Sabine Dobbeck

Höhere Mathematik

„Schaaatz, hast du meine Brille gesehen?“ Der beste aller Ehemänner verdreht die Augen und schaut anklagend zur Decke. Gütiger Himmel, warum strafst du mich mit dieser Frau? Du gabst ihr zwei Ohren, um ihre Brille zu halten, wieso macht sie keinen Gebrauch davon? Sicher, das würde er niemals laut sagen. Aber ich kenne ihn lange genug, um seine Blicke richtig zu deuten. Und er hat ja recht. Ich kann die seltsamen Orte gar nicht mehr alle aufzählen, an denen wir meine „Zweiten“ schon gesucht und – glücklicherweise – bisher noch immer gefunden haben: im Korb mit der Bügelwäsche, auf dem Kleiderschrank, in der Mikrowelle, um nur einige zu nennen.

Mit Schlüsseln verhält es sich leider ähnlich. Vor ein paar Jahren verlegte ich gleich mein ganzes Schlüsselbund. Selbst unter Androhung der absoluten Höchststrafe (von Weihnachten bis Ostern kein Marzipan) erinnerte ich mich nicht, wo ich es zuletzt gesehen hatte, und wir mussten sämtliche Schlösser im Haus und an den Gartentoren auswechseln. Ein teures Vergnügen, wenn man eine zentrale Sicherheitsschließanlage sein eigen nennt. Monate später entdeckte ich es dann zufällig beim Entrümpeln der Garage in einer alten Plastiktüte. Wie es da hingekommen ist, bleibt auf ewig ein Geheimnis.

Vergangenen Mittwoch holte mich der Beste wie immer von meinem Besuch im Seniorenheim ab. Zur Feier eines persönlichen Jahrestages lud ich ihn zum Essen in die „Tiroler Bauernstuben“ ein. Dort gibt es echtes Wienerschnitzel vom Kalb, Käsespatzen und einen Kaiserschmarrn, wie man in Salzburg oder Linz keinen besseren bekommt. Satt und zufrieden fuhren wir anschließend nach Hause. Am Gartentor stieg ich aus, um aufzuschließen. Ich griff in meine Handtasche und erstarrte. Wo, zum Kuckuck, waren die Schlüssel? Mir wurde richtig schlecht. Hektisch kramte ich in der Tasche, jedoch ohne Erfolg. Wir stellten das ganze Auto auf den Kopf, aber die Schlüssel blieben unauffindbar. Nachfragen im Heim und im Restaurant erbrachten ebenfalls nur bedauerndes Schulterzucken. Sie mussten mir wohl irgendwo auf der Straße unbemerkt aus der Tasche gefallen sein. Das bedeutete, wieder mal um die 700 Euro in den Sand gesetzt, nur wegen meiner blöden Schusseligkeit. Niedergeschlagen ging ich zu Bett. Was für ein deprimierender Abschluss dieses bis dahin so schönen Tages! Wenigstens machte der Beste mir keine Vorwürfe und überging die Angelegenheit stillschweigend, was ich ihm hoch anrechnete.

In der Nacht schlief ich sehr schlecht; die Sache mit den Schlüsseln ließ mir keine Ruhe. Hatte ich sie vielleicht doch nur übersehen? Gegen vier Uhr morgens stand ich auf und schlich ins Wohnzimmer. Um Wendy nicht zu wecken, suchte ich im Dunkeln nach meiner Handtasche. Ich nahm sie mit in die Küche und schüttete den gesamten Inhalt auf dem Tisch aus. Wie heißt es in dem Lied von Ina Müller: „…denn im Grunde herrscht das Grau´n in den Handtaschen der Frau´n!“ Kaum zu glauben, mit dem, was ich da ans Licht meiner Küchenlampe beförderte, hätte ich glatt ein Kosmetikstudio eröffnen, einen Baumarkt ausrüsten und obendrein auch noch ein Lazarett errichten können. Nur Schlüssel fand ich keine. Die Tasche war leer bis auf den Grund, fühlte sich aber trotzdem noch irgendwie schwer an. Bei näherem Hinsehen erspähte ich ganz hinten ein kleines, diskretes, mit einem Reißverschluss versehenes Geheimfach. Zaghaft öffnete ich es und wurde vor Freude beinahe ohnmächtig: Darin steckten meine vermissten Schlüssel! Um sie nur ja nicht zu verlieren, hatte ich sie hier sorgfältig verstaut und später in meiner Panik natürlich nicht mehr daran gedacht. Mein Glücksgefühl in dem Moment lässt sich nur schwer beschreiben, aber Kolumbus muss ganz ähnlich empfunden haben, als er in Amerika landete.

Anderntags entdeckte ich in der Schmuckstunde eines bekannten Homeshoppingsenders ein bezauberndes Kollier aus Süßwasserperlen. Ich hatte schon öfter dort eingekauft, und war bisher immer zufrieden gewesen. Die Kette stand kurz vor dem Ausverkauf und war zudem kräftig im Preis reduziert, da war schnelles Handeln gefragt. Also nichts wie an den PC, die Seite aufrufen, Kunden- und Artikelnummer eingeben und per Mausklick die Bestellung abschicken. Kurz darauf erhielt ich von der Firma eine Mail als Bestätigung. In dem Augenblick betrat der beste aller Ehemänner mein Arbeitszimmer. Er sah mir über die Schulter, las die Nachricht und zog die Augenbrauen hoch. „Na“, fragte er anzüglich, „musstest du wieder Geld ausgeben? Hast du denn nicht schon genügend Klunkern?“ Im allgemeinen spricht man uns Frauen logisches Denken ja eher ab, doch hier reagierte ich blitzschnell. „Hör mal“, erklärte ich ihm, „das musst du anders rechnen. Schließlich haben wir dadurch, dass ich meine Schlüssel nun doch nicht verbummelt habe, jede Menge Kohle gespart. Die Kette kostet gerade mal ein Viertel davon, also bleibt unterm Strich noch ein hübsches Sümmchen übrig.“ Ungläubig staunend sah er mich an, soviel Rechenkunst hatte er von mir nicht erwartet. Immerhin war ich die mit dem „Mangelhaft“ in Mathe, von der 10. Klasse bis zum schriftlichen Abitur – aber in diesem Fall hatte ich recht, da biss keine Maus einen Faden ab. Ich rechnete erneut: Es stimmte, nach oben war noch reichlich Luft. Voller Freude bestellte ich mir zur Kette noch die passenden Ohrringe. Ein gewisser Betrag ging als Spende ans Tierheim und an die Berliner Tafeln. Vom Restlichen suchte der Beste sich eine kleine Lokomotive (von denen erallerdings auch schon genügend hat) für seine elektrische Eisenbahn aus.

Ich war äußerst zufrieden. Eigentlich ist die Mathematik ja doch eine feine Sache. Hätte ich das nur schon vierzig Jahre früher erkannt!

HAPPY END (wenigstens für dieses Mal…)

 

  

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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