Klaus Stoll

Drohnen und Erbeeren

Drohnen und Erdbeeren
Wir schreiben das Jahr 2032. In Afghanistan haben die Taliban schon vor einer Dekade wieder die Herrschaft übernommen. Wegen dreier Inseln im Chinesischen Meer herrscht Krieg zwischen Japan und der Volksrepublik China. Das dreigeteilte Syrien wurde unter Mandat der Vereinten Nationen gestellt und wird von UN-Botschafterin Kristina Schroeder in Damaskus verwaltet. Ilse Aigner ist Präsidentin der Republik Bayern.
Stellen Sie sich vor, es ist ein klarer, kalter Frühjahrsmorgen in einem kleinen Ort bei Köln. Sie wollen die seltenen Sonnenstrahlen geniessen, setzen sich mitten auf den Rasen auf einen Gartenstuhl und fragen sich, ob die Erdbeeren vielleicht durch den Frost der letzten Tage gelitten haben. Dabei merken Sie, dass ihre Ohren kalt werden und sie wickeln sich ihren alten Wollschal um den Kopf.
Im Pentagon sitzt der Soldat Joe Frazer vor einem der sechs Monitore und programmiert eine Drohne, die draußen auf der kurzen Startbahn mit laufendem Motor wartet. Man nennen sie "Achter ohne Steuermann", denn sie hat keinen Piloten, aber acht Raketen geladen. Außerdem sechs Maschinengewehre und etliche Kameras, deren Aufnahmen Joe schon jetzt auf den Monitoren sehen kann. Er sieht laufende Bilder vom Himmel, vom Beton unter dem Bauch der Drohne, von Pappeln am Rande der Startbahn, vom Bunker, in dessen Keller er sitzt.
Die Treibstoffmenge für den langen Flug nach Afghanistan und zurück ist berechnet und, wie bei der Fahrt mit dem Familienvan in den Urlaub, muss jetzt der Bestimmungsort eingegeben werden. Joe hat die letzte Nacht im Pentagonkeller verbracht - chinesischer Raketenangriff - und er ist etwas müde. Bei der Google-Bildersuche kann man sich ja auch mal vertippen und statt der  gesuchten Elbbrücke bei "Hamburg" erscheint dann vielleicht die Spielbank von "Homburg" auf dem heimischen Bildschirm. Joe suchte unter "K" für Kabul - aber sein Finger landete auf "K" für Köln.
Er merkte es nicht und ging eine Tasse Kaffee trinken. Auch die schnellste Drohne braucht für tausende Kilometer nach Kabul etliche Stunden. Der “Achter ohne Steuermann” kreist mittlerweile über der Gegend von Porz. Seine Kameras filmen eine friedliche Landschaft, und Joe Frazer wundert sich über den großen breiten Fluss, den einer der Monitore im Sonnenlicht zeigt. Muss der Bosporus sein, denkt Joe.
Plötzlich erfasst eine der Kameras eine große Kirche. Joe erkennt sie sofort. Ihr Bild hing bei seinem Großvater in Oregon im Wohnzimmer  - es konnte nur der Kölner Dom sein! Aber der Gedanke verflog sofort. Die Kameras hatten automatisch auf Suchmodus umgeschaltet, denn sie hatten einen Mann mit einem Wollschal auf dem Kopf in einem Garten entdeckt. In Bruchteilen von Sekunden verglich der Computer im Pentagon tausende von Bildern mit Höhenaufnahmen von Taliban-Kämpfern und meldete: TALIBAN!
Das Geräusch einer Explosion, den Feuerball nehmen Sie noch wahr, und eine irgendwie wohltuende Ohnmacht umfasst Sie für wenige Minuten. Die Kälte des nassen Grases lässt sie zittern. Sie rappeln sich auf - und erblicken einen kleinen Krater dort, wo noch vor kurzem die erfrorenen Erdbeerbüsche gestanden hatten.
 
 
Joe Frazers Mund entgleitet ein leises "oh shit" als er den kleinen Krater auf seinen Bildschirmen erblickt. Er ruft einen Ingenieur wegen der Tatsache, dass die Rakete das ausgemachte Ziel wieder eimal um 5 Meter verfehlt hat. Schon damals, 2012, hatten sie deswegen bei Angriffen in Wasiristan Zivilpersonen getötet.
Nach zwei Wochen haben Sie sich von ihrem Schrecken erholt und beauftragen Ihren Anwalt in New York, das Pentagon auf Schadensersatz zu verklagen. 35000 Dollar für die Erdbeerstauden und 3 Millionen Dollar Schmerzensgeld.
Eine Horrorversion? US-Drohnen vom Typ "Predator" werden seit Monaten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet eingesetzt. Viele Länder werkeln an eigenen Modellen. Jagdbomberpiloten schulen um auf Programmierer und üben das Fliegen und Schießen am PC mit Killerspielen.
Das einzig Unmögliche an der Geschichte ist der Fehler, der Joe Frazer bei der Eingabe des Zielortes unterlaufen ist: auf der Ortsliste seines Compters kann wohl Kabul unter "K" gelistet gewesen sein, nicht aber Köln. Die Stadt am Rhein heißt auf Englisch bekanntlich Cologne und kann daher nur unter "C" gefunden werden. Joe muss wirklich sehr müde gewesen sein.
San Pedro / Marbella, September 2012
© Klaus Stoll
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.10.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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