Jürgen Berndt-Lüders

Mutter, was ist mit dir?

Joel hatte Feierabend. Er machte sich auf den Heimweg.
Heute war die Bratenberger Straße verstopft, an der die Feuerwehr lag. Joel kannte die Gegend. Bevor er in den Stau geriet, bog er rechts ab und umfuhr den Stau weiträumig.
 
Vor der Haustür war mal wieder kein Parkplatz frei. So fuhr er dreimal um die Blocks, bis er einen Parkplatz vor der Haustür fand.
 
Gleich vorn an der Straße, da wohnten die Bergers, das heißt, hier wohnten seine Mutter und Joel. Fröhlich pfeifend schloss er auf und rief nach seiner Mutter. Die meldete sich nicht.
 
Maria Berger war ziemlich korpulent und herzkrank. Sie ging kaum mal aus der Wohnung. Genau deshalb lief er suchend über den Flur und fand sie. Sie saß an der Duschkabine im Bad und keuchte.
 
„Mama“, schrie Joel. „Was ist mit dir?“
 
Mama sagte nichts. Ihre Augen waren halb geschlossen und sie atmete schwer. Joel zog sie auf den Boden quer vor das Waschbecken und legte die Beine auf das Toilettenbecken, ganz wie er es beim Erste-Hilfe-Lehrgang gelernt hatte. Er fühlte ihren Puls an der Halsschlagader. Der Puls war kaum spürbar.
 
Joel spurtete zum Telefon. Er rief den Notruf an und meldete sich. „Joel Berger, Puttelsteiner Weg 17, Vorderhaus zwei Treppen Mitte. Meine Mutter scheint einen Herzinfarkt zu haben.“
 
„Wir kommen“, rief der Beamte von der Berufsfeuerwehr.
 
Joel überlegte fieberhaft. Die Feuerwehr lag in der Bratenberger Straße. Dort war ein Stau, das hatte er eben selber gesehen. Zu beiden Seiten war Stau, und die Feuerwehr hatte sich auf jeden Fall an den Fahrzeugen vorbei zu quetschen, und das bei den engen Straßen. Wie lange die wohl brauchen würden?
 
Die Ambulanz des nächsten Krankenhauses lag in der anderen Richtung, keine fünf Minuten von der Wohnung der Bergers entfernt. Welch ein Wahnsinn, dass die Feuerwehr den Transport zu machen hatte. Am besten würde es sein, er selber... Aber nein, das ging auf keinen Fall. Er würde sie nie in sein Auto bugsieren können.
 
„Mama“, rief Joel. “Komm zu dir.“
 
Mama reagierte nicht. Sie roch ein wenig nach Alkohol, aber das tat sie immer. Das kam vom täglichen Klosterfrau Melissengeist, wie sie sagte.
 
Welch ein Unglück, dass die Wache an einer Staustrecke lag. Was für ein Pech, dass er nicht sofort einen Parkplatz gefunden hatte. Eine viertel Stunde wurde hier vertan, womöglich genau die Zeit, die seiner Mutter vielleicht das Leben retten konnte.
 
Fünf Minuten waren vorbei, zehn Minuten, fünfzehn Minuten, und wer nicht kam war der Rettungswagen. Joel stürzte ans Fenster. Der Freak mit dem alten, ausrangierten VW-Bus von der Bundeswehr parkte eben in zweiter Reihe. Markus hieß er, war haarmäßig dicht bewaldet und arbeitete bei der Stadtreinigung.
 
„Markus, meine Mutter, sie kämpft mit dem Tode, und der Rettungswagen kommt nicht.“
 
„Kein Wunder bei dem Stau in der Bratenberger Straße“, rief Markus. „Ich bin gleich bei euch.“
 
Markus raste die Treppe nach oben. Joel wartete bereits. „Komm, bringen wir meine Mutter nach unten.“
 
Markus winkte ab. Er griff sich Joels Mutter allein und warf sie wie eine Teppichrolle über die Schulter. Er raste mit ihr die Treppe hinunter, als liefe er allein.
 
„He, du drückst mir ja den.... Bauch kaputt“, stammelte Mutter Berger.
 
„Mama“, rief Joel. “Mama, du lebst?”
 
„Will der Typ mich entführen?“, lallte Mama. „So schön bin ich doch gar nicht.“
 
Markus setzte Mama auf den Treppenabsatz. „Die ist nur sturzbesoffen“, diagnostizierte er. „Ich kenne die Symptome von meiner Ollen.“
 
„Wie peinlich“, rief Joel. „Wenn nun die Feuerwehr kommt und meine Mutter hat gar keinen Herzinfarkt...“
 
„Zündet doch ein Feuer auf dem Hof an, dann habt ihr einen Grund“, schlug Mutter vor. „Ist doch sowieso bald Ostern.“
 
„Nee, wir machen ihr einen Herzkasper“, sagte Markus. „Wir erschrecken sie, und dann hat sie ihren Infarkt.“
 
„Mama, guck Markus mal richtig an“, rief Joel erleichtert.
 
Während Joel seine Mutter stützte und halb tragend nach oben zurück ins Bett transportierte, wartete Markus unten auf die Feuerwehr, aber die kam nicht. Doch, eben bog der Rettungswagen um die Ecke.
 
„Wenn Sie wegen Frau Berger kommen; die ist wieder gesund“, informierte Markus den Notarzt.
 
„Soll ich nicht doch mal nach ihr sehen, wenn ich schon mal hier bin?“, fragte der Notarzt.
 
„Ihr Alkoholspiegel sinkt zusehends“, sagte Markus. „sie schläft ihren Rausch aus, und morgen...“
 
„...okay“, unterbrach der Doktor. „Besser so als anders. Ein Laie kann die Symptome oft nicht unterscheiden, deshalb gehe ich trotzdem nachsehen.“
 
„In dem Fall bin ich Experte“, rief Markus lachend und gab dem Doktor die Hand. „Und hinterher trinken wir einen zusammen.“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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