Patrick Rabe

Verteufelt!

Der Teufel, der mich in Empfang nahm, trug einen langen schwarzen Ledermantel mit SS-Abzeichen, sauber gescheiteltes, blondes Haar und eine Reitgerte, die er herausfordernd in seine linke Handfläche klatschen ließ. Auf seinem groben Gesicht breitete sich ein hässliches Seemannsgrinsen aus. „So, dann wollen wir mal!“, sagte er. „Aufgabe Eins: Bad reinigen bei Waschzwängen und Phobie vor Kot und Bakterien!“
 
Einen Moment später befand ich mich in einem engen, speckigen Badezimmer, hatte einen Feudel und WC-Reiniger in der Hand und roch bereits das unhygienische Übel, das ich zu beseitigen hatte. Ich wollte zurück, doch der Teufel stand in der Tür und stieß mir die Reitgerte in die Rippen. „Los jetzt!“, zischte er. Und so begann ich. Zuerst putzte ich den Spiegel und das Waschbecken, was schon immense Überwindung kostete, denn beides war mit einer dicken Schicht aus menschlichen Absonderungen bedeckt, doch als ich damit fertig war, wies die Reitgerte meines Peinigers unbarmherzig auf die Toilette. Unter Schaudern klappte ich den Deckel hoch. Und wirklich: Das ganze Klo war übersät mit angetrockneten Kotresten. Würgend nahm ich meinen Lappen, befeuchtete ihn mit WC-Reiniger und begann, an den klumpigen, braunen Überresten herum zu scheuern. Ein namenloser Ekel übermannte mich. Doch ich war ja in der Hölle, ich musste die Bedingungen des Teufels akzeptieren, wenn ich jemals wieder hier heraus wollte.
 
Und der Teufel achtete peinlich genau darauf, dass nicht eine einzige kleine Kotspur in der Toilette zurückblieb. Es dauerte gut eine Stunde, bis sie seinen Ansprüchen genügte. Angeekelt wandte ich mich dem Teufel zu und fragte: „Darf ich mir jetzt die Hände waschen?“ „Bitte sehr!“, antwortete der Teufel mit einem malziösen Lächeln. Ich ging zum Wasserhahn, drehte ihn auf und ließ kühles Nass über meine Hände laufen. Ordentlich seifte ich sie mit der Reinigungscreme ein. Aber das Gefühl von Verunreinigung ließ sich einfach nicht abwaschen. Die üblen Bazillen krochen weiter über meine Hände. Ich scheuerte und scheuerte, spürte hinter mir das fiese Grinsen meines Peinigers und merkte, dass ich mich beeilen musste. Schon bildeten sich blutige Risse an meinen Handinnenflächen. Ich drehte den Wasserhahn zu. Elend sah ich den Teufel an. „Bitte…“, murmelte ich mit trockenen Lippen, „Geben sie mir Sterilium!“ „Sterilium?“, der Teufel sah mich belustigt an. „Ganz, wie sie wünschen!“
 
Da begann aus einem Riss in der Decke Sterilium in den Raum zu fließen. Erst nur als Rinnsal, unter das ich begierig meine Hände hielt, dann als breiter Zufluss, der bald den ganzen Fußboden bedeckte. Zuerst war ich außer mir vor Freude, warf mich zu Boden und wälzte mich in dem Steriliumteich, doch dann registrierte ich, dass es gar nicht wieder aufhörte, in den Raum zu strömen. Es stieg mit beängstigender Geschwindigkeit, reichte bald an meine Knie, überflutete meine Hüfte und gelangte schließlich an meine Schultern. „Hilfe, aufhören!“, schrie ich. Doch das Sterilium überflutete bald meinen Kopf, rann brennend meine Kehle hinunter und zog mich in die Tiefe. Meine Panik explodierte. Ich schloss die Augen. „Pause!“, dachte ich, „Pause!“
 
Als ich die Augen wieder öffnete, leuchte ein großes Schild mit roten Buchstaben vor mir auf. INTERMISSION! stand darauf. Urplötzlich war das Badezimmer, waren das Sterilium und das Grauen des Ertrinkens verschwunden, und ich fand mich in einer großen, dunklen Halle wieder, in einer Menge von Cheerleadern mit kurzen Röckchen und Pom Poms. Ich selber trug ebenfalls ein solches Röckchen und wirbelte ein Pom Pom durch die Gegend. An den Seiten der Halle standen jubelnde Teufel aller Gattungen und auf einem Podest vor uns schwang der blonde SS-Teufel seine Reitgerte und bellte Hitler-artig Befehle in ein Mikrophon. Rechts und links von ihm standen große Kanonen, wahrscheinlich ‚Dicke Bertas‘, die Feuerbälle in die Luft schossen. Und eine Band, bestehend aus strapsbewehrten Satansweibern in schwarzer Reizwäsche, spielte mit Bläsern und Gitarren Highway to hell.
 
