Rico Graf

S hrif stel er v r s win d e t oder Das Manuskript (I)


 

Ein Wesen ist nur der Raum, in dem es lebt.

Dieter Roth

 

 


Prolog
 
Das kurze Leben glotzt mahnend auf dessen schmalstotternder Schulter; der Geisterreiter, umsaumt vom Farbengewand der Musen, den Beutel voller Ideenlichter, schlägt mit blitzender Geißel nieder, woraufhin sie galoppiert, die Hufenfinger donnern wiehernd mähnenstrotzend, der eitle Federkiel zuckt hierauf, erwacht blutrubin spülend zu Tinte schwarz, darin saufender Papyrus zutiefst erschrocken zu ersticken droht, sentenzentrunken.
 
 
 
I
 
Die Zwinge schleckte gierig den frischen Fluss aus dem pfeifenden Abgrund des Raumes, der sich zur spitzkegeligen Öse wegt, vorbeifallend am starturnen Konterfei hin zur Gä, deren Lippen lange schon die eigenen Kindlein mit welkem Beton zugeklebt. Zitternde Schemen gegenüber an der gläsernen Wand tanzten mephistophelisch den Reigen der Hoffnung, sich spiegelnd in den nassgrauen Perlen, welche die Anemoi als Odem der Omen durch den Weltenbauch bliesen. Im schaukelnden Beutel ein lichtloses Manuskript, dessen haptischer Clon sich vor wenigen Wochen schon hierher durchgekämpft hatte, erwartungsvoll auf Wiedersehen eingestellt. Hustendes Sirren öffnete. Klack! Plötzlich verstummte die Stimme der Himmelskleider. Die Strumpfhose Stille ward vom Gebein des Hauses angezogen worden, die Lady blickte stumm, die Inversion des Argos, auf ihn. Echo rief vom Schritt der Schuhe belebt durch die Hallen. Bitte kommen Sie mit, der Herr hat Sie bereits erwartet, bat eine unscheinbare, beinahe gespenstig wirkende Dame von zartester Figur, deren Augen sich versteckend eines jeden Blickes zu entziehen suchten. Das Geschimpfe der Stufen, sich in abendlicher Ruhe gestört fühlend, ächzte und krächzte trompetend, gleichwohl es schien, als ihre Tiraden sich der Dame nicht scherten, schwebte sie doch anmutig über sie hinweg, so sie wirkte eine Randerscheinung zu sein, die der Narration keinen zwingenden Gehalt denn nur eine bloße Überbrückung der einen mit der nur kommenden Szene verantwortete, brüllten sie ob seiner Last, schwer sie schob sich, materiell gewordene Elpis. Fort verflüchtigte sich die dampfdünne Gestalt, die Schreie des Hausgerippes, Antithesen aller Sirenen, schwiegen von da an, als nun majestätisch der althölzern-sublime Koloss vor ihm sich erhob, verschmolzen mit Abermillionen Buchestaben, die über die Blätter geschwommen wie Schiffchen, die weder Skylla noch Charybdis scheuten, den Pfad sich erstürmen wollten hin zum Ithakator Tyrannen-ja – und doch nur Anus säubernde Diener wurden... Willkommen, setzen Sie sich. Sie hatten mir Ihr Manuskript zukommen lassen. - - - Ich habe es gelesen. Vielen Dank. - - - Mit brachialer Gewalt drängte der amorphe Fels der Erwartung im Leibe durch den Leibe hinaus aus dem Leibe, quetschte quellte durch der Iris Pupillen, flackerte, ging über zur Feder Befreiung, zu segeln durch die Lüftedes Atem Ja. Doch Wächters Augenschweigen verzückte dessen metallblaue Stimme zum Bruch der nervengespannten Kette. Berstend knatterte der Bass durch das foliantenfressende Zimmer, Ohrenrammbock stieß knallend auf, die an den Lettern klirrenden Seelchen erbebten in heulender Agonie. Nein, wir werden dieses Manuskript im Hause nicht publizieren. Schreckschwangerer Strahl lanzte die rote Pumpe; ein Ruck fuhr durch das Antlitz des nicht verlegenen Verlegers, zerknitterte ihn, knüllt das Papier zusammen, die Hand wirft es nieder zu Boden, zieht sich ein neues leeres Weiß heran, dirigiert ein neues poetisches Wörterkonzert zum Takt des Stiftes. Die Form der Idee ist zu Hause in der Sprache des Geistes. Schädelgewächs Gedanke wächst wild, wuchert, will gezähmt und zur vorgestellten Ordnung gebracht werden, bleibt manches Mal chaotisch, verstrickt sich in ein gewaltiges textliches Anakoluth, lacht ob des Konzeptes Bedeutung, wird Rebus, wird Schizophrenie. Ich hatteüber einen Schriftsteller geschrieben. Der Schriftsteller hatte seinen ersten großen Wurf gewagt. Er saß Tage Nächte Nächte Tage, dass der Uhren Zeiger schlackerten, am Werk. Dieser große Wurf war sein letzter, denn verwarf er seine Ideen allzu oft und öfter noch. Er hatte ursprünglich mal einen Gedanken. Geboren ist dieser nicht ohne ein Hinzutun gewisser Gedanken von außen, die selbst wieder Narration gewesen waren. Den Beginn des Zyklus erinnerte er da, dem Da drinnen vor dem Auge dort und solchen literarischen, unmittelbaren Fiktionen. Doch wie viel Ich als Ausdruck absoluter