Peter Kröger

Immerhin Sombart



Immerhin geht es um Sombart, sage ich. Meinst du, es hört auf, nur weil er an Berühmtheit eingebüßt hat und neuerdings seinen rechten Arm nicht bewegen kann, Aposchlag nennt er es, und sie ihm ein Stück Hautkrebs aus dem Arsch geschnitten haben, garantiert nur ein Stück, beim Schwarzen Hautkrebs ist es nie der ganze, gerade entdeckt, wuchert er längst schon in irgendwelchen Innereien, Sombart wird sterben, wir werden alle sterben, aber Sombart wohl etwas früher, was besagt das, nüchtern betrachtet, nichts, wo war ich, richtig, Sombart, meinst du wirklich, es hört auf? Der einst nach den Sternen greifende Großlyriker am Boden und ich im Gegenzug ein lieber Mensch und achtbarer Bürger? Nicht weniger als eine radikale Kehrtwende im Leben von mir und Sombart wäre erforderlich, also etwas ganz und gar Unmögliches, wenn man bedenkt, dass weder Sombart noch ich in den vergangenen Jahrzehnten irgendeine Kehrtwende vollzogen haben, wenn man unser persönliches Auseinanderdriften außer Acht lässt, das darin bestand, dass Sombart berühmt geworden ist und den Kontakt mit mir einschlafen ließ, während ich völlig unbekannt geblieben bin und weiterhin den Kontakt mit ihm gesucht habe, allerdings ohne Erfolg, sage ich. Wie sollte, frage ich dich, Joachim, meine Griesgrämigkeit einer positiven, Sombart bejahenden Haltung  weichen, da ich, so merkwürdig es klingt, erst mühsam lernen musste, ihn und seinen Ruhm zu verachten, lach nicht, Joachim, sage ich, ich habe es in mühevoller Kleinarbeit lernen müssen, wie andere ein Handwerk lernen. Ich möchte nicht von Hass sprechen, aber immerhin reicht es im Ergebnis für einen Grad von Abneigung, der jede Art von desaströsem Mitgefühl  verhindert, ein Mitgefühl, das Sombart übrigens nie eingefordert hat und nie einfordern wird, wie ich ihn kenne, bis ihn schließlich die Maden fressen, sagen wir in einem Jahr, sagen wir in zwei oder morgen sage ich, wie auch immer, vielleicht kontere ich Arschkrebs mit Gift oder Herzstillstand oder beidem und komme ihm zuvor, manchmal wünsche ich es mir, nur um Sombart zu verwirren.
Es liegt auf der Hand, sage ich, dass ich Sombart seinen Erfolg neide, dass ich seine Berühmtheit im Grunde nicht verstehe, nicht verstehen will und mich weigere, mein Zurückbleiben, mein Scheitern zu akzeptieren, ein Scheitern ohne Versuch, ein vergebliches Sein-Wollen. Gelegentlich lungere ich sogar in großen Buchhandlungen herum, bis ich jemanden mit einem Sombart zur Kasse gehen sehe und laufe dem- oder derjenigen (meist sind es Frauen) durch die Fußgängerzone hinterher, auf der Suche nach einem Geheimnis, das es nicht gibt, das Verdichten von Worten ist schließlich keine Alchemie sondern ein Falscher Hase im Ofen, mehr nicht. Neulich war ich wieder dreist genug, eine brünette Dame nach kurzer Verfolgung im Café Engels anzusprechen, mich an ihren Tisch zu setzen und sie zur Rückgabe des noch eingeschweißten, vermeintlich schlecht gereimten Sombart-Bändchens zu bewegen.
