Emil Sommer

Fenster mit Aussicht

 
Gehens rauf und schaun´s selber nach, ob er da ist!“ Die rundliche Hausmeisterin in ihrer altmodischen, blumenverzierten Schürze, fegt ohne mich anzusehen, den Innenhof. Ich starre auf das Fenster im zweiten Stock. Kein Sonnenstrahl fällt in den dunklen Hof, kein Fremder verirrt sich herein. Das richtige Versteck für Wessely, diesem Abschaum. Ich hasse ihn. Wegen ihn habe ich alles verloren, meine Frau, meinen Sohn, mein Vermögen, meinen Job, meinen Stolz! Deswegen bin ich hier, ich werde ihn töten!
Nein, er hat mir nicht die Frau ausgespannt. Es war am 15. März, ich nicht mehr nüchtern und so habe mich auf ein Spiel mit ihm eingelassen. 17 und 4! Ich verlor, verlor immer mehr, wollte mein Glück erzwingen, unterschrieb einen Schuldschein nach dem anderen. Gegen vier Uhr morgens hatte ich mein ganzes Vermögen verloren. Aus Angst vor seiner Rache ging ich nicht zur Polizei. Auch Carmen hatte Angst vor Wessely. Meine Schulden hätten ihre Existenz ebenso vernichtet. Ich stand auf der Straße, denn die teuren Hotelzimmer konnte ich nicht bezahlen. Kurz darauf verlor ich meinen Job als Kellner im angesehenen „Hawelka“! Seither schlafe ich in den U-Bahn-Stationen, bin ein Bettler. Jede Nacht verfolgt mich sein zynisches Grinsen während er meine Schuldscheine einstreift.
Vorige Woche traf ich vor dem Stephansdom einen jener Männer wieder, der in jener verfluchten Nacht das verdammte Spiel beobachtete. Ich drängte ihn in eine Seitengasse, drohte ihm Gewalt an. Erst dann verriet er mir den Namen meines Gegenspielers – Wessely. Von ihm erfuhr ich weiters, dass ich von ihm nach Strich und Faden betrogen wurde. Danach wartete ich jeden Tag vor der Unglücksbar. Wessely kam nicht. Vor einigen Tagen sah ich ihn, welch glücklicher Zufall, in der Kärntnerstraße aus einem billigen Kaffeehaus treten. Ich stellte ihn zur Rede. Er lachte, stieß mich zur Seite und versuchte, im Menschengewimmel der Innenstadt unterzutauchen. Ich lief ihm hinterher, bis in diesen Hof. Ich suchte seinen Namen auf den Namensschildchen neben dem Eingang. Wessely, Wohnung 4. Endlich wusste ich, wo er wohnt.
„Was ist? Wollens den ganzen Tag hier rumstehen? Gehens rauf und schaun´s, ob er daheim ist!“ Die Stimme der Hausmeisterin klingt wie das Summen einer im Glas gefangenen Wespe.
Später! Warum habe ich die Alte überhaupt angesprochen? Sie kann später den Bullen mein Gesicht beschreiben; oder noch schlimmer, Wessely von mir erzählen, ihn warnen! Egal, heute landet er sowieso in der Hölle.
„Sind´s noch immer da? Habens keine Arbeit?“
Sieht man mir das nicht an, du blöde Kuh? Würde ich sonst in diesen schäbigen Fetzen rumlaufen?
Ich gehe hinaus in die Plüddemanngasse, setzte mich auf die Bank auf der anderen Straßenseite, von wo ich den Eingang zum Hof immer im Auge habe. Der Hirschfänger steckt gottlob noch in der Jacke, den darf ich auf keinen Fall verlieren. Ohne ihn kann ich Wessely nicht gegenübertreten!
Die Warterei ist öde wie ein verregneter Sonntagsmorgen. Endlich bricht die Nacht an. Das Licht aus seinem Fenstern wird mir verraten, ob er daheim ist. Dann klopfe ich an, und wie er öffnet, stoße ich ihm den Hirschfänger ins Herz. Ist es finster, warte ich eben.