Wahrheit steckte noch in seiner Geschichte? War der Ausdruck, diese Fiktion, nicht Fiktion jener Metafiktionen, die ihrerseits wohl Fiktionen von Metafiktionen waren? Wo war der Anfang? Was bin ich? fragte er sich. Ich bin kein Künstler! Ich bin nur ein Medium von Etwas... Selbst die Kunst ist nur das Resultat innerer Notwendigkeit, die über mich gebietet, somit gar nicht Wille ist, und eben jenem Willen, die Notwendigkeit, die sich als Hybride aus Wunsch als Zwang und Idee formiert, über meinen geistigen Tempel hinaus in die Welt zu tragen. Der Künstler, dachte er, unterscheidet sich demnach nicht von irgendeinem anderen Schaffenden. Er ist nichts besonderes. Heute wird er gegenüber dem Utilitarismus das Neue in Werk setzen, dass den allgemeinen Logos nicht erfindet, ihn aber in Gewänder hüllt, die ihn bunt vermummen, ihm gestatten sich am Zoll der Nutzengrenzen vorbei zu schlängeln. Die Kunst wird zur Entgrenzten, zur Ausgegrenzten, zur Außenseiterin, wenn sie den Anschein des Erhabenen ausstrahlen will. Sie kann sich dagegen wehren: der Karneval wird ihr aber nicht helfen; sie macht sich lächerlich, dada. Der Begriff Kunst ist je schon seines Anspruches ungerecht, unwürdig, und so bleibt nur noch ein Schatten, der sich durch Technik und neue Form zu artikulieren sucht, zu sprechen um der Sorge um des Schweigens willen, denn ihr Inhalt war immer schon unüberbrückbar, die Musen mögen singen und tanzen im Garten, wo sich Apoll und Dionysos vermählen, die Party kann nur solange gefeiert werden, wie einer den Alkohol der Sinne heranschleppt und die Bude (bzw. der Garten) nicht dicht gemacht wird. Doch das schrieb der Schriftsteller nicht, dies dachte er, bevor er schrieb. Denn schreiben tat er über einen Schriftsteller, der eine Geschichte schrieb. Als ich fertig war, mit dieser Geschichte, druckte ich sie und sendete sie postwendend an das Verlagshaus mit Bitte um (positive) Rückmeldung. Ich wurde hierauf einige Wochen danach eingeladen. Das Herz klopfte mir, als ich den Briefkasten öffnete und den Brief herausholte und mir zugleich bewusst war, wie oft dieses Bild vom Öffnen des Briefkastens, um ein sehnlich erwartetes Schreiben herauszuholen, schon in anderen Kunstfiktionen, auf Bildern, in Filmen, sicher in Opern, in Narrationen sowieso, auf Fotos und so fort schon verwendet wurde und dennoch nur in der uns bekannten Geschichte seine Ära haben wird, gab es doch vermutlich das Ding Briefkasten wohl seit es schriftliche Post gab, und wird er im Prozess der Digitalisierung womöglich virtuell werden, dabei aber sich als Begriff überleben, der ein anderes Ding bezeichnet, das jedoch die gleiche Funktion innehaben wird. Die Begriffe werden länger leben als die Dinge, die sie bezeichnen, sodass mit logischer Konsequenz innerhalb einer Sprache immer mehr Begriffe existieren werden als Dinge, die sie bezeichnen wollen. Und um diesem Gedanken noch einen draufzusetzen, war ich mir zugleich, neben diesem Gedanken vom Briefkasten und dem Bilde des sehnsuchtsvollen Öffnens desselbigen, um die Post herauszuholen und zu lesen, bewusst, dass bestimmt mindestens ein Anderer den Gedanken vom Briefkasten und dem Bilde des sehnsuchtsvollen Öffnens desselbigen, um die Post herauszuholen und zu lesen, gehabt hat oder zeitgleich hat oder fürderhin haben wird. Selbst wenn diese Narration hier jemand liest, dann könnte dieser Gedanke schon sogar durch mich multipliziert worden sein, und wer weiß, vielleicht nimmt jemand diesen Gedanken, also vom Briefkasten und dem Bilde des sehnsuchtsvollen Öffnens desselbigen, um die Post herauszuholen und zu lesen, zum Anlass, ihn in einer eigenen Narration, wenn auch als beispielsweise nicht ohne sarkastischen Hintergedanken zu dem Gedanken, zu überführen, etwa in der Weise, dass er schreibt, ich las jene Geschichte vom Schriftsteller, der schrieb jenes Manuskript, dass die Zwinge den Fluss aus dem Abgrund des Raumes schleckte, der sich zur Öse wegt, vorbeifallend am Konterfei hin zur Gä, deren Lippen lange schon die Kindlein mit Beton zugeklebt. Schemen gegenüber an der Wand tanzten den Reigen der Hoffnung, sich spiegelnd in den Perlen, welche die Anemoi als Odem der Omen durch den Weltenbauch bliesen. Im Beutel ein Manuskript, dessen Clon sich vor Wochen schon hierher durchgekämpft hatte, auf Wiedersehen eingestellt. Sirren öffnete. Klack! Plötzlich verstummte die Stimme der Himmelskleider. Die Strumpfhose Stille ward vom Gebein des Hauses angezogen worden, die Lady blickte, die Inversion des