Sabine Dobbeck

Ausgleichende Gerechtigkeit

Es gibt ein paar Dinge, von denen ich sicher glaube, sie passieren mir nie: Beispielsweise zu Kirschtorte „Nein, danke!“ sagen, zu Fuß auf einen Berg steigen oder einen Euro im Schlitz des Einkaufswagens stecken lassen. Das hat nichts mit Geiz zu tun; ich gebe gern Geld aus für mich und für andere. Aber es irgendwo einfach zu vergessen, das geht mir gegen die Natur.

Manche Zeitgenossen sind da weniger achtsam. Zu meiner Freude: Ich habe mir nämlich angewöhnt, immer erst die Wagenschlange zu kontrollieren, bevor ich mir einen aus der Kette ziehe. So werde ich hin und wieder fündig; und weil ich, ebenso wie Ina Müller in ihrem Lied, noch immer in Mark umrechne, halte ich dann jedes Mal fast ein Zweimarkstück in der Hand. Kein schlechter Schnitt für ein bisschen genauer hingucken, oder?

Am Sonnabend war ich schon um halb sieben Uhr morgens mit den Hunden unterwegs. Ich liebe es, in der Frühe durch den Wald zu gehen. Um die Zeit sind wir fast allein, ich kann den Sonnenaufgang beobachten und genieße die Stille.
Anschließend fuhr ich gleich noch zum Einkaufen. Besonders am Wochenende erledige ich das gern zeitig, bevor der große Ansturm beginnt. Mein erster Weg führte mich zum Bäcker, der in dem Supermarkt sein Geschäft, nebst einem kleinen Café, betreibt. „Shop-in-Shop“, wie das auf gut Neudeutsch heißt. Ich schob meinen leeren Einkaufswagen an die Seite, damit kein anderer Kunde darüber fallen konnte. Das Angebot war wie gewohnt vielfältig, und es fiel mir wieder einmal schwer, mich zu entscheiden. Zum Glück herrschte noch kaum Betrieb, und niemand drängelte. Nach zehn Minuten hatte ich dann endlich meine Wahl getroffen. Ich bezahlte, nahm Kuchenpaket sowie Brötchentüte in Empfang, um sie in den Korb zu legen – und ließ um ein Haar beides auf den Boden plumpsen. Mein Wagen war weg, dabei hatte er doch eben noch hier gestanden! Suchend blickte ich mich um und entdeckte zehn Meter weiter einen Herrn (wenn er denn einer war), der fröhlich vor sich hin pfeifend einen – meinen! – Einkaufswagen durch die Gänge schob. Na, das war ja wohl die Höhe! „He, Sie da!“, wollte ich schon losbrüllen. "Bringen Sie gefälligst die Karre zurück, die gehört mir!“ Nur, was sollte das nützen? Wie hätte ich beweisen können, dass es tatsächlich m e i n Euro war, der in dem Münzschlitz steckte? Ich fühlte, wie eiskalte Wut auf den dreisten Kerl in mir hochkam; doch dann obsiegte mein Sinn für Gerechtigkeit. Schließlich war es meine eigene Schuld, ich hätte den leeren Wagen nicht einfach so herum stehen lassen dürfen. Auch war mir kein Schaden entstanden – hatte ich doch erst wenige Tage zuvor wieder einen glücklichen Fund gemacht, das glich sich also aus. Und im Nachhinein besehen hatte mir der Wagendieb sogar einen Gefallen erwiesen, indem er mir die Steilvorlage für diese Geschichte lieferte. So fühlte ich mich am Ende noch als die Beschenkte. Es ist eben alles eine Frage des Blickwinkels und hängt ganz davon ab, in welchem Licht man eine Angelegenheit betrachtet.
Allen Lesern wünsche ich stets die richtige Perspektive!
  

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