Patrick Rabe

Pflänzchens Abenteuer

Es war einmal ein Pflänzchen, das lebte in einer Sozialwohnung im 99. Stock in seinem Block. Einmal im Monat kassierte es seine Stütze, die meistens in einer Woche für Pizzabestellungen und neue Videospiele draufging; den Rest des Monats lebte Pflänzchen auf Pump von Freunden und Verwandten. Pflänzchen saß tagsüber meist auf dem Sofa und schaute lethargisch auf den Fernseher, wo Soaps, Talk-und Gerichtsshows und ‚Wer wird Millionär‘ mit Gunter Dünger über die Mattscheibe flimmerten. Pflänzchens Ernährung bestand wie gesagt hauptsächlich aus Pizza und gelegentlichen Nahrungsergänzungsmitteln wie Smacks, Nutella und Ravioli. Wenn das Geld wider Erwarten einmal reichte, dampfte Pflänzchen vorm Fernseher `ne Jolle und kam entspannt drauf. Gerne amüsierte sich Pflänzchen über die Schlagzeile der ‚Bild‘: „Deutschlands faulster Sozialschmarotzer!“ Pflänzchen lachte darüber und grinste: „Ach was, die kennen mich noch nicht!“
 
Nachdem 30 Jahre in dieser Weise vergangen waren, wurde es Pflänzchen langweilig. In seinem Gehirn blieben die Botenstoffe aus, und darum verlangte es nach einem neuen Kick. Bei dem Drogenhändlerring seines Vertrauens bestellte es sich deswegen LSD, gleich mehrere Trips, wofür sein monatliches Einkommen binnen eines Tages draufging. Erwartungsfroh setzte sich Pflänzchen auf sein Sofa und schmiss einen Trip. Sofort war alles voller erstaunlicher Farben und Formen. Durch Pflänzchens Panoramafenster schwebte ein Typ, der sah aus wie ein Union Jack. „Komm mit!“, rief er und winkte Pflänzchen zu. Pflänzchen war erst unwillig, wollte es sich doch gerade die Gerichtsshow von Rhabarbara Salesch angucken, doch dann erinnerte es sich daran, dass es nach Abwechslung verlangt hatte und schwebte zusammen mit Union Jack durchs Fenster.
 
Ein gleißendes weißes Licht empfing Pflänzchen, sodass es geblendet die Augen schließen musste. Als es sie zögerlich wieder öffnete, gewahrte es eine ausgedehnte Landschaft voller Klatschmohn. Zwischen den Blumen wanderten hochgewachsene Männer mit Zipfelmützen umher, die ab und an laute Nieser von sich gaben. Eine Weile sah Pflänzchen zu, dann rief es: „Hey ihr, wer seid ihr denn?“ Eines der hochgewachsenen Wesen wandte sich ihm zu und sagte mit Bassstimme: „Wir sind die Gartenriesen! Wir niesen auf die Wiesen; ist günstiger als gießen! Hatschi!“ „Gartenriesen?“, rief Pflänzchen ungläubig, „Ich kenn nur Gartenzwerge!“ Der Gartenriese nahm seine Mütze ab und wischte sich über die schweißnasse Stirn. Dann antwortete er: „Zwerge sind zu träge, kriegen nichts zuwege! Hatschi!“ Damit nieste er genau in Pflänzchens Richtung, das den ganzen Schwall Riesensabber abbekam. „Wofür schuftet ihr denn hier?“, fragte es. Der Riese antwortete: „Wir niesen auf den Mohn, der Mohn ist unser Lohn! Er kommt auf unsern Esstisch und macht den Mund uns wässrig. Dann könn‘ wir wieder niesen und neuen Mohn begießen! Hatschi!“ „Ach so!“, stotterte Pflänzchen. Das schien so eine Art Synergie zu sein. Ein Kreislauf.
 
Videospielversiert beschloss Pflänzchen, dass es jetzt Zeit wäre fürs nächte Level. Und richtig, das gleißende Licht leuchtete wieder auf und beschien alsbald ein Feld, das mit Nutella bestrichen war. Über Pflänzchen war ein weiter Himmel aus Himbeermarmelade gespannt. Plötzlich ertönte ein lautes Brummgeräusch. Pflänzchen schaute auf. Ein Feudel mit Propeller flog über den Himmel und wirbelte die Marmelade auf. Vor Pflänzchen stoppte er urplötzlich. Pflänzchen bekam einen Lachflash. „Wer bist du denn?“, prustete es. Der Feudel machte ein erstes Gesicht (sofern man das von einem Feudel sagen kann). „Ich bin der Marmeladen-Schwoddel!“, sagte er weihevoll. „Ich bin dein Coach.“ „Ach echt?“, fragte Pflänzchen erstaunt, „Ich habe aber schon eine Couch, auf der sitz ich meistens und…“ „Nicht Couch, Coach!“, verbesserte der Marmeladen-Schwoddel. „Und weißt du, das ist genau dein Problem. Du machst zu wenig aus deinem Leben. Denk an den Mohn und die Riesen. Die bringen sich ein, die profitieren voneinander. Wer profitiert von dir!?“ „Äh…“, überlegte Pflänzchen, „Der Pizzaservice?“ „Naja!“, sagte sagte der Marmeladen-Schwoddel streng und schwoddelte ein paar Kleckse Marmelade auf sein Gegenüber. „Ich glaube, ich schick dich zurück in die Welt. Du musst dein Leben ändern!“ „Warum?“, fragte Pflänzchen, „Weil mein Trip mich geläutert hat und ich unter Tränen erkannt habe, dass ich immer nur auf Kosten Anderer gelebt habe und meine Zeit vergeudet hab?“ „Nein!“, entgegnete der Marmeladen-Schwoddel und zwinkerte, „Weil’s Bock bringt!“ Mit diesen Worten packte er Pflänzchen beim Kragen und schubste es in einen langen, dunklen Tunnel. Mit einem lauten Schrei fiel Pflänzchen auf ein warmes Licht zu.
 
Schlagartig erwachte es auf seinem Sofa. Es rief „Heureka!“ und änderte sein Leben. Es pumpte ein letztes Mal Freunde und Verwandte an und gründete mit dem Geld eine Stiftung zur Unterstützung arbeitsloser Zimmerpflanzen, mit deren Klientel es große Klatschmohnfelder betrieb. Außerdem schrieb es seine LSD-Erfahrungen auf und wurde ein bekannter esoterischer Bestsellerautor und Guru. Sein meistverkauftes  Buch war ‚Wege zum höheren Marmeladen-Schwoddel‘. Es machte enorm viel Kohle, die es in seine Stiftung reinbutterte, und als es schon hochbetagt war, erhielt es das Bundesverdienstkreuz als fleißigster Sozialschmarotzer Deuschlands.
 
Als der Traum an ebendieser Stelle angekommen war, wachte Pflänzchen auf. Es blinzelte. Nein, es hatte natürlich nie in einer Sozialwohnung gewohnt. Es hatte auch nie LSD genommen und nie eine Stiftung gegründet. Es war eine Pflanze von vielen, die festverwurzelt in der Erden zur Schönheit der internationalen Gartenschau beitrugen. In Erinnerung an seinen Traum bekam Pflänzchen einen zehnminütigen Lachflash…
 
Geschrieben anlässlich der IGS in Hamburg Wilhelmsburg 2013, mit Dank an die Beatles, die Stones und alle psychedelischen Bands aus den 1960ern!
 
Copyright Patrick Rabe, 10. 1. 2013.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.01.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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