„Cheerleader voooor-wärts!“, schrie der Teufel ins Mikro. Und mechanisch setzten wir uns alle in Bewegung, über glühende Kohlen hinweg. Die Hitze sengte mir die Fußsohlen an. „Warum glühende Kohlen!?“, schrie ich. Augenblicklich waren die Kohlen verschwunden und stattdessen erstreckte sich vor uns ein Parcours aus Schnodder und Eiter, über den wir laufen mussten. Gleichzeitig flammten an den Seiten der Halle Leinwände mit Werbetrailern auf: Jetzt neu in der Hölle: Das EKEL- KZ! Zwangsarbeit im prallen Sonnenschein, tägliche Kotappelle und Schweißeinreibungen. Allabendlich Fußlecken und Arschkriechen! Der neuste Schrei! Qual allzumal!!!
 
„Nein!“, schrie ich, „Bitte Gnade!“
 
„Gut!“, vernahm ich die Stimme des Teufels an meinem Ohr. Ich stand auf einer schäbigen Terrasse eines Reihenhaus-Vorgartens. „Jetzt“; vernahm ich die Stimme des SS-Satans, „müssen sie die Fugen der Gehwegplatten von Moos und Erde reinigen. Dies allein unter Zurhilfenahme ihrer Fingernägel bei gleichzeitiger Phobie vor Moos und Erde.“ Ich stöhnte, sah den Teufel an, aber in seinen Augen gab es kein Pardon. Ächzend ließ ich mich nieder und begann, mit meinen Fingernägeln, Moos aus den Plattenfugen zu kratzen. Diese Arbeit war enervierend. Endlich, nach einer dreiviertel Stunde, hatte ich eine Fuge halbwegs freigekriegt. Mich schüttelnd vor Ekel rieb ich meine Finger an der Kleidung ab. „Könnte ich mir doch nur die Finger reinigen!“, seufzte ich. Eben wollte ich mich an die zweite Fuge machen, da schnarrte die Stimme des Teufels: „Zeit für Körperpflege! Ihre Fingernägel sind viel zu lang. Müssen mal geschnitten werden!“ Gleich darauf befand ich mich im Griff des Teufels, der mit einer Nagelschere meine Fingernägel ratzekahl abschnitt. „So!“, bellte er, „Weitermachen!“
 
Ich ließ mich abermals auf die Knie sinken und versuchte, meine Arbeit zu tun. Doch selbstredend kam ich mit meinen geschnittenen Fingernägeln nicht weit. „Bitte!“, rief ich, „Veränderte Bedingungen!“ „Veränderte Bedingungen!?“, schnalzte der Teufel, „Meinetwegen!“ Augenblicklich wuchs die Terrasse auf die doppelte Größe. „Nein!“, schrie ich, „So doch nicht!“ „Sie wollten veränderte Bedingungen.“, grinste der Teufel zynisch. „Hier haben sie veränderte Bedingungen. Aber machen sie sich nicht in die Hose, sie haben ja die ganze Ewigkeit Zeit für ihre Aufgabe.“ Mit stummer Verzweiflung sank ich auf die Knie. Mühsam setzte ich mein Werk fort. Vielleicht wären in zwei, drei Wochen meine Fingernägel wieder gewachsen. Bis dahin hieß es die Zähne zusammenbeißen. Stück für Stück bearbeitete ich das Moos. Da kam mir plötzlich ein Gedanke. Scheinbar reagierte der Teufel ja auf alles, was ich forderte… Das war bisher immer so gewesen. Vielleicht lag es nur an mir, diese ständige Qual zu beenden? Vielleicht musste ich nur klug fordern…
 
Zögernd richtete ich meinen Kopf auf und sah dem blondgestählten Höllenboten in die Augen. „Ich…“, sagte ich langsam, „…ich werde nichts mehr tun, was du mir befiehlst. Ich lasse mich nicht mehr zwingen. Ich will augenblicklich die Hölle verlassen und in den Himmel!“
 
Der Teufel sah mich erschrocken an, hob die Hände und umklammerte würgend seinen Hals damit. „Aber nicht doch…aber nicht doch…!“, krächzte er. Dann klappte die ganze Szenerie auseinander und faltete sich zusammen wie die Seiten einer Zeitung, wurde zusammengeknüllt und verschwand schließlich ganz.
 
Ich befand mich am Fuße einer großen, weißen Marmortreppe, die gesäumt war von wuchtigen Wolkengebirgen, die lichtüberglänzt waren. Oben, am Ende der Marmortreppe konnte ich ein mächtiges, goldenes Tor sehen. Langsam öffnete es sich einen Spalt weit. Bach-Choräle drangen hinter der Tür hervor, gesungen von überwältigenden Engelschören. Paukenschläge ertönten. Aus dem Türspalt drängelten sich kleine Englein mit Harfen und Posaunen, die wohl mal einen Blick auf den Neuankömmling werfen wollten. Ich schüttelte meinen Kopf. „Mann“, entfuhr es mir, „Ist das pathetisch! Das muss doch nicht sein!“
 
Kaum hatte ich diesen Ausspruch getan, befand ich mich wieder auf der guten, alten Erde. Es war ein Herbsttag, ein bisschen regnerisch zwar, doch die Wolken gaben an vielen Stellen den Blick auf blauen Himmel und die mit den bunten Blättern wetteifernde Sonne frei. Ich spannte meinen Schirm auf, setzte meinen Weg fort, und war mir sicher, richtig gewünscht zu haben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2012. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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