Argos, auf ihn. Echo rief vom Schritt der Schuhe belebt durch die Hallen. Bitte kommen Sie mit, der Herr hat Sie bereits erwartet, bat eine Dame von Figur, deren Augen sich eines jeden Blickes zu entziehen suchten. Das Geschimpfe der Stufen, sich gestört fühlend, ächzte und krächzte, gleichwohl es schien, als ihre Tiraden sich der Dame nicht scherten, schwebte sie doch über sie hinweg, so sie wirkte eine Randerscheinung zu sein, die der Narration keinen Gehalt denn nur eine Überbrückung der einen mit der Szene verantwortete, brüllten sie ob seiner Last, sie schob sich, Elpis. Fort verflüchtigte sich die Gestalt, die Schreie des Hausgerippes, Antithesen aller Sirenen, schwiegen von da an, als nun der Koloss vor ihm sich erhob, verschmolzen mit Abermillionen Buchestaben, die über die Blätter geschwommen wie Schiffchen, die weder Skylla noch Charybdis scheuten, den Pfad sich erstürmen wollten hin zum Ithakator Tyrannen-ja – und doch nur Diener wurden... Willkommen, setzen Sie sich. Sie hatten mir Ihr Manuskript zukommen lassen. - - - Ich habe es gelesen. Vielen Dank. - - - Mit Gewalt drängte der Fels der Erwartung im Leibe durch den Leibe hinaus aus dem Leibe, quetschte quellte durch der Iris Pupillen, flackerte, ging über zur Feder Befreiung, zu segeln durch die Lüftedes Atem Ja. Doch Wächters Augenschweigen verzückte dessen Stimme zum Bruch der Kette. Der Bass knatterte durch das Zimmer, Ohrenrammbock stieß auf, die Seelchen erbebten in Agonie. Nein, wir werden dieses Manuskript im Hause nicht publizieren. Strahl lanzte die Pumpe; ein Ruck fuhr durch das Antlitz des Verlegers, zerknitterte das Gesicht zu einem Haufen Papier, dass ich zu Boden geworfen, euphorisch geworden, denn ich war eingeladen und ging einige Wochen später, es gromte düstergrau, dass die Öffentlichen gerade noch Dienst taten im urbanen Wasserfall, auch dann, als ich ausstieg, davor stand, der Regenschirm überflutet, zu Boden rotzend die Tränen – ob der Freude? Die Schatten gegenüber an der gläsernen Wand zitterten infernalisch den Tanz der Elpis, sich widerbrechend im Nass, das die Windgötter durch die Welt pusteten. Ich trug mein Manuskript stolz in der pendelnden Tasche, obschon sie es bereits vor Wochen erhalten hatten. Die Klingel summte und die Eingangstür öffnete sich,  ich trat ein, die Welt war auf einmal atemlos und stumm. Mein Schritt echote einsam in den heiligen Hallen und ich erinnerte jene Ausstellung. Das Grau jener Tage hatte sich an die schon wehmütigen Seelen in trüber Erwartung gehängt. Das Weinen des winkenden Himmels, das Plätschern seiner Tränen zum Abschiede auf dem Lichte spiegelnden Asphalt kündete von der nahenden Jahreswende, vom nahenden kalten Weiß. Der liquide Teppich, ein nasser Film über Stein und Rille, barst und barst von der Welle zur Fontäne: Es klang das Lied des Herbstes damals in den Straßen. Die Finger des Windes zupften an den Saiten der Wolkenspiele, die Töne wurden dunkler – eine graue Poesie.Als ich den Blick von der Uhr wandte, bestätigte sich die Ahnung zur gebotenen Eile. Unter Schirm und Hut flatterte mein Mantel eigensinnig seinen Reigen. Es roch nach Regen. Das heftige Geprassel legte sich über die gewohnten Stimmen der Stadt, souverän und unduldsam. Ich war mir der Adresse nicht gewahr, die ich dereinst aufzusuchen unterwegs war. Ohne übertrieben schnellen Schrittes klitschklatschte mein Schuhwerk durch das Nass, klitschklatsch klitschklatsch, von Haus zu Haus, klitschklatsch klitschklatsch, von Tür zu Tür. Ich erblickte dann ein großes Tor, hielt inne, kramte mit gebrochener Ruhe, jedoch ohne übermäßige Hektik, in der Innenseite meines Mantels herum, bis ich den Zettel hervorzog. Es handelte sich um eine Einladung, welche ich, kurz nach oben schauend und dann den Schirm schützend über diese haltend, noch einmal las, um an eine für mich gewichtige Information zu gelangen. Ich stand richtig. Hier hatte sie sich befunden, jene Galerie...In diesem Augenblicke öffnete sich das Türblatt des eher unscheinbaren Tores und ein Paar – ein Mann und eine Frau – traten aus. Sie waren beide in mondäne Kleider gehüllt, etwas betagter, aber physiognomisch ohne bestechende Auffälligkeit, die eine bestimmte Typologie, oder eine gewisse Charakteristik hätte vermuten lassen können. Ohne Gruß und Blick gingen beide an mir vorbei; ich vernahm hierin ein zischendes Flüstern der Dame, deren scharlachroter Schal in solcher Aufregung umherwehte, dass er das leise Geraune zu untermauern sich anschickte. Die Wortfetzen mischten