Helmut Wurm

Sokrates und selbstkritische Lehrer

Sokrates sitzt mit einigen Studenten für das Lehramt in einer Universitäts-Mensa. In einer solchen Universitäts-Mensa sitzt Sokrates gern, beobachtet dort, spricht an und lässt sich ansprechen. Diesmal hat er diese Studenten gefragt, wie sie sich ihr künftiges Lehrerleben vorstellen, was sie besser machen wollten als derzeitige Lehrer, denn an diesen würde doch häufig Kritik geübt.... Immer wieder höre man von deren Gleichgültigkeit, deren Routine-Einstellung, deren Autoritätsgehabe, von deren Unverständnis für Jugendliche, von deren…

Die Studenten beginnen aufzumerken, allmählich entwickelt sich ein Gespräch und einer nach dem anderen beginnen die Lehramts-Studenten darzustellen, was sie später in der einen oder anderen Situation oder generell anders und besser machen möchten.  

Der erste Lehramtsstudent: Mich hat als Schüler immer wieder geärgert, wenn Lehrer bei schlecht ausgefallenen Klassenarbeiten generell den Schülern die Schuld dafür gaben.Wir hätten nicht aufgepasst, wir hätten nicht gelernt, wir gehörten nicht aufs Gymnasium, wir…

Einmal hat aber ein allgemein beliebter und geachteter Lehrer gesagt, dass die Arbeit zwar unnötig schlecht ausgefallen wäre, dass er aber auch dafür verantwortlich sein könnte, weil er vielleicht nicht klar genug erklärt hätte. Er hat uns dann gebeten, unsere Erklärung für die schlechte Arbeit zu nennen. Wir haben ihm zu verstehen gegeben, dass er zu schnell vorangegangen wäre und andere Lern-Belastungen durch andere Fächer nicht genügend beachtet hätte. Daraufhin hat er die Ergebnisse dieser Arbeit nur für diejenigen gewertet, die erfolgreich gewesen waren, hat noch einmal zwei Stunden erklärt und hat dann eine neue Arbeit geschrieben. Und die fiel dann wirklich besser aus.

Das möchte ich später auch so machen, wenn Arbeiten bei mir schlecht ausfallen. Dann möchte ich mich fragen, ob die Gründe vielleicht auch bei mir zu suchen sind. Und ich werde mich auch der eventuellen Kritik der Schüler stellen. Ich verliere dadurch nicht an Ansehen, ich gewinnen höchstens…

Sokrates: Das ist ein lobenswertes und richtiges Vorhaben. Denn in der Tat scheuen sich viele oder sogar die meisten Lehrer, Ursachen für Misserfolge bei sich selber zu suchen. Denn das würde ja bedeuten, dass ihr Unterricht zumindest teilweise schlecht wäre. Aber Lehrer sind auch nur Menschen und machen Fehler. Wenn man diese eingesteht, gewinnt man vor den Schülern, man verliert nicht…

Der zweite Lehramtsstudent: Häufig konnten meine Lehrer nicht verstehen, dass die Schüler sich nicht dauerhaft für das gerade erteilte Fach und Thema interessierten. Manchmal lag es einfach daran, dass das Fach prinzipiell nicht interessierte. Aber das Desinteresse musste nicht immer permanent sein, man war manchmal nur überanstrengt, das Wetter machte müde oder man war leicht krank. Manchmal hing es aber auch daran, dass man selber schon privat einiges gelesen hatte, sich unterfordert fühlte und sich deshalb langweilte. Dann wurde man vorwurfsvoll ermahnt oder im schlimmsten Fall bekam man sogar eine Strafarbeit für das Nicht-Aufpassen. Ich erinnere mich aber an einen Lehrer...

Sokrates (unterbricht): Teilweise ist verständlich, dass Lehrer über Desinteresse ihrer Schüler enttäuscht sind, weil sie dieses Verhalten als Missachtung ihrer Person und ihres Können verstehen. Teilweise muss man aber auch Schüler verstehen, die nicht zu jeder Zeit und bei allen Fächern und Themen interessiert sein können.

Jede Partei sollte in solchen Situationen entschärfende Verhaltensweisen zeigen und auf die andere Seite zugehen. Schüler könnten z.B. etwas Interesse heucheln oder offen mit dem Lehrer reden, Lehrer könnten...

