Jürgen Berndt-Lüders

Viel zu billig weggegeben

Gelangweilt klappte Isolde das Buch zu. Sie war bereits auf Seite zwanzig, und immer noch war nichts Spannendes passiert, außer, dass sich die Heldin auf einen schwarzen US-Soldaten eingelassen hatte. Für eine Tafel Schokolade, ein Päckchen Kaugummi und eine Stange Zigaretten.
 
Was müssen das für Zeiten gewesen sein, fragte sich Isolde und sah in den Spiegel. Ihre schneeweißen, leicht gewellten Haare und ihre vollen Lippen wirkten immer noch anziehend auf Männer, aber an Liebe hatte sie seit Hans’ Tod nicht mehr gedacht.  Rassig war sie in ihrer Jugend gewesen, richtig rassig. Das hatte Hans jedenfalls behauptet.
 
Für eine Tafel Schokolade, ein Päckchen Kaugummi und eine Stange Zigaretten hätte sie sich nie hergeben müssen.
 
Isolde war ein Jahr nach dem zweiten Weltkrieg geboren. Sie hatte mit ihrem Mann eine Tochter gehabt,  aber die war ebenso wie Hans bereits verstorben. Isolde allein, und ihre Enkelin Kimberley, waren noch von der Sippe übrig geblieben.
 
Kimberley, dachte sie. Der Name würde zu einem Bastard wie dem Kind der Roman-Heldin passen. Dass die für ein paar Kleinigkeiten schwanger geworden war, hatte sie bereits erfahren, als sie vorgeblättert hatte.
 
Was konnte Kimberley für ihren Namen? Im Grunde nichts. Es waren immer die Mütter, die sich für so merkwürdige Namen entschieden. Isolde, das war ein Name in guter Deutscher Tradition. Isolde war eine gute Deutsche. Ihre Tochter, die Mutter von Kimberley, hatte sie Brigitte getauft.
 
Was hatte Isolde nur falsch gemacht, dass ihre Tochter Brigitte einen solchen Namen für das Kind ausgesucht hatte? Dieser Name war es gewesen, der Isolde von ihrer Enkelin fern gehalten hatte.
 
Kimberley könnte ich mal besuchen, dachte Isolde gelangweilt. Kimberley musste seit Wochen aus den USA zurück sein, wo sie studiert hatte. Soweit Isolde bekannt war, hatte Kimberley irgendeinen akademischen Grad erreicht, den sie in Deutschland gut verwenden konnte.
 
Ich mache einen Spaziergang, beschloss Isolde. Ich komme an Kimberleys Wohnung vorbei, und wenn sie zuhause ist, frage ich nach ihrem Befinden. Wenn nicht, ist es auch gut. Wenn ich anrufe, wirke ich so neugierig.
 
Isolde klingelte. Ein Schwarzer machte auf. Aus dem Hintergrund klang Babygeschrei.
 
„Ich bin die Oma von Kimberley“, brachte Isolde heraus. „Kann ich sie sprechen?“
 
„Kim?“, rief der Schwarze. „Kim, your grandma. I did’nt know that you have such a beautiful Granny.”
 
Kimberley kam den Flur entlang. Sie hatte eben gestillt und war bemüht, das Baby zu einem Bäuerchen zu bewegen. Sie klopfte ihm auf den Rücken.
 
Kaum anzuschauen, diese Szene, fand Isolde. „Du hast ein Baby?“, fragte sie. „Ich dachte, du hättest in den USA studiert.“
 
Kimberley lachte gequält. „Man kann beides gleichzeitig. Medizin studieren und einen Doktor heiraten. Das ist Jack, Oma. Er arbeitet an der Uniklinik. Ist nett, dass du vorbei schaust.“
 
„I’m Jack“, bestätigte Jack. „Cindy, say hello to your great granny.”
 
„Wer ist Cindy?“, fragte Isolde.
 
„Unser Baby“, klärte Kimberley ihre Großmutter auf. „Sag mal, weshalb machst du ein solches Gesicht?“
 
Jack spürte die Spannung zwischen den Frauen. „I better make my job in the Kitchen”, beschloss er und verzog sich.
 
“Für eine Tafel Schokolade, für ein Päckchen Kaugummi und eine Stange Zigaretten”, stammelte Isolde. „Kind, wie kannst du dich nur so billig verkaufen?“
 
Kimberley lachte gequält. „Ein bisschen mehr hat Jack schon gezahlt. Zehn Bullkälber und eine Wildsau, um ehrlich zu sein. Nein, Oma, es spielt keine Rolle, dass Jack schwarz ist.  Wir lieben uns.“
 
„Aber.... aber überleg doch mal. Mischlingskinder haben es schwer im Leben.“
 
„Kann sein, aber hast du es denn so schwer gehabt?“
 
„Ich?“, Isolde zeigte auf sich selber. „Ich bin doch kein Mischling.“
 
„Doch, Oma. Du bist ein Besatzungskind. Dein Vater war ein US-Soldat, der einen schwarzen Vater hatte. Das hat mir Mama erzählt, und die wusste es, weil deine Mutter mal ausgepackt hatte. Als Jack und ich einen Gentest haben machen lassen...“
 
Isolde unterbrach. „Weshalb hat mir meine Mutter dann nichts davon erzählt?“
 
„Wahrscheinlich, weil sie dir dein Selbstvertrauen nicht nehmen wollte“, vermutete Kimberley. „Ansehen konnte man dir deinen Vater ja nie so direkt.“
 
Isolde wurde schwarz vor Augen. Ein schwarzer Doktor, ein schwarzbraunes Baby und eine tiefschwarze Lebenslüge erschütterten sie bis tief ins Mark. Sie nahm das Baby auf den Arm und liebkoste es.
 
Ich werde den Roman zuende lesen, beschloss sie heimlich und schämte sich ein Weilchen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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