sich unter die Regentropfen; ich meinte etwas zu vernehmen wie So etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich wähnte mich aber hierin nicht in Sicherheit. Nachdem ich den beiden noch kurz hinterher gesehen hatte, konzentrierte ich mich wieder auf den Eingang vor meiner Nase.Die farblose Ruhe setzte dann ein. Ich flüchtete vor dem Monolog des Regens, nahm die wenigen Stufen und ging hinein. Darin ich ein Foyer vorfand, eines das überladenen Prunk, schwulstiges Interieur ablehnte, das Klassische vergessen, das Moderne jedoch auch nicht gerade erinnert hatte. Grelles Licht strahlte satt und gleichverteilt in den Raum, die Wände waren in Weiß gekleidet, wirkten nackt, schlicht, desolat. Hierin war kein Mensch, nur die greifbare Befangenheit einer Sterilisation, einer Hermetik, einer fremdweltlichen Dimension. Oder in einer contradictio in adjecto ausgedrückt: ich stand in einem raumlosen Raume.Mantel und Hut ausziehend bzw. abnehmend, schritt ich zu einer gegenüberliegenden Türe, welche sich nur insofern vom üblichen Weiß hervorhob, als dass sie leichte Konturen, Umrisse ihrer Form und eine metallene Klinke an sich erkennen ließ. Welch ungewöhnliches Foyer für eine Galerie! Oder doch nur ein Vorraum? Gar ein Bestandteil der Ausstellung des Künstlers, dessen Gesicht er niemals auf irgendeiner der zahlreichen Kunstmagazine oder Zeitungsartikel gesehen hatte. Ein Wirkelement, eine Komponente zum Ganzen? Ich sah mich als Schnittstelle zwischen Expression und Impression, öffnete die Türe, trat über die Schwelle und erschrak: vor mir öffnete sich ein saalgroßer zweiter Raum, der sich vom zuvor betretenen lediglich in der Größe, in der Form (er war kreisrund, das scheinbare Foyer hingegen kubisch), einem in seiner Mitte aufgestellten Schild und der Anzahl der weiterführenden Türen, es waren derer drei, also zwei mehr als im Vorraum, und ihre Blätter gingen einladend von der Wand weg, unterschied. Mir schien es logisch, die Contenance wahrend, mich dem Schild zu nähern, um zu lesen, was auf ihm stand; so las ich folgende Zeilen:Herzlich Willkommen!Sie besuchen die Ausstellung von- R. Mahler -Genealogie eines Epigonen des Expressionismus.Mir erschien diese Aufschrift lakonisch. Nein, nicht lakonisch, eher ironisch gegenüber dem geneigten, nun aber unbestritten irritierten Besucher und damit ein wenig anstößig. Wieder war mir der Gedanke gekommen, der Besucher solle absichtlich in dieser Ausstellung in Verwunderung gesetzt werden. Diese besondere Art der Einbindung wäre zwar unorthodox, aber womöglich würde sie die Aufmerksamkeit, die Neugierde, das Interesse fördern. Oder – und ich dachte an die Theorie der Ästhetik des Performativen von Fischer-Lichte (die Widerverzauberung der Welt) – nicht der Anreiz sei Ziel dieser ungewöhnlichen, im Grunde genommen Nuräumlichkeiten, sondern die Aktivierung des Galeriegastes zum Element der Ausstellung, welche abgesehen von den ausgestellten Bildern eine in Echtzeit laufende Metakunst sein soll, die nicht das übliche Schema erwarten ließ, nämlich, dass der Bildbetrachter einfach betrachtet, die Kunst durch die Betrachtung vollzieht, das heißt vollziehen lässt, da er einzig allein fähig ist in dieser Betrachter-Betrachtetes-Relation Kunst im Vollzug Kunst werden zu lassen, somit die maßgeblich beherrschende Komponente darstellt, sondern den Betrachter in eine Befangenheit des Kontrollverlustes fallen lässt und jene Herrschaft neutralisiert zugunsten der Kunst.Was tun? fragte ich mich und entschied, die Türe zu seiner Linken zu passieren. Langsamen, ja beinahe vorsichtigen Schrittes watete ich durch den dahinter liegenden, weißschwangeren Gang; dem Auge entfunkelte die ratlose Verwunderung, bestiegen von einer schleichenden, gefühlten Blöße, denn auch hierin hing keines der so hoch gelobten Bilder des Künstlers, es hing überhaupt nichts an den Wänden – der Gang, so war es festzustellen, einsamte vor sich hin; nur am Ende desselben, vor einer Wand, die den Gang zur Sackgasse formte, tauchte ein schlichter Stuhl auf, auf welchem ein Manne saß, seinerseits in der Kluft eines Hausmeisters oder Reinigers gekleidet. Sein Blick hing am Boden, der Kopf war entsprechend geneigt, die Körperhaltung wirkte dösig. Ich wollte den Mann ansprechen, öffnete bereits den Mund zum Worte, entschloss mich dann aber wieder dazu, den Mann auf dem Stuhl nicht anzureden. Er war mir etwas suspekt, zudem wollte ich nicht unhöflich sein. Ich konnte also nur umkehren, was ich folglich tat.Im zweiten