Michael Reißig

Die feierliche Einweihung des Berliner Großflughafens


Eine heitere Geschichte, rundum die größte Investruine Deutschlands

Am 13. August des Jahres 2021 wälzen sich zehntausende Berlinerinnen und Berliner, unter ihnen auch zahlreiche Gäste und Staatsoberhäupter aus aller Herren Länder dieser Welt, durch das gigantisch anmutende Terminal des ersten Großflughafens dieser Stadt, um deren feierlicher Eröffnung beizuwohnen.
Ein Zeremoniell, das eigentlich schon am dritten Juni des Jahres 2012 geschehen sollte. Doch unzählige Pannen, die den uneigennützigen, auf den Grundlagen christlicher Barmherzigkeit beruhenden, Einsparkünsten deutschen Manager und Ingenieure geschuldet waren, ließen diesen langersehnten Termin gleich mehrmals verstreichen.
Doch was lange währt, wird gut, heißt es in einem, aus der ollen Mottenkiste jegrabenen Spruch, wenngleich dieser erst neun Jahre nach dem ersten geplatzten Eröffnungstermin wahr geworden ist.
Wie immer zu solch bahnbrechenden Ereignissen, die selbst schon die vor lauter Überschwang nur so schäumenden Fans der Berliner S-Bahn hautnah zu spüren bekamen, sind die Berliner – und das nicht nur die wohlgesonnenen Steuerzahler - wieder mal in bester Partylaune, obwohl es eigentlich gar keinen nachvollziehbaren Grund gibt, die Sektkorken so richtig knallen zu lassen. Sechzig Jahre ist es nun schon her, als das patriarchalische SED-Regime die Berliner Mauer errichten ließ, um dem weiteren Exodus aus dem ersten deutschen Arbeiter- und Bauernparadies auf deutschem Boden – um das sogar Bananen, Kiwis, Avocados, Ananasfrüchte, Zucchini und viele andere südländische Gewächse, die allesamt nicht bereit waren, der allseits ungeliebten Ostmark sich zu opfern - ein für allemal einen Riegel vorzuschieben. Erhebliche Zeitverzögerungen wie beim Bau des neuen Flughafens, waren allerdings undenkbar. Schon deshalb, weil die Fähigkeiten jener Ingenieure vom alten Schlage, die auf Grund ihrer unbezähmbaren Bauwut bis zum Letzten ausgereizt worden waren, keinerlei Wünsche offen ließen. Die kommunistischen Gewaltherrscher hatten nämlich prompt vergessen, bei der Installation ihres stalinistisch-autoritären Bildungssystems, den Einsatz eines dringendst benötigten Rotstiftes zu erwägen. Vermutlich der einzige Grund, weshalb der Bau dieses nahezu undurchlässigen Bollwerks, das alle Ossis ein Leben lang vor den Segnungen der glitzernden westlichen Konsumwelt, aber auch vor einer eventuellen Einführung der Arbeitsmarktreform Hartz IV, schützen sollte, ohne nennenswerte Pannen vonstatten gegangen war.
So hatte es an dem nötigen Knowhow wahrlich nicht gefehlt. Erst recht nicht ein paar Jährchen später, als es auf Geheiß des damals noch uneingeschränkt herrschenden SED-Chefs Ulbricht galt, am Alexanderplatz einen Fernsehturm - den die Berliner auch heute noch liebevoll „Langer Lulatsch“ nennen - in die stattliche Höhe von dreihundertfünfundsechzig Metern zu ziehen. Und siehe mal einer an! Das Wunder, es gelang! Da konnte man wahrlich noch von echter deutscher Wertarbeit sprechen, zumal die im Kreativität und Zielstrebigkeit raubenden östlichen Bildungssystem verblödeten Ingenieure vor der wahnsinnigen Herausforderung standen, die Statik dieses Bauwerks so zu berechnen, dass den nicht abebben wollenden Besucherströmen die einzigartige Möglichkeit eröffnet wird, sich ausschließlich auf der dem Westteil zugewandten Seite dieser Aussichtsplattform frei bewegen zu können, ohne dass der Turm dabei zu stark ins Wanken gerät, oder sogar - wie ein verdammt locker sitzendes Kartenhaus – Gefahr läuft, beim kleinsten Windhauch sich in die Unkenntlichkeit zu zerlegen...