Du lachst schon wieder, Joachim, sage ich, aber es ist eine Tatsache, dass ich Sombart, wenn man so will, nicht aus den Augen lasse und versuche, ihm aus der Deckung heraus Schaden zuzufügen, und meistens glückt es sogar. Damit meine ich jetzt nicht kleine, fast harmlos zu nennende Späßchen in Buchhandlungen oder Cafés, sondern meine Neigung zu krankhaftem Denunziantentum beziehungsweise der Öffentlichmachung von Privatem und allzu Privatem. Woher, glaubst du, sage ich, hat die Presse Wind bekommen von Sombarts pornografischen Megasellern, mit denen er sich sein Germanistikstudium finanziert hat, von wem kam der Hinweis auf Sombarts Freundschaft mit Suhrmann, einer Hamburger Kiezgröße mit beeindruckendem Strafregister? Und wer spielte seiner Ehefrau Elke ein Video von einem Klassentreffen zu, das Sombart volltrunken kopulierend mit seiner ebenso volltrunkenen Jugendliebe Rita Orlowski zeigt und seine Scheidung zur Folge hatte und seinen ohnehin latent vorhandenen Alkoholismus beförderte? Ich wiederhole mich, sage ich, aber immerhin geht es um Sombart, mit einer gewissen Berechtigung kann ich sogar behaupten, Literaturgeschichte geschrieben zu haben, negative Literaturgeschichte, indem ich Sombarts Leben in den Dreck gezogen und ihn der Lächerlichkeit preisgegeben habe, sodass schließlich auch die Qualität seiner Bücher litt, der Meister allmählich von den Long- und Shortlists ehrwürdiger Lyrikpreiskomitees verschwand und seine ständige Niedergeschlagenheit das Schreiben schließlich ganz unmöglich machte, wie ich von Elke erfuhr, die Sombart trotz allem noch liebt, und mit der ich mich angefreundet habe, sage ich, und die nichts von meinen Intrigen weiß, so wenig wie Sombart irgendetwas von meinen Intrigen weiß und mehr oder weniger vergessen hat, wer ich bin und durch seinen persönlichen Niedergang beziehungsweise seinen Berühmtheitsschwund zwar andauernd aber nur indirekt an seinen alten Freund Gero erinnert wird, der als Redakteur bei einer Fachzeitschrift vergammelt, einer Automobilzeitschrift, wie du weißt, sage ich, wo ich den Glossen schreibenden Hampelmann spielen darf, kritisch, witzig, scharfzüngig aber nie fundamental-künstlerisch-literarisch, wie Sombart es machen würde, wie er es, befürchte ich, auch machen würde, wenn er der Redakteur einer Automobilzeitschrift wäre, dieser Gedanke, lieber Joachim, sage ich, ist niederschmetternd, nur ausnahmsweise lasse ich ihn überhaupt zu, Sombart ist eben durch und durch Dichter, eine Künstlerexistenz und gar nicht in der Lage, etwas Anderes zu sein, auch seine schlechten Texte der letzten Jahre verraten eine Könnerschaft, wie sie mir nicht zur Verfügung steht, ihn ist man geneigt im Moment des Scheiterns tragisch zu nennen, mich, einen Fuzzi, kann man entlassen und ausradieren. Elke wiederum schimpft zwar auf Sombart, wenn sie ihn nicht gerade liebt und verehrt, aber mich nennt sie einen lustigen Menschen, einen Journalisten mit einer flotten Schreibe und weiß gar nicht, welch vernichtendes Urteil sie damit über mich spricht, sage ich.
Was genau geschehen soll, jetzt, wo Sombart literarisch ins Straucheln geraten ist, vor einem Scherbenhaufen steht und gesundheitlich langsam aber sicher vor die Hunde geht, weiß ich nicht, doch ich favorisiere nach diesem halben Menschenleben der Sombartferne einen direkten Kontakt, verbunden mit einer Beichte über die ihm zugefügten Leiden, wozu der dumme Arschkrebs ausdrücklich nicht gehört, denn der dumme Arschkrebs ist eine Himmelsgabe, denke ich, nachhaltiger als jede Intrige, aber nicht mein Werk, ebenso wenig Sombarts, sondern eine Laune des Schicksals, ach, das Schicksal, Joachim, sage ich, wieder vor Sombart stehen nach all den Jahren und alles zugeben, damit er es weiß und sich seinen Reim darauf machen kann, darauf setze ich.