Gange, der Saal stand unverändert, offenbarte sich mir  das gleiche Bild der Bilderlosigkeit: weiße Wände, an deren Ende eine Wand lauerte wie ein leeres formloses Grinsen einer enttäuschenden Fata Morgana. Davor ein Stuhl, gleich wie im erst durchlaufenen Gange, auf ihm ein Manne in Kleidern eines Hausmeisters oder Reinigers. Diesmal erschrak ich, wenn auch innerlich. Der Mann auf dem Stuhl war derselbe, welcher gerade noch im ersten Gange saß und zu schlafen oder zu dösen schien. Nur dieses Mal schaute er auf. Sein Gesicht war alt und aufgedunsen. Die Haut wie ein Gebirge; rissig, porig, farbenreich gesprenkelt. Die Nase knollig, die Lippen spröd, die Ohren lang. Purpurne Äderchen zogen ihre Bahnen durch das müde Augenweiß, darin tiefschwarze Pupillen in eine bernsteinerne Regenbogenhaut eingebettet waren. Ich nickte und zwinkerte dem Herrn dabei zu. Ich fühlte nun in mir die Schwelle zur offenen Frage überschritten – die von leiser Furcht genährte Vorsicht wie die stumme Höflichkeit von der Neugierde und vom Entblößenwollen überbrückt. Jedoch brachte allein das Nicken, das Zwinkern die Brücke zum Einsturz, kaum dass sie errichtet worden war. Eilig nickte ich nach, zwang mir ein unechtes Lächeln ab und prüfte mit fast animalisch-instinktiver Aufmerksamkeit die Reaktion des Anderen. Dieser allerdings senkte sein Haupt in stiller Anwesenheit und begab sich in die Stellung, in der ich ihn bereits im vorherigen Gange vorgefunden hatte. Der Rest meiner zerfallenen Brücke des Mutes wurde nunmehr von den Fluten der Unsicherheit restlos fortgerissen. Nein, zum Fragen konnte ich mich dem Alten gegenüber nicht durchringen; so beschloss ich, zurückzukehren. Da ich davon ausging, dass der dritte Gang auch der letzte in diesem seltsamen Gebäude sei, vermutete ich folgerecht die Galerie in diesem – wo auch sonst?Entsprechend stärker brodelte es in mir mit blubbernder Beunruhigung, als ich das Gleiche konstatierte wie in den anderen beiden Gängen: Leere. Weiße Leere. Keine Bilder, keine Menschen, kein Irgendetwas! Unfassbar! So etwas hatte ich noch nicht erlebt! Am Ende des Ganges wieder: nur ein Stuhl, darauf ein Mann. Auch dieser: derselbige wie zuvor. Dieses Mal jedoch brach der größte Sturm der Verunsicherung keine Schwelle, keine Brücke zum Munde. Mit sich gebender Gelassenheit, aber mit den brodelnden Sturm reflektierender Intonation, brach aus mir die lang in sich getragene Frage hervor: Entschuldigen Sie, mein Herr? Wo bitte befindet sich die Galerie?
Sie sind in der Galerie.
Niemals! Ich muss doch wirklich sehr protestieren! Hier ist nichts! Außer diesem irreleitenden Schild und diesen Sackgassen! Und überhaupt? Wie schaffen Sie es denn nur, immer vor mir auf diesen Stühlen zu sitzen?  Ich sehe Sie nie an mir vorbeigehen, obgleich ich stets vor Ihnen die Gänge wieder verlassen habe.
Nun, das kann ich Ihnen erklären. Diese Sackgassen, von denen Sie reden, sind keine Sackgassen. Die Gänge sind alle miteinander verbunden durch andere Gänge und wie es naturgemäß der Fall ist, werden Gänge durch Türen miteinander verknüpft.
Doch habe ich keine Tür gesehen.
Womöglich haben Sie sie einfach deshalb nicht gesehen, weil diese schließlich genauso weiß sind wie die Wände und Decken und Böden der Gänge, da kann jemand schon einmal die ein oder andere Tür nicht finden.
Und sind denn in diesen Gängen von den Gängen die Bilder?
Was für Bilder?
Na, Sie haben doch gerade bestätigt, dass wir uns hier in der Galerie befinden.
Das ist richtig. In der Galerie. Es läuft die Ausstellung von Mahler.
Hier? Sie lügen! Wer sind Sie überhaupt?
Warum sollte ich Sie anlügen? Dafür gibt es keinen Grund. Ich mache hier nur meinen Job. Aber entschuldigen Sie bitte, dass ich mich Ihnen gegenüber noch nicht vorgestellt habe: ich bin der Herr Galerist.
Sie sind der Herr Galerist? Oh, dann muss ich mich für mein Benehmen entschuldigen. Ich habe Ihnen anhand Ihrer Kleidung – verzeihen Sie mir bitte diese Untat – die Stellung eines Hausmeisters bedacht.
Der Galerist lachte: Das tut mir sehr leid. Ich habe mir seit geraumer Zeit abgewöhnt, aufwendige Kleider zu tragen, wenn ich ausstelle. Ich bin dafür berühmt! Ich tu es, weil es in dieser Stadt auch keinerlei Notwendigkeit darstellt, weil ich es auch nicht unbedingt möchte und um des vorgenannten Ruhmes Willen.
Aha. Herr Galerist. Ich bin ein Besucher dieser Galerie. Ich möchte die Ausstellung des Künstlers Mahler besuchen, doch bin ich irritiert, da ich an den Wänden nicht mal den Ansatz eines Gemäldes sehe.