Der zweite Lehramtsstudent: Ich erinnere mich an einen Lehrer, der, als er merkte, dass einige von uns sich in seinem Unterricht langweilten, diese Gruppe gesondert setzte und ihr anbot, dass er für sie besondere Themen und Arbeitsblätter erstellen würde und sich in Still-Arbeitsphasen der anderen Schüler mit ihnen über diese Zusatzthemen und Arbeitsmaterialien unterhalten würde. Er wisse, dass das gerade behandelte Thema für einen Teil der Schüler schwer verständlich sei und er deswegen für diese Schüler Zeit benötige. Er bitte um Entschuldigung, das er das nicht schnell genug erkannt habe. Und er bitte um Nachsicht, wenn ihm anfangs das vorgeschlagene Zusatzangebot nicht gut gelänge, denn er habe noch zu wenig Erfahrung in solch einer Unterrichtsform. Wir dürften ihn auch ruhig beraten.

Wir fanden dieses Eingeständnis sehr nobel und seinen Vorschlag interessant. Von da an waren wir gerne im Unterricht dieses Lehrers und haben ihm sogar Vorschläge gemacht, welche Zusatzthemen wir gerne bearbeiten würden. Er hat unsere Vorschläge auch gerne angenommen und sich dadurch nicht in seiner Lehrer-Ehre gekränkt gefühlt.

So offen für Schülervorschläge möchte ich später auch sein und auch meine Schwächen und Fehler eingestehen.

Sokrates: Im Grunde war dieser Vorschlag eine Vorwegnahme des Auflösens einer Klasse in Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Themen und Niveaus. Das ist für einen Lehrer eine mühevolle Unterrichtsform, die viel Vorbereitungszeit erfordert. Und gut finde ich, dass er ehrlich sein „Anfängertum“ in diesem Differenzierungs-Unterricht zugab. Dadurch hat er nicht an Lehrer-Ehre verloren.

Ein nächster Lehramtsstudent: Wenn wir schon bei Lehrern sind, die sich beraten und beurteilen lassen, da fällt mir eine unserer Lehrerinnen ein, eine junger Frau, die gerade vom Studienseminar kam. Die sagte uns zu Beginn des Schuljahres ganz offen, dass wir sie kritisieren dürften und dass sie uns am Ende jeden Schulhalbjahres einen Fragebogen austeilen würde, auf dem sie unser Urteil zum Stand ihres Wissens, ihrer Vorbereitung und Ihres Unterrichts erbäte. Denn sie müsse unseren Lernerfolg beurteilen und benötige dazu unsere Rückmeldung, ob sie uns auch gut gefördert hätte. Und wenn sie uns beurteilen müsse, dann sei es nur fair, dass wir sie auch beurteilen dürften.

Wir fanden das sehr mutig und gleichzeitig als eine Aufwertung von uns Schülern. Denn so waren Klasse und Lehrer keine Hierarchie-Leiter mehr, sondern man begegnete sich auf Augenhöhe.

Ich werde versuchen, ob ich das auch so machen kann. Ich weiß, dass das nicht einfach ist und ich möchte auch nicht nur auf meine Beliebtheit schielen...

Sokrates: Das war ein sehr mutiges Lehrerverhalten. Aber es birgt tatsächlich eine Gefahr, dass der betreffende Lehrer nämlich sein Verhalten und seinen Unterricht hauptsächlich nur noch dahin ausrichtet, dass er möglichst gute Beurteilungen von den Schülern bekommt. Ein Lehrer muss auch Ecken und Kanten haben und etwas fordern und durchsetzen, was nicht oder besser noch nicht des Schülern einsichtig und angenehm ist.

Ein nächster Lehramtsstudent: Meine Eltern und ich hatten ein niederdrückendes Schulerlebnis, das mich eigentlich bewogen hat, den Lehrberuf zu wählen und es besser zu machen. Ich war ein langsamer Schüler und ein Spätentwickler. Als Folge davon lernte ich schwer, besonders in der Oberstufe, und ich hätte eigentlich 1 bis 2 Jahre zurück versetzt werden müssen. Mein Abitur war in Gefahr, was meine Eltern sehr in Sorge versetzte. Denn besonders meine Mutter wollte gerne, dass ich studieren sollte.

