Michael Kleemann

Der Indio Juan

Der Indio Juan
(Nach einer wahren Begebenheit)

“Haben Sie nicht fünfundzwanzig Centavitos, die Sie mir schenken? Es ist für einen Schnaps. Warum sollte ich Sie anlügen?!”
Das war die typische Phrase von Juan. Und so kannte ich ihn beinahe ausschließlich.
Meist hatte er bereits einige Schnäpse auf der Brust, seine “Tragitos”. Wenn er mich aufsuchte. Vielleicht musste er sich vorher Mut antrinken, ehe Juan es wagte, mit mir zu reden. Die Indios haben generell Scheu davor, mit dem weißen Mann zu sprechen. Und sie ertragen es nicht, jemandem in die Augen zu schauen – auch so eine Eigenart der Indianer … Schwer ihr Alter zu schätzen. Sie sehen viel Jünger aus, als sie es sind. Und dann – Zack – schlägt das Alter unversehens zu.
Juans traurige Augen ertrugen es nicht, mich länger, als ein Wimpernzucken anzuschauen. Aber immer schon hatte er etwas Merkwürdiges an sich. Merkwürdig, ja! Jedoch nicht unangenehm. Vielmehr etwas fesselnd Seltsames. Ich glaube, nur deshalb sprach ich überhaupt noch mit ihm – mit diesem Alkoholiker, den ich so oft auf der Straße liegen sah, in seinem eigenem Erbrochenen – er, der Verlierer, der nie etwas erreicht hatte im Leben, außer 15 Kindern.
Da war etwas Mysteriöses an ihm, dass mich gefangen nahm. Was war sein Geheimnis? Einer wie er, ein Indio?
Man erriet es kaum beim Betrachten seines Gesichtes, doch Juan war tatsächlich schon Mitte 50. Und wohl auch seine geringe Größe und die dünne Statur trugen zu seinem jüngerem Aussehen bei. Selten ein Moment, in dem ich ihn anders gekleidet sah als in seinem blauem Arbeitsanzug und Gummistiefeln. Seine Nase war bereits chronisch rot, und angeschwollen, aufrund all des billigen “Cuxa” (Quscha = Fusel), den er mehr ersehnte als etwas essbares. Niemals bat er mich um Essen – nur um Geld für seinen “Guaro” (Wuaro = Schnaps), wenn ich mich recht entsinne.
“Was war sein Geheimnis?”, fragte ich mich, und spürte deutlich etwas Geheimnisvolles in seiner Aura. Das war die Frage, die meine Neugierde weckte, und mein Interesse an ihm stärkte. Darum sprach ich mit ihm. Darum, und weil er mein Nachbar im “El Hato” war.
Es ist ein mysteriöses Dorf, diese Aldea El Hato. Ein Ort mit seltsamen Menschen, die nur noch von Juan übertroffen werden konnten. Eine Ansammlung von Häusern, die nicht ihre gespenstige Vergangenheit erahnen ließen. Ein kleiner Zentralplatz mit Dorfkirche, einer ärmlichen Außenstelle des Rathauses von La Antigua Guatemala, und dem gegenüber, in einen Abgrund gesetzt, eine quadratische, staatliche Schule. Alles nicht älter, als eine Dekade. Drumherum – unregelmäßig angeordnet – Häuschen aus Wellblech, in denen Leute lebten, die sich in die landestypische Indianertracht hüllten.
Niemand, der sich hierher verirrenden Besucher, errät die eigenartige Geschichte dieses Dörfchens. Der kleinsten aller La Antigua Guatemalas zugehörigen Aldeas, in der Cuesta del El Hato. Doch ja, dieser Ort hatte eine Geschichte, weitaus älter als jene derselbigen Aldea …
In den Falten des Vulkans El Agua, der La Antigua Guatemala der nächste ist, finden sich befremdliche verlassene Ortschaften. Kleine Dörfer! Aber befremdlich deshalb, weil sie wie Geisterstädte anmuten. Ich hatte sie einst aufgesucht, in einem beschwerlichen Aufstieg, durch eine unfreundliche Wildnis, die verzaubert schien. Verzaubert in dem Sinne, dass die verwunschene Lokalität keine Besucher mochte und versuchte die ungebetenen Gäste fernzuhalten. Dennoch gelangte ich dorthin und fand einen Ort vor, der den Anschein erweckte, erst vor Kurzem verlassen worden zu sein, wo es doch in Wahrheit Jahrhunderte waren. Alles schien noch im besten Zustand. Abgesehen vom Umstand, dass alles Leben aus dem Ort verschwunden war. Selbst der Gesang der Vögel konnte hier nicht vernommen werden. Eine unnatürliche Stille herrschte hier. Eine Totenstille, die mir wie aus einer anderen Welt vorkam. Alles verstärkt durch das Bild eines großen Felsens, der die Kulisse des Ortes dominierte, und der Silhouette einer jungen, schönen Mulattin glich. Doch all das war schon eine andere Geschichte.