Wieso auch?
Hängen denn in einer Galerie keine Bilder?
Wenn keine Ausstellung ist, kann es durchaus vorkommen, dass keine Bilder in der Galerie hängen.
Ach! Dann bin ich wohl zu spät.
Für was?
Für die Ausstellung.
Für welche?
Von Mahler.
Aber die ist doch heute Abend.
Hier?
Ja, mein Herr, wie ich es bereits gerade eben schon einmal beantwortet habe.
Das verstehe ich nicht. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen: In diesen Räumlichkeiten befindet sich Ihre Galerie.
Exakt.
Und Sie sind der Herr Galerist.
Höchstpersönlich!
Und Sie stellen aus: R. Mahler – Genealogie eines Epigonen des Expressionismus?
Exakt.
Und zwar: hier und heute, auf die Sekunde.
Und noch länger.
Ich wusste, dass ein länger mehr als eindeutig war und fragte: Länger?
Der Galerist nickte erneut: Länger.
Mit länger meinen Sie…
Nicht nur heute, auch noch die ganze Woche.
Gut. Gut, gut, gut, gut. Und beantworten Sie mir noch eine Frage.
Gerne.
Wenn in einer Galerie eine Ausstellung läuft, und zwar in einer Gemäldegalerie, dann befinden sich doch in aller  Regel Gemälde, und mit hoher, ja, höchster Wahrscheinlichkeit, an den Wänden, oder nicht?
Klar.
Aber hier nicht.
Nein. Hier nicht.
Warum?
Weil Mahler das so entschieden hat. Er ist der Ansicht, dass seine Gemälde keine Kunst mehr seien, wenn er diese ausstelle.
Dann ist das alles hier eine Farce?
Ganz und gar nicht.
Natürlich ist es das! Sie laden die Leute hierher ein, um sich die Gemälde anzuschauen und was sie vorfinden, ist ein Nichts von einer Ausstellung. Und ich habe mich schon über die Personen vorhin gewundert, die ich am Eingang traf. Ihr Eindruck ist offenbar auch meiner! Ich bin dermaßen beleidigt, dass ich gehen möchte! Sie sagen nichts? Was soll das? Sie zerstören doch Ihr Image mit dieser Farce!
Keine Farce, werter Herr Besucher. Ein Signal.
Signal? Was wollen Sie damit sagen?
Ich? Ich will gar nichts damit sagen. Herr Mahler stellt aus, nicht ich, ich bin nur der Galerist, weiter nichts.
Welches Signal will Mahler damit setzen?
Was denken Sie?
Ich hatte einst eine Diskussion mit einem guten Freunde. Ich glaube, ich kann eine Beziehung herstellen zu dessen Theorie und dieser ungewöhnlichen Erfahrung hier. Möglicherweise möchte Herr Mahler damit sagen, dass er ein Künstler ist, auch wenn er seine Werke nicht für eine Allgemeinheit zugänglich macht.
Die Frage ist: Was bedeutet diese Zugänglichkeit beziehungsweise Zugänglichmachung der Kunst?
Eine Zurschaustellung in diesem konkreten Fall, eine Ausstellung.
Mahler ist der Ansicht, wenn er seine Bilder ausstellt, geraten sie in einen marktäquivalenten Kontext. Die Galerie ist die Schwelle zur Kommerzialisierung der Kunst.
Worin liegt aber das Problem einer Kommerzialisierung?
Dass Kunst aufhört zu existieren, besser gesagt: sie verwandelt sich. Die Bewunderer wollen oftmals nicht nur bewundern, die Kunst sein lassen, sondern haben wollen. Das Haben-Wollen ist eine Handlung zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Bedürfnisse werden befriedigt durch Waren.
Sie meinen also, dass Mahler nicht ausstellt, um seine Kunstwerke zur bloßen Ware zu degradieren?
Offenbar.
Aber, angenommen, seine Theorie wäre ernst zu nehmen, wenn er sie ausstellt und nicht verkauft, dann bleiben seine Werke trotzdem Kunstwerke und werden nicht zu Waren.
Aber verzeihen Sie, mein Herr, wenn Sie eine Ware im Kaufhaus betrachten und sie nicht kaufen können, sei es aus irgendwelchen Gründen wie der Nicht-Verkäuflichkeit, des Mangels am nötigen Kleingeld und so fort, so ist ihm doch schon ein Bedürfnis danach immanent. Die Ware ist somit vielleicht eine Vor-Ware, da sie noch nicht Bestandteil eines Leistungstransfers ist, doch ist sie bereits da, so wie sie es in der Galerie wäre, oder würden Sie behaupten, dass eine liegen gebliebene Ware, die nicht gekauft wurde, eine Nicht-Ware sei, nur weil niemand sie gekauft hat?
Ich kann mich dieser Meinung nicht ganz anschließen, Herr Galerist. Ich glaube, dass der Fokus zu sehr auf den Künstler gerichtet wird.
Ja, naturgemäß, denn er ist ja auch die Ursache des Kunstwerks. Es wäre nicht ohne ihn.
Schon, aber das Kunstwerk ist nicht nur notwendig Folge des Künstlers, es ist es gleichermaßen durch die Ursache des Rezipienten!
Es kann doch nicht zwei Ursachen für eine Wirkung geben!