Bei einem Elternsprechtag sagte nun eine Lehrerin zu meiner Mutter ganz unverblümt, dass nicht alle Kinder intelligent sein könnten und nicht jedes das Abitur machen müsste. Das beträfe auch mich, sie solle das einfach hinnehmen und es ertragen. Es gäbe schlimmere Dinge auf der Welt. Sie als Lehrerin habe sich zwar bemüht, aber jetzt auch meine Grenzen erkannt und sie werde sich jetzt anderen Schülern mit mehr Hoffnungen zuwenden.

Meine Mutter kam weinend aus dem Elternsprechtag. Dann fanden wir einen pensionierten Lehrer, der bereit war, mir Nachhilfe zu geben. Und dieser Mann engagierte sich sehr für mich, er gab mich nicht so schnell auf wie diese Lehrerin und er schaffte es tatsächlich, dass ich das Abitur schaffte.

Ich möchte mich gerade für scheinbar lernschwache Schüler engagieren und bei diesen nicht so schnell aufgeben. Ich weiß, dabei muss ich mich immer wieder neu fragen, ob ich wirklich alles getan habe, um die betreffenden Schüler für den betreffenden Stoff aufzu-schließen und zu fördern. Dafür ist also eine ständige Selbstreflexion und Selbstkritik notwendig. Aber dazu bin ich bereit... Bei dieser Zielsetzung sind Lehrer-Routine und Selbstsicherheit fehl am Platz.  

Sokrates: Was du vorhast, ist die hohe Zielsetzung des Lehrens und Erziehens. Ich wünsche dir viel Erfolg.

Eine Lehramtsstudentin: Ich möchte gerne Lehrerin werden, aber ich bin unsicher, für welche Schulart und für welchen Schülertyp ich mich entscheiden soll. Ursprünglich plante ich das Lehramt in der Sekundarstufe I. Aber wenn ich mit den dortigen altersmäßig etwas schwierigeren Schülern nicht zurecht komme, möchte ich mich lieber in die Grundschule versetzen lassen. Auch diese Schulstufe würde mir Freude machen. Ich muss mich prüfen, für welche Schüler ich am besten geeignet bin.

Deshalb lege ich mein Studium gleichzeitig für das Lehramt in der Grundschule und in der Sekundarstufe I an. Das dauert zwar etwas länger, aber dann kann ich mich anpassen. Es kann auch sein, dass ich mehrfach wechsele zwischen diesen beiden Schulstufen, je nach meinem Eignungsstand und nach Bedarf. Bei einem Lehrer wechselt oder schwankt im Lauf seines Lehrerlebens vielleicht seine Eignung und Interesse. Das muss man jeweils auch selbstkritisch analysieren. Und dazu bin ich bereit und deshalb investiere ich etwas mehr Zeit in das Studium.

Sokrates: In der Tat zeigt sich erst im Laufe eines Lehrerlebens, für welche Aufgabe manam besten geeignet ist. Da kann es sein, dass man für die Sekundarstufe II an Gymnasien studiert hat und irgendwann erkennen muss, dass man besser für die Primarstufe geeignet ist. Dann muss man bereit sein zu wechseln, auch wenn die Besoldung ungünstiger ist. Eine solche Selbstkritik ist wichtig. Man kann nicht stets einfach dort bleiben, wo man nach dem Studium gelandet ist, gemäß dem Motto „Augen zu und durch“.

Eine weitere Lehramtsstudentin: Ich möchte…

Das Gespräch geht noch eine Weile fort und noch andere Beispiele von nützlicher Lehrer-Selbstkritik und von Gründen für eine solche Selbstkritik werden angesprochen. Dann ist die Mittagspause in der Mensa herum und jeder geht seinen Weg, die einen in Vorlesungen und Seminare, Sokrates in die Bibliothek. Sokrates murmelt dabei:

Sokrates: Diese Studenten werden mit ihrer selbstkritischen Einstellung einmal gute Lehrer werden. Es wäre gut, wenn möglichst viele Lehrer solche selbstkritischen Standorte verträten.

(Aufgeschrieben von discipulus Socratis, dem Sokrates recht begeistert von diesem Gespräch in der Mensa erzählte)  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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