Nina Lindemann

Gottes Antwort

Kano, Nigeria

Der europäisch aussehende Mann verließ die Baustelle. Er hatte einen Aktenkoffer bei sich, den er auf die Rückbank seines Jeeps legte. Der Mann ließ die Autotür zufallen und überquerte nun die staubige Straße. Dann kam ein schwarzer Lieferwagen um die Ecke geschossen und quietschend vor ihm zum Stehen. Die Tür wurden aufgeschoben und es kamen zwei Männer heraus, sie verbargen ihre Gesichter unter mit Keffiyehs. Sie fesselten den Europäer und stopften ihm den Mund. Er wurde unsanft in den Kofferraum geschubst. Der Wagen preschte davon. Alles war wieder still und friedlich. Da wo eben noch der Lieferwagen gestanden hatte, schien jetzt das Morgenlicht auf die Erde. Es schien wieder ein heißer Tag zu werden.

Wiesbaden, Deutschland
Hauptsitz des Bundes Kriminalamts

Dr. Chinaza Achebe drückte die replay Taste der Fernbedienung und schüttelte den Kopf. Sie sah sich mit ihren Kollegen jetzt schon das vierte Mal ein Video an, das der deutschen Botschaft in Nigeria zugesendet wurde. Es war ein Video der Entführer eines deutschen Ingenieurs. Bisher waren sie in dem Fall im Dunkeln getappt. Es hatte eine Frau mit ihrem Kind beobachtet, die aber nichts zu sagen hatte. Dr. Achebe blickte auf den Bildschirm des Fernsehers. Patrick Steiner, das Entführungsopfer saß auf einem Stuhl, hinter ihm zwei vermummte Männer mit Maschinengewehren. Im Hintergrund hing weißer Stoff. Der Wille Allahs geschehe, stand dort in arabischer Schrift. Es sprach eine Stimme, die nicht aus dem Bild zu kommen schien in brüchigem Deutsch: „Das ist der vermisste Mann, Dr. Patrick Steiner. Wir verlangen Yusra Ibrahim. Bringen sie sie uns.“ Yusra Ibrahim. Sie kannte den Namen. In diesem Moment kam ein Kollege in den Raum. „ Sie ist die Frau des Attentäters, der im Herbst eine Kofferbombe in der Berliner U-Bahn platzierte. Er stürzte sich vor den nächsten Zug. Seine Frau wollte nach Nigeria zurück, aber ist am Flughafen gefasst wurden. Sie ist mit der Al Kaida in Verbindung gebracht wurden und bekam sechs Monate.“ Ihr fiel der ganze Fall wieder ein. Sie nickte ihm zu und bedeutete ihm sich das Video anzusehen. Die Stimme forderte einen Austausch der Geisel gegen die Frau. Es sollte keine Polizei da sein. Niemand, außer einem Begleiter. Er nannte den genauen Platz der Übergabe. Sie müssen ein Auto mit vollem Tank mitbringen. Kein Peilsender oder Kennzeichen. „Keine krummen Dinger. Versucht es nicht“, fügte die Stimme hinzu. Einer der verschleierten Männer rammte der Geisel von hinten das Maschinengewehr in den Rücken. Dr. Steiner schrie auf. Er atmete hektisch und blickte um sich. „Yalla“, brüllte der Mann hinter ihm. Steiner wich der Kamera mit seinem Blick aus und begann: „ Ich bitte die Regierung um mein Leben.“ Seine Stimme war fest, dann wurde er auf einmal von Schluchzern geschüttelt. Er stockte. H! inter ih m wurde geschrien. Dann schoss einer der Männer Steiner in den Fuß. Er schrie. Vor Schmerz schossen ihm Tränen in die Augen. Das Video war an dieser Stelle geschnitten. Anscheinend war sein Fuß verarztet wurden. Er saß wieder auf dem Stuhl, diesmal sprach er lauter und hektischer: „ Al-Quaida, die Mudschahedin wollen mich töten… Es geht hier um mein Leben, sonst sterbe ich hier.“ Der Bildschirm wurde schwarz. Im Raum war es nun totenstill.
Dr. Achebe kam mit ihren Eltern, als sie acht Jahre alt war nach Deutschland. Trotzdem fühlte sie sich Nigeria sehr verbunden. Sie sprach fließend afrikanisch. Sie konnte sich in die Leute hineinversetzen und verstand sie. Sie liebte ihr Heimatland. Eine Rückkehr wäre jedoch ausgeschlossen. „Ich werde bei der Übergabe dabei sein.“ Der Mann, der Dr. Achebe gegenüberstand starrte sie an. „ Das geht nicht so einfach, Chinaza. Du kannst da nicht alleine hin. Du bist nicht befugt dazu. Wir können dich doch nicht in einem Geländewagen ohne Kennzeichen und Peilsensor an den Treffpunkt schicken.“ Eine Frau mit streng zurückgebundenen Haaren, die im Türrahmen gelehnt hatte ergriff nun das Wort: „Oh doch, wir können. Befehl von oben. Wir müssen sogar. Der Chef will sie. Wir können nicht eingreifen, weil sie anscheinend wirklich auf Ernst machen. Wir haben also beschlossen auf ihre Forderungen einzugehen. Ein deutscher Staatsbürger gegen eine nigerianische Terroristin. Sie wollen ein Auto? Wir bringen ihnen ein Auto. Keine Waffen und keine Satellitenüberwachung. Das Team wird außerhalb des Dorfes warten. Achebe fährt Ibrahim. Wir können nur hoffen, dass alles läuft, wie geplant. Sonst haben wir ein Problem. Das Ganze ist geheim. Wir waren nie hier, das Video hat es nie gegeben. Das Übliche.“