Das ist eine Frage der Beziehung. Das Kunstwerk steht nicht für es selbst. Kunst ist im Vollzug! Die Kommerzialisierung der Kunst mag eine Stufe sein, Kunst im Haben-Wollen zu bewegen. Aber das ist eine Unterstufe des Eigentlichen der Kunst!
Soso. Und was ist das Eigentliche der Kunst?
Wie ich bereits sagte: das Vollziehen der Kunst per se; das Anschauen des Bildes, das Lesen des Gedichtes, das Hören der Musik und all diese Tätigkeiten, dieses Er-Sinnen, also Wahrnehmen, geschieht über den einen eigentlichen Antrieb: das Verstehen-Wollen. Kunst als Möglichkeit einer kommerziellen Ware zu betrachten und es deswegen dem Rezipienten zu verweigern, ist ein Nicht-Verstehen der Kunst in der Begegnung mit ihr als eigentliches Zu-Verstehen. Es ist eine arrogante, bornierte und empörende Frechheit und Unverschämtheit! Denn der Künstler bedingt sich eben nicht ausschließlich aus der Schaffung seiner Kunst, sondern durch die Betrachtung derselbigen durch die Betrachter, die hier meint: das Verstehen im Vollziehen, das dem Haben-Wollen vorausgeht, welches meines Erachtens aber auch etwas sehr, sehr Positives darstellt, denn es macht das Kunstwerk eben nicht nur zu einer bloßen Ware, die irgendwelche Bedürfnisse befriedigt, denn in unserem Falle schickt sich Mahler nicht an, diesen gerecht zu werden, sondern zu einer Brücke, die es erlaubt, Begegnungen zwischen Künstler und Betrachter zu entwickeln, die sich sogar in einem geschichtslosen Treffen äußern kann, wenn der Künstler bereits Tod wäre! Was ich damit sagen will, ist, dass Mahlers Kunst immer schon Kunst war und es immer dann ist bzw. sein wird, wenn diese Kunst dem Betrachter zugänglich ist bzw. gemacht wird, damit es überhaupt durch den Vollzug des Verstehens als Kunst existieren – oder wie Sie es vorhin ausgedrückt haben: sein kann. Wenn die Werke in einem zweiten Schritt verkauft, also am Markt gehandelt werden, dann sind sie es, weil es Kunstwerke sind und nicht Waren. Und ich möchte noch einmal auf den Satz zurückkommen: denn in diesem Fall schickt Mahler sich nicht an, diesen (Bedürfnissen) gerecht zu werden – ich meine, er produziert niemals nach Wünschen oder Bedürfnissen, er schafft für sich aus sich – nicht mehr und nicht weniger. Schon allein deswegen ist sein Werk ein Kunstwerk und nicht etwa eine Ware. Umgekehrt wäre es, wenn er am Markt beispielsweise als Arbeiter oder Dienstleister beauftragt werden würde, etwas zu malen, also Dienst zu leisten. Hierin hätte er je nach Vertrag zwar einen gewissen Grad an Freiheit in der Gestaltung, aber er könnte eben nicht das produzieren, was von innen käme, sondern, dass, was von ihm verlangt würde, von außen bestimmt würde. Würde er dem entgegenwirken, indem er die ganze Freiheit als Künstler beanspruchte, dann wären die Folgen, dass er seine am Markt hergestellten Produkte oder Erzeugnisse oder erbrachten Dienstleistungen nicht in Form von Waren verkaufen könnte, da sie den Bedürfnissen nicht entsprächen. Hier agiert er nicht als Künstler und doch agiert er als Künstler – das Verhältnis hat sich jedoch gekehrt: die erste Stufe ist die Leistung, die Warenproduktion und das, was hineinfließt mag seinem Ruf und Können als Künstler zwar Folge leisten, ist aber keine reine Kunst mehr, auch wenn diese Arbeit seinem Wesen als Künstler sehr entgegenkommt. Sie sehen also, Herr Galerist, dass die leere Galerie nicht etwa ein Signal ist, sondern eine Farce! Eine Posse! Eine Travestie!
Werter Herr, ich muss zugeben, dass ich diese Zweistufigkeit der Kunst nicht bedacht habe. Vielleicht sollte ich Ihnen das Geheimnis anvertrauen, dass ich Mahler bin.
Wieso haben Sie sich aus der Galerist ausgegeben?
Weil ich tatsächlich auch der Galerist bin. Früher habe ich stets meine Werke ausgestellt. Wie Sie wissen, bin ich ein Epigone des Expressionismus, aber mein größtes Vorbild ist der Visionär und Vordenker Dominikos Theotokopoulos. Jahrelang ließ ich meine Bilder ausstellen und auch verkaufen und darf mich zu den anerkanntesten, noch lebenden Künstlern unserer Zeit zählen. Aber mit der Zeit geriet ich in eine Krise. Ich stellte mir die Frage, ob der Verkauf meiner Werke, also deren Handel am Markt eine Zerstörung dieser sei und wagte dieses Experiment einer leeren Galerie. Wie Sie sehen ist außer uns niemand hier. Niemand konnte oder wollte dieses Zeichen verstehen.