Ich verstehe Ihren Einwand. ‚Du darfst nicht töten.‘ Ein Spruch aus dem Alten Testament, Buch Exodus, glaube ich. In der Bibel steht aber auch: „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Das Schwein hat mein Leben ruiniert. Leben um Leben. Sie sagen, ich lande im Gefängnis! Wahrscheinlich haben Sie recht, ist mir egal. Besser in einer warmen Zelle mit geregelten Mahlzeiten als in der Gosse erfrieren oder verhungern.
Es dämmert. Viele Fenster der Wohnung sind hell erleuchtet, seines nicht. Ich schleiche hinter die Abfallkübel und warte. Wann kommt er endlich?  Die Kirchenglocke schlägt neun Mal und meine Zähne klappern vor Kälte. Mitte November sind die Nächte kalt. Besser, ich erwarte Wessely im Haus. Ich schlüpfe hinein und warte hinter dem Stiegenaufgang.    
Ich halte weder die Warterei noch die Kälte länger aus, schleiche nach oben, lausche an seiner Wohnungstür. Außer dem Rauschen meines Blutes höre ich keinen Ton. Obwohl ich überzeugt bin, dass abgeschlossen ist, lege ich meine Hand auf die Klinke und drücke langsam nach unten, dann Millimeter für Millimeter nach innen. Ich fasse es nicht: Wessely hat nicht abgesperrt! Ich husche hinein. In der Wohnung ist es warm, sie riecht nach aufgewärmtem Gulasch. Das hereinfallende Licht reicht aus, um den riesigen Flachbildschirm, die mit Zeitschriften übersäte Couch und die auf dem Beistelltisch stehende Flasche und die zweiGläser zu erkennen. Wieso zwei? Kommt Wessely gar mit einem Besucher zurück? Das wäre eine Katastrophe.
Unten fällt die Eingangstür ins Schloss, schwere Schritte steigen die Treppe hoch. Ich höre, wie jemand nach seinen Schlüsselbund kramt. Ich verstecke mich hinter dem Sofa, mein Puls rast, meine Hände zittern. Die Tür nebenan wird aufgestoßen und ich atme erleichtert auf. Fehlalarm.
Hinter der Ecke auf dem Flur scheint ein gutes Versteck für meinen Plan. Ich grinse zufrieden und hocke mich auf den Parkettboden.
Ich warte und warte und warte und warte. Wo bleibt der Drecksack? Meine Beine werden taub; wie lange hocke ich bereits auf dem Boden?
Nach einiger Zeit fordert meine Blase Erleichterung. Die Toilettentür ist mit einem Schildchen verziert. Ich öffne und starre entsetzt in Wesselys grinsendes Gesicht, dasselbe, wie damals in der Bar. Ein Albtraum, das muss ein Albtraum sein!, versuche ich mir einzureden.
„Abend, Wojzeck!“ flüstert er. Dann fährt seine Hand mit dem langen Küchenmesser vor und die Klinge in meine Eingeweide, der zweite Stoß in die Lunge. Ein grauenhafter Schmerz durchflutet meinen Körper, meine Knie knallen auf den harten Fliesenboden und gleichzeitig verspüre ich eine Leichtigkeit in mir, wie zuletzt in meiner Kindheit.
„Du warst immer unvorsichtig, Wojzeck! Damals beim Spiel und heute beim Versuch, mich hereinzulegen. Wolltest du mich etwa um die Ecke bringen?  Ich habe dich gleich von meinen Fenstern aus erkannt. Als ich dein Grinsen sah, während du dein Messer in der Hand gehalten hast, dachte ich bei mir: ‚Der will dir ans Leder, entweder Geld oder Leben.‘  Ich entriegelte die Tür, schließlich sperrt man einen alten Freund nicht aus, stellte sogar ein Glas für dich bereit. Ich wusste, du würdest nicht ewig unten auf mich warten. Du bist zu ungeduldig, ein großer Fehler.“
Wessely schaltet das Ganglicht an. Es wird immer heller, während Wessely immer mehr verblasst und ich immer tiefer in einer bunten, sich immer schneller drehenden Spirale, versinke.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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