Gestern, sage ich, habe ich einen Reim auf Sombart gemacht, es war an der Zeit, das Gedicht heißt Du und ist kurz, ich lese es dir vor, und morgen will ich es Sombart vorlesen, ich will klingeln an seiner Haustür und Hör zu! rufen und es aufsagen, Joachim, und wieder gehen, es ist ein Akt vorweggenommener Trauer, ein Gedicht für den Dichter in den letzten Zügen, für ihn, der mein Freund sein könnte, wie früher, sage ich, also:
 
Du
 
Der Platz
der Gefallenen
dreht sich im Kreis.
Wo eben noch du warst
wuchert Farn.
 
Wohin nur
frage ich
soll der Regen
jetzt
wo du fort bist
mit deiner Not.
 
Da wird er blöd gucken, was meinst du, sage ich, ich werde einen Diener machen und gehen, Sombart wird meinen Namen rufen, und mich zur Umkehr bewegen. Wir werden uns die Hand reichen und alles sagen, was zu sagen ist. Ich werde sagen: Nur Joachim kennt dieses Gedicht, nur er kennt die Dinge, die ich dir angetan habe, es war die Generalprobe, es Joachim zu erzählen, nur dass Elke die Brünette aus dem Café Engels ist, weiß er nicht, werde ich Sombart sagen. Oder hätte ich Joachim sagen sollen, frage ich dann, dass Elke dauernd deine Bücher kauft, um sie auf mein Anraten hin ungelesen zurückzugeben? Dass sie verrückt ist, ein Fan, könnte man sagen, verrückt nach dir, verrückt geworden an dir, Sombart? An dir, Sombart, das ist gut. Mal sehen, wie Sombart antworten wird, sage ich, man darf gespannt sein, immerhin geht es um ihn, und immerhin ist es Sombart.
Gelegentlich kommt es anders, sage ich. Wenn die Sonne scheint, der Himmel blau ist und ein warmer Wind weht, kann es geschehen, dass es aufhört, dass Sombart mich in Ruhe lässt und mir eine halb lustige, halb traurige Glosse über das Fahrverhalten von Hutträgern gelingt. Meine flotte Schreibe erscheint dann als einfache Erfüllung eines Auftrags, so, wie auch Sombart immer einen Auftrag erfüllt, als Porno-Sombart, als berühmt-berüchtigter Großlyriker Sombart, schließlich als Halbwelt- und Niedergangssombart, als Arschkrebspoet, sage ich. Aber wann scheint die Sonne schon, es funktioniert nicht, und ich werde augenblicklich wieder von Sombart im Stich gelassen und bin augenblicklich wieder Gero Schreiberling, der es noch einmal wissen will, Gero Neidhammel, Gero Krank,  Kontakt-Gero, Aufhetz-Gero, der Liebliche, der Unrühmliche, ja, das ist schön, Joachim, sage ich, der Unrühmliche, das bin ich, und Sombart ist ein großer Mensch, dessen Menschsein ich Beine gemacht habe, dem ich alles sagen werde, dem ich ein Gedicht vortragen werde, das Du-Gedicht, das von seinem Tod handelt, den ich jetzt schon beklage, das Trauern liegt mir, eigentlich liegt mir auch Sombart, darum habe ich einen Abgesang gedichtet,  Automobilfachzeitschriftengero kann nämlich dichten und denkt an die Zukunft, wie das klingt, der wuchernde Farn, daran habe ich lange gefeilt, Joachim, du lachst, sage ich, aber über ehrliche Arbeit lacht man nicht, auch nicht über Falschen Hasen, wenn er schmeckt.
