Florence Siwak

Zufrieden? Zufrieden!



 

Er hatte wieder mal so schlechte Laune wie Joschka Fischer in den Talkshows, die sie so liebte.
Hanna bemühte sich, die Einkäufe möglichst geräuschlos auf dem Küchentisch abzustellen.
Aber gefühlte 3 Zentner machen nun mal Lärm und sie musste sich beherrschen, die beiden Beutel
nicht wie ein Hammerwerfer durch die Küche zu schleudern.

Sie seufzte. Früher war das noch anders. Da war er mitgekommen zum Einkaufen und sie hatten sich über reizbare
Pärchen amüsiert, die sich über krumme Gurken und noch krummere Bananen aufregten. Und jetzt?
Charly war immer unleidlicher geworden, nörgeliger, streitsüchtiger und was noch alles.
Sicher – er war krank, aber doch nicht so krank! Mit etwas Disziplin und Selbstbeherrschung würde er auch den Diabetes
in den Griff kriegen. Für seine 60 Jahre war er erstaunlich gut in Form. Nörgeln musste sich günstig auf die Figur auswirken.

Der Alkohol! Ja, wahrscheinlich war es das Bier am Vormittag, der Schnaps nach dem Essen und der Verdauer nach dem Abendbrot.
Aber – ein Wort von ihr und er wurde laut. Und laute Menschen mochte sie nicht. Gar nicht. In diesen Momenten hätte sie liebend
gern auf ihn verzichtet. Dauerhaft.

Sie unterdrückte einen weiteren Seufzer, der ihr nur grobe Bemerkungen eingebracht hätte. Also doch ihr besonderes Beruhigungsmittel für ihn.
Sie hätte heute keinen Krach mehr vertragen – bei diesen Kopfschmerzen.

„Ach, ehe ich es vergesse, das Ordnungsamt war wieder mal auf Tour.“
Sie machte eine wohl berechnete Pause.
Er spitzte die Ohren und seine Augen öffneten sich weit. Sie hatte ihn.
„Wo?“ Wie kräftig seine Stimme auf einmal war.
„Gleich um die Ecke, in der Brechtstraße.“ War das vielleicht zu nahe? Oder würde er ihren Fehler bemerken, dass sie auf dem Weg
vom Supermarkt die Brechtstraße gar nicht berührte? Nein, Charly war so begierig, von dem Missgeschick anderer zu hören, dass er weiterbohrte.
Sie zögerte kurz. Runtergehen, um noch einen letzten erhebenden Moment mitzubekommen, würde er wohl nicht. Oder doch?
Nein, er hätte sich anziehen müssen, das würde zu lange dauern. Seit er Rentner war, gestattete er sich den Luxus, den halben oder auch schon
mal ganzen Tag im Jogginganzug durch die Wohnung zu geistern. Wenn er denn überhaupt von der Couch aufstand.

„Nun sag doch schon, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Die ist schon ganz lang davon“ ergänzte er hässlich lachend.
Sie zuckte zusammen. Das hätte er früher auch nicht gemacht, auf ihre kleinen Besonderheiten – wie sie es nannte – hinzuweisen.
„Sie haben zwei Wagen aus dem Halteverbot abgeschleppt. Gottlob haben wir ja einen Parkplatz auf dem Hof.“ Als ob das wichtig wäre;
sie fuhren so gut wie nie mit dem Auto irgendwohin. Er klammerte sich nur noch an dieses letzte Stückchen Freiheit, das er aus dem
Küchenfenster mit Wohlgefallen betrachten konnte.

„Papperlapapp, das wäre mir nie passiert. Wo ich immer darauf geachtet habe, vorschriftsmäßig zu parken….“
Hanna atmete auf. Sie konnte abschalten. Er war schon viel besserer Stimmung.  Es würde eine ganze Weile dauern, die Unzulänglichkeiten
der anderen und seine Unfehlbarkeit in viele Worte zu fassen. Ihr Beruhigungsmittel verschaffte ihr Ruhe für heute. Das Abschleppen musste
sie aber erst mal für ein paar Wochen auf Eis legen. Strafzettel oder ein kleiner Sturz mit Feuerwehr mussten reichen. Feuerwehr nur,
wenn der Tatort weit genug entfernt war – wegen der Sirene.

Es war doch so einfach, Charly zufriedenzustellen. Eine kleine Lüge nur und sie hatte ihre Ruhe.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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