Sabine Dobbeck

Die Amseln singen nicht mehr

Eigentlich hätten sie jetzt ihre Hochzeit – die unscheinbaren, schwarzen Vögel mit ihren leuchtend gelben Schnäbeln und ihrem virtuosen Gesang. Ihr Repertoire umfasst unzählige Strophen, und wer ihnen aufmerksam zuhört, entdeckt immer neue Variationen ihres Themas „Frühling und Lebenslust“. Wenn – ja, wenn sie singen würden; aber das tun sie nicht mehr, ihre Stimmen sind verstummt. Statt, wie sonst um diese Jahreszeit, morgens von fröhlichem Zwitschern geweckt zu werden, hört man nur Stille. Die Vögel haben genug damit zu tun, die eisigen Nächte zu überleben und sind dankbar für jedes Korn, das sie noch im Futterhaus finden. Fürs Singen bleibt da keine Energie. Die Natur schweigt, und ich fühle mich mitverantwortlich. Warum eigentlich? Immerhin passen die Begriffe Klimawandel und Erderwärmung überhaupt nicht zu diesem Endloswinter. Das scheint wie ein Widerspruch in sich, aber nur auf den ersten Blick. Wenn nämlich die Erdtemperatur steigt und das Eis an den Polen schmilzt, kühlt sich der Golfstrom ab, die Sommer in unseren Breiten werden kürzer, die Winter länger und härter. Und was habe ich damit zu tun? Eine Menge, mein Anteil an dieser Entwicklung ist größer, als mir lieb sein kann und ich wahrhaben will. Dabei – was ist schon mein bisschen Abfall und Energieverbrauch, das schlägt ja wohl kaum zu Buche. Tut es doch, denn Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist, und das nicht nur im positiven Sinn. Wenn ich mir mein tägliches Umweltsündenregister so ansehe, da kommt allerlei zusammen. Vieles geschieht zwar aus Unwissenheit, die aber bekanntlich vor Strafe nicht schützt. Nur trifft in diesem Fall die Strafe leider diejenigen, die am wenigsten dafür können, nämlich die Tiere und Mutter Natur.
Ein Beispiel: Ungefähr ein Jahr lang hatte ich ein bestimmtes Lieblingsmineralwasser. Um ehrlich zu sein, habe ich es anfangs gekauft, weil mir die Flasche so gut gefiel - das Auge trinkt eben mit – und weil es mir schmeckte, blieb ich dabei. Ich hatte auch ein gutes Gewissen, denn es gab ja Pfand auf die Flaschen. Sie wanderten also nicht auf die Müllkippe, sondern wieder in den Getränkemarkt und von da zurück zum Hersteller. So dachte ich jedenfalls, bis ich im Fernsehen eine Reportage über unser Pfandsystem sah. Es genügt nämlich nicht, wie ich bis dahin blauäugig angenommen hatte, wenn auf dem Etikett „Pfandflasche“ steht, sondern sie muss ausdrücklich als Mehrwegflasche“ ausgewiesen sein, um erneut ihren Weg ins Getränkeregal zu finden. Alle anderen werden gehäckselt und geschreddert, aber nur zu fünfzig Prozent recycelt und zu neuen Flaschen verarbeitet. Die zweite Hälfte ist schlicht und ergreifend – Müll.

Mein bevorzugtes Wasser gehörte leider dazu. Seit ich das weiß, kaufe ich ein anderes, umweltfreundlich abgefülltes, das den Durst genauso gut löscht. Ich bin auch kein solcher Gourmet, um die kleinen, feinen Unterschiede wirklich herauszuschmecken. Die Flasche mag etwas weniger stylish sein; dafür ist mein Gewissen ein Quäntchen reiner, und das ist doch was.

Die Amseln singen nicht mehr. Weil ich ihre Lieder vermisse, höre ich jetzt häufig meine Entspannungs-CDs mit den Vogelstimmen. Das ist zwar nur ein kläglicher Ersatz, aber immer noch besser als nichts. Und vielleicht zwitschern sie irgendwann ja doch wieder live; nicht nur zu meiner, sondern zur Freude aller – besonders für unsere Kinder und Enkelkinder. Was ich dazu beitragen kann, will ich tun, auch wenn es den Verzicht auf ein paar liebgewordene und bequeme Gewohnheiten bedeutet. Das ist mir die Sache wert. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.03.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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