Schon der Beginn verspricht einen weiteren stimmungsvollen Verlauf dieser Veranstaltung.
Ein Orchester der Bundeswehr schmettert unverdrossen die Melodie des altbekannten Liedes „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft, in der kein Flugzeugstart verpufft, pufftpufft..., begleitet von einem stimmgewaltigen gemischten Chor, in dem besonders die attraktivsten Berlinerinnen ihre Stimmbänder am stärksten ausreizen. Freilich wären die Berliner keine richtigen Berliner, wenn sie, angesichts dieser Bombenstimmung, nicht bereit wären, mitzuschunkeln und mitzuklatschen. Und das passiert auch. Im wahrsten Sinne des Wortes steppt der Bär! So erweisen sich die Berliner wiedermal als echte Berliner - mit viel viel Herz und locker sitzender Schnauze!
Tosender Applaus brandet auf, als Flugiene, die fesche Miss.Berlin - die Gott - ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt - mit einem verführerischen sexy Dekolletee, aber auch mit großen himmelblauen Augen ausgestattet hat, die sogar imstande sind, so herrlich aufopferungsvoll zu glühen, um alle Schüchtermännern dieser Welt, bei ihren stets riskanten Flirtversuchen, in die Schranken zu weisen - den Ohrwurm der leider viel zu früh verstorbenen Ostberliner Kultsängerin Helga Hahnemann, „Hundertmal hab ick Berlin verflucht“, anstimmt. Das Publikum ist vor Begeisterung außer sich, obwohl die hübsche Miss in Helgas Lied ja nur das mit tollen Subventionen bespeckte und dennoch am Tropf hängende Berlin und nicht etwa den Fluchhafen (ein Wort, das die Berliner aus bisher noch unerfindlichen Gründen dem sächsischen Sprachgebrauch entnommen haben) verflucht...
Plötzlich scheint das Publikum in einem Hauch von Lethargie zu versinken. Vielleicht weil der Präsident des Deutschen Denkmalschutzes, ein gewisser Herr Hohn, beschwingten Schrittes und mit einem Honigkuchenstrahlen im Gesicht, ans Mikrofon geeilt ist.
Der Regierende Bürgermeister dieser leidgeprüften Stadt, der von den meisten Berlinern sehr geachtete Herr Fluch, den die meisten Berliner, dank der unbändigen Kraft ihrer Stimmzettel - die allerdings nur in spärlicher Anzahl in den Wahlurnen gelandet sind - gerade erst zwei Monate zuvor, mit überwältigender Mehrheit, das Vertrauen geschenkt haben, ist der einzige der Berliner Politprominenz, der bisher noch nicht gesichtet werden konnte. Wieso bleibt es ihm nicht vorbehalten, dieses, in der gesamten Welt geadelte ingenieurtechnische Wunderwerk seiner neuen Bestimmung zu übergeben?
Ist doch schon ein wenig merkwürdig! Nicht ein einziger Flieger wohnt diesem feierlichen Akt bei! Und das ausgerechnet bei der Eröffnung jenes Flughafens, der schon seit langem unzählige Milliarden von Steuergeldern verschlungen hatte, der es endlich möglich gemacht hat, mit Bayern, Baden Württemberg und Hessen, die letzten drei übriggebliebenen Geberländer im Länderfinanzausgleich, in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben!

