Jürgen Berndt-Lüders

Erst die Tabletten; dann das Messer, befahl sich Dominic imme

Dominic sprang ruckartig von der Couch auf und dimmte das Licht herunter. Die Garderobe lag nun im Halbdunkel, und die Spiegel reflektierten das Teelicht, das er angezündet hatte. Den Earth-Song von Michael Jackson hatte er auf volle Lautstärke gedreht. Vielleicht gelang ihm ja auf diese Art, sich die Notwendigkeiten, derer er sich heute früh bewusst geworden war, einzubläuen. Heute früh, als er die entscheidenden Fakten zur Kenntnis genommen hatte.
 
Auf dem Tisch lagen seine Requisiten, das Messer und das Röhrchen mit den Tabletten. Die dritte Möglichkeit, keines der beiden zu benutzen, war inzwischen aufgegeben worden. Der Anreiz war zu heftig, die Konsequenz zu maßgeblich.
 
Angelo, dachte er. Warum hast du mich derartig hinters Licht geführt? Allein dieser Gedanke veränderte seine Stimmung entscheidend. Der Druck wurde übermächtig. Messer und Tabletten. Angelo oder Dominic. Rache und Selbstaufgabe.
 
Anfang Juli hatte ihm Angelo auf der kleinen Karibikinsel seine Liebe gestanden. Mutig hatte der ihn angesprochen. Er war das Risiko eingegangen, aufzulaufen, abgewiesen zu werden. Für ihresgleichen war es nicht leicht, konkret zu werden.
 
Dominic war angetan gewesen von der Frische, die Angelo ausstrahlte. Nie mehr alte, verwelkte Halbtote, denen man sich hingab um ein Minimum an Zärtlichkeit und Hingabe zu bekommen, wenn auch nur für die kurze Zeit zwischen Begeisterung und Ernüchterung, zwischen einem oft verkrampften Anfang und dem abrupten Ende, das zwangsläufig folgte.
 
Etwas hatte Dominic vor Angelo gewarnt. Lag Berechnung in Angelos Geständnis? Hatte er einen Tip bekommen? Das konnte nicht sein, denn Dominic war erst seit Kurzem in der Stadt. Dominic hatte die Tochter des Chefs geheiratet, und alle Welt konnte den wachsenden Umfang ihres Bauches sehen. Wie konnte da jemand wissen, dass Dominic Männer wie Angelo mochte?
 
Angelo, dachte Dominic. Wie sehr liebte er Angelo. Angelo hatte es angeblich ernst gemeint mit der Liebe zu dem werdenden Familienvater. Da war sich Dominic vollkommen sicher gewesen, bis zu dem Moment, wo Dominic erfahren hatte, was Angelos wirkliches Motiv dafür gewesen war, Dominic anzusprechen und ihm seine angebliche Liebe zu gestehen.
 
Messer und Schlaftabletten. Angelo und Dominic. Das flackernde Teelicht  präsentierte die Corpi delicti, als Dominic den Earth-Song erneut startete. Dominic nahm ihre Konturen in seiner Verzweiflung nur noch schemenhaft wahr.
 
Dominic sah auf die Uhr. In unbestimmter Zeit  würde er den Schlüssel in der Tür hören, würde Angelo das Zimmer betreten und Dominic in seine Arme schließen wollen, verlogen wie er war. Das würde Dominic nicht ertragen können. Vorher musste es geschehen, er musste die Tabletten nehmen. Die ganze Röhre mit viel Wasser, und wenn er noch länger wartete, würde es zu spät sein. Dann würde man ihn lebend neben dem toten Angelo finden, und man würde ihn verhaften und den Magen auspumpen. Dann gab es für die Öffentlichkeit einen eifersüchtigen, enttäuschten Liebhaber und sein Opfer. Das durfte nicht geschehen.
 
Dominic malte sich aus, wie es sein würde, wenn Angelo in das Zimmer stürmte und Dominic am Boden lag, das leere Röhrchen neben sich, ohne die Tabletten wirklich genommen zu haben.  Einen Moment überlegte Dominic, ob es nicht die Möglichkeit gab, die Situation in Eigenregie zu inszenieren. War der Anblick nicht Strafe genug für Angelo, ihn, den Hintergangenen in hilfloser Position vorzufinden?
 
Genau so schnell, wie ihm der Gedanke gekommen war, verwarf er ihn wieder. Nein, sein Leid war echt, seine Enttäuschung übermächtig, sein Bedürfnis nach dem Ende dieser demütigenden Situation entscheidend. Und Angelo war skrupellos genug, über ihn, den Hintergangenen, zu lachen.
 
Erst die Tabletten, dann das Messer. Die Zeit für die Tabletten war gekommen.
 
Ich werde Vater, fiel Dominic urplötzlich ein. Es ist mein Kind, wenn es auch nicht auf die übliche Weise entstanden war. Ich muss für mein Kind da sein, muss leben, muss meine Abscheu überwinden. Würde das ein Grund dafür sein, den Plan zu ändern?
 
Er startete den Earth-Song schon wieder. Schauer über Schauer jagten über Dominics Rücken.
 
Angelo hatte ihn angesprochen, weil er Schulden hatte, weil er Dominics Geld wollte, das Geld des Inhabers der Firma, seines Schwiegervaters. So hatte es Dominic gelesen, so stand es in diesem Papier. Dazu war Angelo jedes Mittel recht gewesen, sogar das Vortäuschen einer Liebe, die keine war.
 
Eine Stimme kam aus dem Lautsprecher. „Dominic“, rief der Regisseur. „Komm, wir drehen die Szene ab. Bist du in Stimmung?“
 
„Und wie. Ich könnte dieses Schwein wirklich umbringen“, rief Dominic und lachte. „Wie gut, dass im Röhrchen Smarties sind und das Messer aus Gummi besteht.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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