Wie auch? Die Magie der Kunst muss durch ihre Betrachtung wieder belebt werden. Kunst muss er-lebt werden. Ihre Werke sind in dieser Welt, wenn sie durch die Menschen sein können – unabhängig, ob etwas Banales wie Geld sie bewegt. Also beginnen Sie mit der Widerverzauberung der Welt. Stellen Sie aus! Machen Sie die Menschen glücklich. Sie wollen Ihre Werke er-leben, erfahren, verstehen. Die Menschen suchen nach der Wahrheit, nach der Moral und nach der Schönheit. Kunstwerke sind Kristalle im Gebirge der Zeit. Ihr Funkeln ist zeitlos. Sie funkeln immer anders, sowie sie immer anders verstanden werden. Das Geld und die Kommerzialisierung spielen eine so untergeordnete Rolle dabei!
Sie scheinen recht zu haben. Womöglich fasse ich Ihre Aussage als eine apodiktische auf.
Nein. Ich wollte keinen unumstößlichen Beweis vorbringen, sondern auch wieder nur: verstehen.
Mahler lachte leise, in seinen Augen leuchtete die Hoffnung eines einst Verbitterten. Ich erfreute mich sehr diesem Anblick.
Nun. Ich werde jetzt wieder gehen. Vielleicht habe ich das Glück, an einem anderen Tag dieser Woche eine Ausstellung des Herrn Mahler zu besuchen. Ich würde mich sehr freuen.
Mahler nickte und gab mir die Hand zum Abschiede. Als ich kurz vor meiner Haustür stand und den Schlüssel hervorzog, hatte sich der abendliche Regen beruhigt, doch schwammen die menschenleeren Straßen. Der Mensch macht die Kunst, sinnierte ich, und die Kunst macht den Menschen. Was sind wir, wenn Geist und Natur eins werden? Gibt es die Kunst dann überhaupt noch? Ist es nicht besser, sie – so, wie sie ist – hinzunehmen und zu genießen? Drei Tage später, am letzten Tag der Ausstellung, besuchte ich die Galerie erneut. Ich hatte Mühe, hineinzukommen, denn es waren sehr, sehr viele Menschen da… Bitte kommen Sie mit, der Herr hat Sie bereits erwartet, bat eine geisterhafte Dame von linienartiger Figürlichkeit mich in dem Verlagsgebäude, deren Augen sich den meinen stets entzogen. Das Stufenknarren meckerte gleichwohl es schien, als sein Schimpfen nur mir und nicht der Dame galt, glitt sie doch sanft über sie hinweg, so sie wirkte ein Hauch von Bedeutung zu sein. Und dann standen wir vor dem Eingang. Sie fort. Er thronend, ernst. Willkommen, setzen Sie sich. Sie hatten mir Ihr Manuskript zukommen lassen. - - - Ich habe es gelesen. Vielen Dank. - - - Das Zimmer voll von Büchern, Manuskripten, Büchern... Meine Aufregung wuchs in mir heran und wollte mein Selbst okkupieren. Doch die Festung Contenance hielt wacker dem zuckenden Heer. An der Wand ein Bild. Darin ein gewaltiger Sturm die Wasser des großen Gebirgssees. Einer der riesigen Lustdampfer der die auf diesem See zur Sommerzeit besonders begierigen Vergnügungsreisenden aus aller Herren Länder bedienenden Schifffahrtsgesellschaft war tief in schwere Seenot geraten. Der verzweifelte Obermaschinist hatte dem Untermaschinisten das Zeichen zur Unterbrechung der Verbindung zwischen der stöhnenden riesigen Dampfmaschine mit Dieselverstärkung für extraschlimme Augenblicke und den gewaltigen, die Wellen mit unglaublicher Wucht peitschenden, aber nun wie geschlagenen stillstehenden Schaufelräder gegeben - verständigen mit der menschlichen Stimme konnte sich im Tosen der Winde, der Wellen und des furchtbaren Sturmes wohl kein Mensch mehr, nicht einmal der stimmgewaltige Obermaschinist. Auf diesem großen See durften – und dürfen – nämlich keine Schiffsschrauben zur weiteren, zum Schutze der herrlichen Ufer mit ihren wunderschönen oder auch wunderlichen, oft ans Wunderbare der Erscheinung grenzenden Uferanlagen wegen. Eben hatte der Untermaschinist, auch er ein Riesenmensch von stämmigem, kräftigem Äußeren – aber zu tiefdringenden Gefühlen fähigem Inneren -, den Hebel, der die Ausführung des vom Obermaschinisten herbeibefohlenen Manövers bewirkt, heruntergeklappt und lagen die riesigen Schaufelräder ohnmächtig still, nur von den gewaltigen Sturmwinden in der Nacht brüllend zu einer Bewegung des Zitterns, wie in ohnmächtiger Ergebenheit, gebracht – das eine hoch aus dem Wasser gänzlich herausgehoben durch Schlagseite des Riesenlustschiffes – da fiel sein Auge mit dem Blick auf ein kleines schwarzgerahmtes Erinnerungsbildchen, ein Öl, schräg von des Maschinenraumes Wand abhängend, auf dem gewaltiger Sturm die Wasser eines großen Gebirgssees peitschte.  Noch bevor des Verlagsmenschen Stimme, stark wie die des Obermaschinisten, im Bass rollte, wurde mir klar, ich müsste eine Geschichte schreiben von einem Schriftsteller, der dieses Bild von einem riesigen Lustdampfer beschreibt und zerknüllte den Verlagsmenschen, der brüllte, zusammen-


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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