Rita Latz-Orlowski

Gedanken zur jüngsten Deutschen Geschichte

Heute wird es mal sachlich

Wenn man sich mit jüngeren Menschen unterhält, sieht man, dass in den Schulen Geschichte nicht gelehrt wird oder so uninteressant, dass wenig hängen bleibt. Daraus entstehen dann Meinungen, die zwar ein Gefühl beschreiben, aber mit der Realität wenig zu tun haben. Bei mir war das anders, denn Geschichte war mein Lieblingsfach. Ich möchte ein paar Fakten aufzählen - aber keine Sorge, ich schreibe kein komplettes Geschichtsbuch.

Nach Kriegsende, im Mai 1945, wurde von den Alliierten (Frankreich, Großbritannien, USA und UdSSR) Deutschland in vier Zonen aufgeteilt. Ausgenommen war die Hauptstadt Berlin. Im Vier-Mächte-Statut wurde die Verantwortung gleichermaßen auf die vier Siegermächte verteilt und die Stadt in vier Sektoren geteilt. Jeder der vier Alliierten erhielt einen Sektor, unterhielt dort eigene Streitmächte und hatte einen Militärflughafen. Und so blieb es bis 1990!

Nachdem sich die Ostzone (DDR) von den drei Westzonen (BRD) abgekoppelt hatte, versuchte die UdSSR zusammen mit der Führung der DDR immer wieder den Grundsatz durchzusetzen, dass Westberlin auf dem Boden der DDR liege. Mit Einschränkungen blieb aber der Vier-Mächte-Status erhalten. Praktisch konnte man das erkennen beispielsweise am Sowjetischen Ehrenmal im Westberliner Tiergarten und am Gebäude des Berliner Rundfunks an den Messehallen und dem Funkturm, sozusagen mitten in Westberlin.

Geteilt wurden auch die öffentlichen Verkehrsmittel: Die S-Bahn kam unter Verwaltung der Ostberliner, die U-Bahn der Westberliner. Bis zum Mauerbau 1961 fuhren die meisten Busse und Straßenbahnen noch über die Grenze.

Um Westberlin in das Gebiet der DDR eingliedern zu können und die Westmächte zum Abzug zu bewegen, kam es 1949 zur Berliner Blockade. Westberlin wurde von allen Landwegen abgeschnitten, und Westberliner durften von nun an das Gebiet der DDR nicht mehr ohne Passierschein betreten. Aber diese Einschränkung gab es nicht zwischen Ost- und West-Berlin. Den Westberlinern wurde die Wahl gelassen, entweder zu hungern oder sich in Ostberlin "einschreiben" zu lassen. Dann erhielten sie das Recht, in Ostberlin Lebensmittel einzukaufen.

Hier eine persönliche Anmerkung: Als ich meine Eltern fragte, warum wir uns nicht in Ostberlin einschreiben, sagten sie mir: "Wir haben die Nazis überlebt, jetzt werden wir uns nicht von einem anderen Regime unterkriegen lassen."

Alle Westberliner, die damals gelebt haben, werden niemals Ernst Reuthers Aufruf "Schaut auf diese Stadt..." vergessen, und niemals General Clay vergessen, der sich für uns in den USA, in Frankreich und England eingesetzt hat!

Aber es gab auch politische Überlegungen: Wenn Westberlin fällt, reicht das sowjetische Einflussgebiet bis an die Elbe. Und von dort aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Eroberung von ganz Europa, wobei alle Staaten noch vom letzten Krieg geschwächt waren und keine große Widerstandsmöglichkeit hatten.

"Rosinenbomber": Das ist eine der Verharmlosungen jener Zeit, die eigentlich nur die Dankbarkeit der Westberliner ausdrücken sollte. In Wirklichkeit haben wir gehungert, denn wir erhielten nur das zum Überleben unbedingt Nötigste, und Rosinen gehörten nicht dazu. Denn neben Nahrungsmitteln mussten auch Wirtschaftsgüter, Maschinenteile und vor allem Heizmaterial für Wohnungen, Fabriken und Kraftwerke eingeflogen werden. Und es stimmt auch nicht, dass an dieser Luftbrücke allein die Amerikaner beteiligt waren, sondern auch die Briten und Franzosen und - wenn ich mich recht erinnere - sogar Kanadier.

Die Flugzeuge starteten und landeten in Berlin-Tempelhof im Abstand von 60 bis 90 Sekunden. Leider sind dabei auch Piloten umgekommen. Die Westberliner haben ihnen ein Denkmal gebaut, die sogenannte "Hungerharke" am Flughafen Tempelhof, und wir denken immer noch mehr sehr viel Respekt und Dankbarkeit an sie.

Auf jeden Fall hat die Luftbrücke dafür gesorgt, dass Ostberlin nicht den Zulauf an Westberlinern erhielt, auf den es gehofft hatte. Und das führte schließlich zum Abbruch der Blockade und zur Öffnung der drei Transitwege zwischen Westberlin und Westdeutschland, nach Hamburg, Hannover und Hof.

Auch nach der Blockade blieben die Grenzen zwischen Ost- und Westberlin offen. Westberliner arbeiteten in Ostberlin und umgekehrt. Die Löhne und Gehälter wurden dann zum Teil in Ost- bzw. Westmark gezahlt. Diese Westberliner Pendler konnten in eigens dafür eingerichteten Läden auch für ihre Ostmark einkaufen. Ansonsten aber blieb das Einkaufsverbot in Ostberlin bestehen.

Der nächste Einschnitt folgte 1961 mit dem Bau der Mauer. Die Zahl der Ostdeutschen, die vor allen Dingen nach Westberlin flüchteten, nahm gewaltige Ausmaße an. Die Westberliner hofften, dass die Westmächte diesen Bau aufhalten würden. Aber inzwischen hatte sich der Kalte Krieg derart gesteigert, dass man den Ausbruch eines neuen Weltkrieges fürchtete mit katastrophalen Folgen für Berlin, für Deutschland, für Europa. Uns Westberlinern war klar, dass wir als erste daran würden glauben müssen - also blieb nichts anderes übrig, als die Trennung, vor allem auch die Trennung von Freunden und Verwandten, hinzunehmen.

So - ich glaube das reicht erst einmal. Ich möchte hier nur noch einmal darauf hinweisen: Wer in Zusammenhang mit der jüngsten Deutschen Geschichte von Amerika spricht, vergisst auf unzulässige Weise die Leistungen der Briten und der Franzosen! Und bitte - wir Westberliner haben auch unseren Teil dazu beigetragen, denn ohne die Bevölkerung hätten die Westalliierten nicht viel erreichen können.

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