Diethelm Reiner Kaminski

Ein besonderer Abend

 
 
Cordula und Gunther blickten sich tief in die Augen und stießen mit ihren Champagnergläsern an.

„Ich danke dir, dass du es so lange mit mir ausgehalten hast. Auf die nächsten dreißig“, sagte Gunter

„Und du mit mit mir“, flüsterte Cordula, während zwei Tränen der Rührung ihre gepuderten Wangen herunterrannen und eine zarte Spur im Make-up hinterließen.
Sie rückte sich noch näher an Gunther heran und flüsterte: „Meinst du wirklich, dass wir uns das leisten können? Hast du die Preise gesehen? Wir hätten für das Geld lieber eine Reise machen sollen. Für eine Woche Mallorca hätte es gereicht.“

„Lass nur. Heute ist doch ein besonderer Tag, der uns noch lange in unvergessener Erinnerung bleiben soll. Da lassen wir´s so richtig knallen. Und nun wähl bitte die Vorspeise. Der Kellner hat schon dreimal zu uns rübergeblickt.“

Cordula vertiefte sich eine Weile in die in hellbraunes Leder gebundene Speisenkarte, blickte dann Gunther hilflos an und sagte: „Kannst du nicht mal fragen, ob es die Karte nicht auch auf Deutsch gibt? Carabinero, Carpaccio, Gazpacho … Ich verstehe kein Italienisch.“

„Du musst das ja auch nicht wählen. Nimm das, was du verstehst.“

„Aber was? Etwa das pochierte Landei im Glas unter Risottoschaum? Eier habe ich selbst im Kühlschrank. Bio-Eier vom Bauern. Von freilaufenden Hühnern. Dafür müssen wir hier kein Vermögen ausgeben. Und was heißt pochiert? Was haben sie den Eiern angetan? Das will ich nicht, schon gar nicht mit solch komischem Schaum.“
„Wir müssen ja auch keine Vorspeisen nehmen. Wir können gleich mit dem Hauptgericht beginnen. Du isst doch gerne Fisch. Wie wär´s mit dem Glattbutt?“

Cordula blickte wieder in die Speisenkarten: „Glattbutt mit zartem Pulpo? Ist das Italienisch für Popo? Nein, danke, und Endiviensalat haben wir im Garten.“

„Dann nimm doch das Rebhuhn mit Kohlrabi und Bamberger Hörnchen.“

„Auf keinen Fall, wo jeder weiß, dass das Rebhuhn auf der roten Liste der vom Aussterbenden bedrohten Arten steht. Glaube ich jedenfalls. Oder war´s der Auerhahn? Und was meinen die mit Hörnchen? Eichhörnchen etwa?“

„Nun verdirb uns doch bitte nicht den Abend. Irgendetwas nach deinem Geschmack wirst du auf dieser umfangreichen Karte doch wohl finden.“

„Klar, Kohlrabi für 15 €. Für das Geld kriege ich beim Aldi fünfzig Stück. Genug für den ganzen Winter. Weißt du, was? Wir süffeln jetzt noch unsere Flasche Champagner aus und machen dann die Fliege. Mir ist ehrlich gesagt, der Appetit vergangen. Allein wenn ich diesen arroganten Kellner dort drüben sehe. Lass uns lieber in unsere Stammkneipe ziehen. Schnitzel nach Nippenser Art mit frischen Fritten. Dazu grüne Bohnen im Speckmantel und als Dessert Rote Grütze. Und für das Gesparte buchst du gleich morgen eine Woche Mallorca.“

„Wenn du unbedingt möchtest“, stotterte Gunther. Er winkte den Kellner herbei.

Dieser nahm, die linke Hand angewinkelt auf den Rücken gelegt, Haltung an. Stocksteif wie ein Denkmal. „Haben die Herrschaften gewählt?“

Gunther war vor Verlegenheit rot angelaufen, aber Cordula nahm all ihren Mut zusammen: „Tut uns leid, wir haben leider nichts gefunden, was unseren Vorstellungen entspricht. Vielleicht ein anderes Mal. Würden Sie uns bitte die Rechnung bringen.“

Der Kellner ließ sich keinerlei Gemütsregung anmerken, sondern murmelte nur „sehr wohl“ und machte kehrt, um die Rechnung zu holen.

„200 Euro für den Schampus, dazu noch 50 Euro für das Essen in unserer Stammkneipe. Dann war das alles in allem ja noch ein recht preiswerter Abend.“

„Ja“, seufzte Cordula, „ein ganz besonderer Abend. Unvergesslich. Dem Anlass angemessen. Ein kulinarisches Ereignis.“

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Diethelm Reiner Kaminski).
Der Beitrag wurde von Diethelm Reiner Kaminski auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.11.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Diethelm Reiner Kaminski als Lieblingsautor markieren

Buch von Diethelm Reiner Kaminski:

cover

Von Schindludern und Fliedermäusen: Unglaubliche Geschichten um Großvater, Ole und Irmi von Diethelm Reiner Kaminski



Erzieht Großvater seine Enkel Ole und Irmi, oder erziehen Ole und Irmi ihren Großvater?
Das ist nicht immer leicht zu entscheiden in den 48 munteren Geschichten.

Auf jeden Fall ist Großvater ebenso gut im Lügen und Erfinden von fantastischen Erlebnissen im Fahrstuhl, auf dem Mond, in Afrika oder auf dem heimischen Gemüsemarkt wie Ole und Irmi im Erfinden von Spielen oder Ausreden.
Erfolgreich wehren sie mit vereinten Kinderkräften Großvaters unermüdliche Erziehungsversuche ab.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Gesellschaftskritisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Diethelm Reiner Kaminski

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Maibaum-Affäre von Diethelm Reiner Kaminski (Kinder- und Jugendliteratur)
Alkoholverbot von Christiane Mielck-Retzdorff (Gesellschaftskritisches)
Die Tränenelfe von Andrea Renk (Hoffnung)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen