Georges Ettlin

Gefangen am Rio Parana


Einer der Spalten ermöglicht mir den Ausblick zum feinsandigen Strand
des Flusses. Ein Ast-Loch im Holz spendet nicht nur feuchtwarme Atemluft,
sondern auch Hoffnung...

Es muss eine Verwechslung gewesen sein: Ich habe ihm kein Geld geschuldet,
hätte ich Geld gehabt,
dann hätte ich es ihm gegeben... Warum tötet er mich nicht ?
Wann kommt er zurück ?

Mein blutendes  Knie drückt vergeblich gegen rauhe Holzwände, der Kopf  wird in
eine Ecke gezwängt, die Hände sind wund !

Vor drei Tagen habe ich vor meinem Gefängnis ein schwarzes Gürteltier gesehen.
Am Morgen sehe ich dort gelegentlich eine blaue Schlange.
Das kleine Loch und einige Spalten im Holz beleuchten mit Tageslicht den engen Innenraum
der Transport-Kiste und ich zähle stundenlang die zahlreichen Maserungen
der Jahresringe von den Holzbrettern und die roten Ameisen am Bein.
Gibt es am Rio Tannen? Die Holzkiste wurde wahrscheinlich in Europa
zusammengezimmert und ich denke an den Schreiner: Seine weiche,
vorsichtige Hand an der Sägemaschine und an das kühle Bier, welches der Handwerker wohl
am Feierabend trank.
Ich leide an einem unerträglichen Durstgefühl und doch, wenn es regnet, habe ich
Angst, der Fluss könnte ansteigen...
Der Rio Parana fliesst bei "Tigre" in den Rio de la Plata, der wiederum zieht an Buenos Aires vorbei
in sein eigenes Süsswassermeer, ein riesiges Delta, dessen Süsswasser sich langsam
mit dem Salzwasser des Ozeans vermischt.

Es regnet und ich beobachte den Wassertropf, der sich langsam von einer Deckenspalte
zwischen den Brettern über meinen Füssen in Richtung Kopf bewegt.
Ich hoffe auf das glitzernde Nass und der Tropfen wird immer grösser und birnenförmiger....
dann bleibt er stehen und wird kleiner: Die Mittagssonne brennt !

Jetzt höre ich das Wasser des Rios rauschen : In nördlichen, in Richtung Norden immer
tropischer werdenen Gegenden Argentiniens scheint ein Gewitter sich zu entladen....

...Die steigenden Fluten erreichen meine hölzerne Transport- Kiste und ich merke, dass sie sich bewegt.
Wärend ich durch das Atemloch des Deckbrettes schaue, steigt das Wasser in der Holzkiste
mir bis zum Kinn, ich schwimme !
Die Fluten sind ruhig und tief, doch schnell und  fast ohne Wellengang. Ich trinke das
eindringende bräunliche Wasser des Rio Parana und fühle mich besser. Bald erreicht mein
schwimmendes Gefängnis das graue Wasser des Rio de la Plata und ich sehe die steinernen Ufer
der grossen Stadt : ...Sogar
den Stadteil "Recoleta" beim berühmten Friedhof kann ich erahnen, den Obelisk und das Hotel "Presidente",
wo noch mein Koffer steht....
Also ehrlich, seit den letzten drei Tagen gefällt mir meine
Urlaubsreise nicht mehr !
Langsam beginnt mein hölzener Sarg  zu  schaukeln, die Küste ist verschwunden
 und aus einer sehr weiten Ferne höre ich den tiefen Bass-Ton des Signalhorns eines einsamen
Ozeanriesen...


***

c/G.E.











 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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