Als Herr Hohn nach einigen freundlichen Begrüßungsworten seine Rede fortsetzt, werden die Hälse der meisten Besucher lang und länger:
„Leider ist es uns, trotz größter Anstrengungen, nicht gelungen, die in den vergangenen Jahren, Monaten und Wochen gehäuft aufgetretenen Pannen zu beseitigen Daher wird es auch in absehbarer Zukunft nicht möglich sein, Starts und Landungen von Verkehrsflugzeugen von diesem Ort aus zu bewerkstelligen. Daher ist der Bürgermeister unserer Stadt, Herr Fluch, der aus persönlichen Gründen heute leider nicht unter uns weilen kann, betont freundlich an mich herangetreten und hat mich darum gebeten, diesen Flughafen zu übernehmen und diesen nicht als Flughafen, sondern als Technisches Denkmal der Moderne seiner neuen Bestimmung zu übergeben.
Frenetischer Beifall unterbricht kurzzeitig den Redner...
„Unsere Hauptstadt ist nun in Besitz des größten Flughafendenkmals der Welt – eine Tatsache, die die uns Berliner und alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu Recht mit größtem Stolz erfüllt! Erinnert sei noch, dass sich an diesem denkwürdigen Tag, der Beginn des Baus der Berliner Mauer sich nun schon zum sechzigsten Male jährt. Dabei sollten wir bedenken, dass die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR, die den endgültigen Fall dieses abscheulichen Monstrums der Unfreiheit nach sich gezogen hatte, die Errichtung dieses imposanten Denkmals überhaupt erst möglich machen konnte. Unter diktatorischen Bedingungen wäre die Planung und Projektierung, solch eines epochalen Monumentes bereits in den Kinderschuhen steckengeblieben!!!
Erneut brandet Beifall auf.
„Und ich sage ihnen von ganzem Herzen: Um dieses eindrucksvolle Zeugnis deutschen Managements, das die wahre Leistungsfähigkeit unseres deutschen Denkmalbaus nachhaltig bewiesen hat, wird uns die ganze Welt, und dies in nicht allzu ferner Zukunft, noch beneiden. Der Tourismus in unserer Hauptstadt wird eine neue Blüte erleben, die unzählige Arbeitsplätze im Hotel- und Gastronomiegewerbe schafft.
Als Hüter dieses Denkmals werde ich alle Modellflugvereine unseres Landes demnächst anschreiben, und ihnen die Möglichkeit einräumen, unseren neuen weltstädtischen Flughafen, einer weiteren sinnvollen Nutzung zuzuführen. Da spielen ein nicht gewährleisteter Brandschutz, sowie nicht funktionierende Rolltreppen allenfalls nur eine untergeordnete Rolle“, stellt Denkmalschützer Hohn am Ende seiner mit überschwänglicher Begeisterung von den Berlinern angenommenen Rede klar.


Ein Jahr nach dieser feierlichen Flughafenweihe können die Berliner darauf verweisen, jene Hauptstadt dieses Erdballs zu sein, die in der Gunst der Touristen dieser Welt am stärksten nach oben geklettert ist.
Durch Berlin windet sich nun explizit, unübersehbar und natürlich unüberhörbar, die größte Quasselstrippe von der Welt. Helga Hahnemann – Ostberlins einstige Kultfigur – dürfte dies in tiefsten grauen DDR-Zeiten wohl schon geahnt haben, zumal sie nämlich damals schon in ihrem unvergesslichen Lied die Stadt Berlin mit diesem Headline aufgewertet hatte. Natürlich konnte sie nur Ostberlin gemeint haben, obwohl in diesem Teil „Horch und Guck“versuchte, diesen zahllosen Quasselstrippen ins Handwerk zu pfuschen.

Möglicherweise wird sich eines Tages sogar noch ein windiger Geschäftsmann finden, der diese allseits beliebte Großimmobilie kauft und aus dieser statt eines Großflughafens ein Großbordell macht, indem nicht kompetente geschasste Manager, von Plagiats- und ähnlichen Vorwürfen gestresste Politiker, sowie viele andere staatliche und privatwirtschaftliche Würdenträger, die stetig dem Mobbing der kleinen Leute schutzlos ausgeliefert sind, eine willkommene körperliche und seelische Entspannung finden können.
Natürlich würden die Altflughäfen in Tegel und Schönefeld dann erst recht aus allen Nähten platzen. Und wieder müsste ein neuer Großflughafen her!
„Schon wieder“, würden alle ehrlichen Steuerzahler erneut anfangen zu meckern.
Doch dieses allein genügt nicht!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.01.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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