Genau das wäre es auch, eine andere Geschichte – gäbe es da nicht den Umstand, der nun diese Geschichte berührt, dass die Bewohner, die den Geisterort verließen, sich in San Cristobal El Bajo niederließen. Dort wo es heutzutage eine Finca gibt, gegenüber der Kirche. Sie waren, wegen der damaligen Gefahr des Vulkans, evakuiert und in jener Aldea angesiedelt worden, die dicht am verrufenen Chipilapa (Schipilapa, Stadtteil von La Antigua G.) angrenzte.
Doch die Leute waren seltsam und taten noch viel Seltsameres. Die Leute aus La Antigua mochten sie nicht und fühlten sich unwohl in ihrer Gegenwart. Daher kam es, dass die Leute fortgeschafft wurden – in die Berge von Santa Ana. Dort siedelten sie sich an, wo heute die Aldea San Bartholo Milpas Altas ist. Das ist noch hinter der Cuesta del Hato, der damals nur eine Wildnis war. Hierher kamen die Brüder Barreneche, die ihren Pakt mit dem mysteriösen Herrn der Berge geschlossen hatten, und Gold und Silber der feinsten Qualität auf den Rücken ihrer Pferde herunter schafften, in die nur fünf Kilometer entfernte Stadt über die Straße der Cucuruchus.
Dort auf dem Platz der Candelaria gegenüber der Kirche, die heute nur noch eine Ruine ist, hielten die Karawanen. Hinauf und herab, über ein und dieselbe Straße, der alte Weg nach San Lucas. Damals wie heute führt sie den Kreuzhügel aufwärts und dann weiter zum El Hato – und weiter nach San Bartholo Milpas Altas. Heute ist sie viel breiter und asphaltiert. Doch noch immer ist es dieselbe Straße der Cucuruchus – der Sünder – in welcher man gelegentlich den Karren des Todes, gezogen vom kopflosen Esel, hören kann. Es ist eine geisterhafte Straße, die zu einem seltsamen Ort führt, in dem merkwürdige Menschen leben.
Schon immer fühlte ich das Mysterium hier – seit meinem allerersten Besuch im El Hato. Der Ort war einst eine gewaltige Farm, deren Haupteingang dort am Kreuzhügel lag, wo heute La Antiguas Stadtteil La Guardiania liegt. Daher auch der Name: die Wacht – denn dort lebten die Wächter. Und dort begann die Finca der einstigen deutschen Besitzer, die 17 Caballerias (76 789 ha) umfasste. Sie erstreckte sich weit über die Berge von Santa Ana, der Cuesta del El Hato, und dem Bauch des Esels. Doch die Eigentümer verließen die Finca. Die Gerüchte sagen aber, es geschah des Spuks der Berge wegen. Dann kamen Leute aus San Bartholo, und ließen sich dort nieder, was heute die Aldea El Hato ist. Jedoch nur langsam lernte ich den Ort und seine Bewohner kennen. Aber ich verstand nicht ihr Geheimnis, oder was auch immer sie verbargen.
Eines Tages verschwand Juan für mehrere Monate, worüber seine Frau Bertha glücklich zu sein schien ... und dann war er unversehens wieder da. Er stand auf der Türschwelle meines Hauses, als sei er vom Himmel gefallen. Ja, wie ein ausgestoßener Engel, mit trauerndem Blick. Trauernd über den Verlust seines göttlichen Heimes, seiner Flügel, oder wer weiß warum. Doch versuchte er, seinen Kummer mit Tränen und Schnaps zu ertränken. Seine Trunkenheit roch meine sensible Nase schon, ehe ich die Tür öffnete. Dort, in der Stille der Sackgasse, die meine einzige Verbindung war, vom Dorfplatz bis hoch oben zum Hügel, wo mein Haus stand.
Juan erzählte eine schreckliche Geschichte darüber, dass er sich in dubiose Geschäfte mit der Drogenmafia verwunden hatte. Er berichtete davon, Kokain über die Grenze nach Mexiko gebracht zu haben und dabei einhundertachtzigtausend Dollar verdient zu haben. Aber die Polizei sei ihm auf der Spur und er wollte aussteigen.Nun aber werde sein Leben auch von Seiten der Mafia bedroht. Und nicht nur das, auch seine Familie sei in Gefahr. Und er habe Angst, insbesondere um sein jüngstes Enkelkind.
Ich hörte mir alles schweigend an. Doch meine Instinkte sagten mir, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich vertraute den Indios nicht. Dafür war ich schon viel zu lange hier. Und es versteht auch nur jemand, der lange Zeit, und in nächster Nähe, mit diesen Leuten zusammenlebte.