Zwei Anmerkungen will ich noch machen, vielleicht drei, bevor ich morgen zu Sombart gehe und Bericht erstatte. Glaub nicht, dass mir das Leben leichtfällt, auch das Spinnen nicht, Joachim, sage ich, die Kiezgröße Rolf Suhrmann weiß es, er ist mein bester Freund, das wissen alle, die mich kennen, Suhrmann haut jeden um, der mir in die Quere kommt, mit Sombart hat er aber nicht das Geringste zu tun, das wäre noch schöner und die brünette Elke geht für ihn anschaffen und liest Gedichte, das ist jetzt die reine Wahrheit, von Heine bis Rühmkorf, immer feste, nur vom unverheirateten Sombart nicht, bewahre, und von einem Klassentreffen, wo Sombart herumgevögelt haben soll, weiß ich auch nichts, und ich bin bei ausnahmslos allen Klassentreffen gewesen, einmal hat Achim Gutmann gekotzt, Hanne Huff fiel beim Tanzen mit Arndt Moser hin und musste ins Krankenhaus, ein anderes Mal haben sich Rita Orlowski und Jobst Kuhlmann direkt nach der Feier ein Hotelzimmer genommen, aber es kam wohl noch nicht mal zum Knutschen, weil Kuhlmann die ganze Nacht von seiner Scheißehe erzählt hat und die Orlowski nur genervt war von so viel Stumpfsinn und sich geschworen hat, in ihrem Leben fortan das Fremdgehen zu unterlassen. Wo war ich? Sombart, ja, eigentlich mag ich Klassentreffen,  aber ohne Sombart fehlt ihnen das gewisse Etwas, ein Gedicht vielleicht mit einer Pointe.
 Womit ich auch schon beim Kern bin, bei der Frage, sage ich, die mich am meisten berührt: Wer, lautet sie, ist Sombart? Warum bekomme ich ihn nicht zu fassen, warum werde ich morgen zu ihm fahren, um auszupacken? Und ein Gedicht vortragen, das alles sagt und doch vieles im Dunkeln lässt, weil Sombart niemandem Zutritt zu seiner Seele gewährt, der geschundenen, von mir in nicht unerheblichem Maße geschundenen? Du lachst schon wieder, Joachim, sage ich, aber irgendwann wird es dir vergehen, spätestens, wenn du unvermittelt auf Sombart triffst und diesem gebeugten Arschkrebsinhaber Aug‘ in Aug‘ gegenüberstehst, wie wir alle am Tag des Jüngsten Gerichts nicht nur dem Allmächtigen, sondern uns selbst gegenüberstehen, sprachlos, verstehst du, was ich meine, sage ich, warum beruhigen, sage ich, warum, ich spreche über Sombart, Joachim, ein wenig Respekt vor großen Namen täte dir gut, zwing mich nicht, dich mit der Kiezgröße Suhrmann zu vergleichen, ein Mann aus echtem Schrot und Korn, kein Grinse-König wie du, sondern ein König der Halbwelt und mein Freund, Suhrmann ist ein Freund, so wie Sombart zumindest Sombart ist, aber du lachst nur. Ein gutes Wort über dich, Joachim, muss ich mir aus den Rippen schneiden, du bist schlecht und Sombart holen die Geier, so kann es gehen, sage ich. Ich werde ihn von dir grüßen, Sombart weiß, wer du bist, Joachim, Sombart weiß alles, fast alles, sogar wer du bist, weiß er und er wird es mir sagen, vorausgesetzt, er lebt morgen noch.
Die verrückte Elke kommt mit, Suhrmann gibt ihr einen Tag frei und merkt sich jeden, der dumme Sprüche macht. Jemand muss meine Hand halten und Elke sagt, sie macht es, weil sie verrückt ist, sage ich, in der einen Hand einen Gedichtband, in der anderen Gero-Kind, und vor uns steht Sombart höchstselbst mit seinem schlaffen rechten Arm, der einmal sein Schreibearm war und jetzt, Aposchlag sei Dank, nur baumelt und seine Ruhe hat. Ich kenne dich nicht, so wie ich Sombart kenne, sage ich zu Joachim, aber du sitzt neben mir und kannst etwas gutmachen. Mein Herz schlägt noch. Hilf mir beim Aufstehen. Es soll aufhören.
Hilf mir.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.02.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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