Eine Meldung, die jüngst um die Welt ging, alarmierte mich, rüttelte mich wach.
Bislang hatte ich fest daran geglaubt, dass der vernunftbegabte Mensch sich langsam, aber unaufhaltsam in Richtung auf eine strahlende Zukunft fortentwickle. Doch nun behauptete ein renommierter Entwicklungsbiologe der Stanford University in Kalifornien, die Menschheit würde zunehmend verblöden. Er habe in seinen Untersuchungen festgestellt, dass die durchschnittliche Intelligenz des Menschen stetig abnehme.
Er begründete das, äußerst einleuchtend, so: „Vor Tausenden Jahren, als die Menschen noch in kleinen Gruppen durch die Wildnis streiften, waren intellektuelle Fähigkeiten entscheidend für das Überleben eines jeden Menschen. Die Intelligenz des Einzelnen sei weniger wichtig geworden, seit die Menschheit Ackerbau betreibe und in größeren Gemeinschaften zusammenlebe. Wie beispielweise im Großraumwagen der Bahn … Es sei der Selektionsdruck gewesen, der die menschliche Intelligenz stetig steigen ließ, weil nur die Klügsten überlebten.“
Dieser schrecklichen Entwicklung musste Einhalt geboten, Gegenmaßnahmen mussten ergriffen werden. Unverzüglich. Warum nicht bei sich selbst beginnen?
ICE-Großraumwagen meiden, in denen jede menschliche Kommunikation verstummt ist, keinen sterilen Supermarkt mehr betreten, den Gemüsegarten einebnen und aus dem Mehrfamilienhaus ausziehen. Das war schnell getan. Doch was weiter? Die Lebensweise des Einzelnen musste radikal geändert werden. Zurück in die Horde, zurück in die unbehauste wilde Natur, um den Gehirnzellen Gelegenheit zu geben, sich allmählich zu regenerieren.
Gleichgesinnte, die mit mir bereit waren, die Menschheit vor der Verblödung zu retten, waren schnell gefunden – insgesamt drei Männer und vier Frauen. Zweifel kamen auf. War das noch eine Kleingruppe? Aber ich tröstete mich damit: Nicht alle würden überleben. Nur die Intelligentesten.
Wir streiften tagelang durch die heimischen Staatsforste. Viel Intelligenz war allerdings nicht gefordert, denn überall standen die Tannen und Fichten in Reih und Glied. Kein Unterholz, kein Dickicht, kein essbarer Pilz, keine leckere Beere. Nicht einmal ein Blinder hätte sich hier verlaufen können. Auch wilde Tiere, die wir mittels unserer Restintelligenz hätten erlegen können, tauchten nicht auf, sodass es sinnlos gewesen wäre, mangels Bratgut ein Feuer ohne Zündhölzer und Feuerzeug zu entfachen.
Schnell bildeten sich vier Pärchen heraus, immerhin der erste Ansatz einer intelligenten Überlebensstrategie. Die Gespräche allerdings unterschieden sich kaum: Sie kreisten um Restaurantempfehlungen und um den Erwerb einer Eigentumswohnung in der City nach einem Lottogewinn oder um die verpassten Sonderangebote in den Supermärkten. Und um die erste gemeinsame Urlaubsreise, wobei sich alle einig waren: Um keinen Preis ein Urlaub mit Waldwanderungen, eher ein Wellness-Strand-Urlaub in einem gut organisierten Ferienklub, und wenn der Flug zu teuer sei, dann wenigstens eine Anreise im ICE. Selbstredend im Großraumwagen mit Fernseher und Internetanschluss.
18.11.2012