen und Aurora zu beseitigen, um sie durch einheimische Pflanzen zu ersetzen. Doch es ist zu spät. Die Atemluft hat sich so sehr verschlechtert, dass bereits viele Tiere, aber auch Menschen, gestorben sind. Die einheimischen Pflanzen sind selber durch die veränderte Luft angeschlagen und können der Veränderung des abnehmenden Sauerstoffgehaltes nicht entgegenwirken. Die Menschen merken, dass sie den Kampf verloren haben, und ziehen sich in luftdichte Bunker zurück. Dort haben sie zahlreiche Nahrungsmittel gelagert und erzeugen mit modernsten Maschinen ihre eigene Atemluft. Doch wie lange werden die Maschinen funktionieren? Irgendwann wird keine Antriebsenergie mehr zur Verfügung stehen, wenn sie nicht vorher von selber kaputt gehen. Der Menschheit stehen keine Raumschiffe, wie die der Fremden, zur Verfügung, mit denen sie von der Erde flüchten könnten. Doch wohin sollen sie fliegen? Somit verstecken sich die letzten lebenden Menschen in ihrer kleinen, selbst erschaffenen Welt ohne Zukunft und warten auf ihr Ende.

Es sind nur noch wenige Überlebende in ihren Bunkern übrig. Ab und zu schauen sie durch die fest eingebauten Glasfenster nach draußen, wie sich die Welt verändert. Keiner glaubt jetzt mehr an ein Wunder, dass die Welt noch retten könnte. Alle fragen sich, warum die Fremden eine ganze Zivilisation beseitigen wollen. Man hätte doch zusammenarbeiten können und jeder von dem anderen lernen. Doch jetzt ist es sowieso dafür zu spät und die Menschen geben sich ihrem Schicksal hin. Da ziehen plötzlich Schatten an den Bunkerfenstern vorbei und alle schauen nach draußen. Die fremden Raumschiffe sind wieder zurück. Zahlreich stehen sie am Himmel, wie der Jäger über der Beute. Da setzen die ersten Schiffe zur Landung an und die letzten Menschen beobachten gespannt, was jetzt passiert. Als diese gelandet sind, öffnen sich mehrere Tore und die Fremden verlassen ihre Schiffe, um den Planeten zu betreten. Das erste Mal sieht die Menschheit außerirdisches Leben. Doch diese Wesen wollen keine Freundschaft, auch wenn sie gar nicht mal so viel anders aussehen, wie die Menschen. Die Atemluft, die für die Menschen tödlich ist, scheint für die Fremden lebensnotwendig. Deswegen haben sie die verdammte Pflanze hergebracht. Soeben haben sie die Erde in Besitz genommen und keiner kann sie daran hindern. Sie haben die Menschen besiegt, ohne sie zu bekämpfen. Die Erde, die einst die Welt der Menschen war, ist jetzt die neue Welt der anderen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.07.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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