Lugbe, Nigeria

Als Achebe das Flugzeug verließ schlug ihr schwüle Luft entgegen. Sie und ihr Vorgesetzter wurden von einem großen, dunklen BMW abgeholt und zur deutschen Botschaft in Abuja gefahren. Dort wartete ein Team auf sie, was kurzfristig zusammen gestellt wurde.
Als am Morgen die ersten Sonnenstrahlen in ihren spärlich eingerichteten Raum trafen, fingen sie sich an auf die Übergabe vorzubereiten. Die örtliche Polizei wurde nicht eingeweiht, weil die Informationen so zwangsläufig auch bis zu der Al-Kaida durchsickern würden. So herrschte strenge Vertraulichkeit und Anonymität zwischen den Soldaten und Ermittlern.
Sie brachen gegen elf Uhr auf. Solange sie noch nicht in unmittelbarer Nähe des Platzes, an dem die Übergabe stattfinden sollte waren, musste Achebe im Laderaum eines alten Transporters mitfahren. Sie durften nicht auffallen. Wenn alles nach Plan verlief, würde sie zwei Kilometer entfernt vom Treffpunkt, eines kleinen Dorfes am Stadtrand von Laminga die Autos wechseln und in das geforderte Fahrzeug umsteigen, Yusra Ibrahim auf dem Beifahrersitz
Achebe kam die Straße nach Laminga ewig vor. Die große geteerte Straße wurde immer schmaler und mündete nach einiger Zeit in eine holprige Landstraße. Nach einigen weiteren Kilometern fuhren sie auf einem steinigen, sandigen Weg, der durch die glühende Steppe führte. Dann waren sie da. Achebe wechselte das Auto und fuhr die restlichen zwei Kilometer in das Dorf. Auf der Fahrt redete sie nicht mit Yusra Ibrahim. Sie schaute sie nicht mal an
.
Der Treffpunkt war auf dem Dorfplatz, auf dem sich Ziviliten tummelten. Verschleierte Frauen mit ihren Kindern, Männer, die ihren Pflichten nachgingen, Händler, Bettler, Kranke und Alte. Warum hatten sie genau diesen Platz für die Übergabe ausgewählt? Achebe parkte den Wagen vor einem anderen, der auf die Beschreibung des Wagens der Entführer passte. Neben ihm standen zwei Männer mit Waffen. Sie starrten in die verspiegelten Fenster des Autos mit dem Chinaza Achebe gekommen war. Chinaza ließ den Zündschlüssel stecken und stieg aus. Sie zeigte den Männern ihren Ausweis. Einer von ihnen vergewisserte sich, das Ibrahim wirklich im geforderten Wagen saß, dann winkte er dem anderen zu und sie stiegen ein. Sie fuhren weg. Chinaza stürzte zu dem Fahrzeug der Terroristen. Auf der Rückbank lag die Geisel. Patrick Steiner wirkte verstört. Seine Hosenbeine waren blutverschmiert. Er war gefesselt und ihm wurde der Mund gestopft. Der nächste Schritt war sich aus der Gefahrenzone zu bringen und wieder zurück zum Team zu fahren. Steiner schrie warnend auf. Achebe achtete nicht auf ihn, sie stand unter Adrenalin. Sie musste sie beide außer Gefahr bringen. Der Motor wurde angelassen. Einen Herzschlag später wurde der Dorfplatz von einer gewaltigen Detonation erschüttert. Die unstabilen Häuser stürzten ein, Glas zersprang, Leute starben. Dr. Chinaza Achebe und Patrick Steiner befanden sich im Explosionsherd.
Der Wille Allahs geschehe. Chinaza ist Gottes Antwort.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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