In den elf Jahren, die ich hier lebe, habe ich bemerkt, dass Karl May ein Lügner war. Den edlen Wilden Winnetou habe ich nie gefunden. Allerdings sah ich viele hoch motivierte und idealistische Weiße aus dem Flugzeug steigen und selbigen suchen. Gleich einem Gralsritter, auf der Suche nach etwas, das dieser Welt entrückt war.
Wenn dann aber das große Erwachen kam, suchte man nur noch nach etwas, das man präsentieren konnte, um das vorgefasste idyllische, aber vollkommen unwirkliche Klischee einer Öffentlichkeit zu bedienen, die eben noch nicht aus ihrem Zauberschlaf erwachte. Und so endete man dann gewöhnlich bei Rigoberta Menchú.
Das Bild des guatemaltekischen Maya ist im Ausland von Rigoberta bestimmt. Darum gab ihr das Ausland den Friedensnobelpreis. Natürlich war das 1992, Fünfhundertjahrfeier der Kolumbusreise. Und darum musste der Nobelpreis selbstverständlich nach Amerika gehen. Und ebenso selbstverständlich musste der Preis an einen Indianer gehen. Aber von allen diesen dort gegebenen Möglichkeiten im Dreierkontinent erwählte man die kleine dicke Frau in Mayatracht des Quiché-Volkes. Gefeiert als die Verteidigerin der Rechte des Indios, die sofort auf die Barrikaden ginge, wenn jemand Indios als Lügner und Diebe bezeichnen würde.
Und nun sehen wir uns einmal die geschönte Biographie an:
“Ich, Rigoberta Menchú” (Yo, Rigoberta Menchú, von Elisabeth Burgos, 1983). Voll von Unwahrheiten und Lügen, in dem sie schon am Anfang des Buches behauptete, eine einfache Indianerin zu sein, die weder lesen noch schreiben kann. Wohlgemerkt war diese angebliche Analphabetin in Indianertracht auf der angesehensten Schule von Zentralamerika gewesen. Schwer zu glauben, dass sie weder Lesen noch Schreiben kann. Obendrein holte sie die französische Linke nach Paris und bezahlte ihre Ausbildung zur Anwältin, und ist Doktor der Rechtswissenschaften. Eine Anwältin ist sie, deshalb lügt sie wohl so viel.
Das Bild des Anwaltes in Guatemala ist vorgefasst, wie das des Indios. Ein Bild, das sich in einer Anekdote über den General Jorge Ubico wiederfindet:

Der Diktator fragte einen Schüler:
“Nun mein Sohn, gewiss willst du studieren?”
“¡Si, Señor Presidente!!”
“Und was willst du studieren? Dieb oder Mörder?”
Der Junge, sichtlich verwirrt über die Äußerung des Generals, antwortete:
“Ich möchte Medizin studieren, Señor Presidente!”
“Also Mörder!”, entgegnete Ubico, für den der Dieb der Anwalt war.

Zumindest in dieser Hinsicht ist Rigoberta Menchú also eine typische Anwältin, aber auch Indianerin. Sie kann es ja wohl kaum aufgrund ihrer elitären Ausbildung sein. Oder wegen ihrer Villa in Frankreich, wo sie den größten Teil des Jahres verbringt.
Rigoberta bekam viel Geld zugesteckt, aus dem Ausland, für ihre Arbeit. Aber die Mayaorganisationen in Guatemala fragen, was damit geschah. Hat sie gediebt? Übergroße Häuser in Frankreich gekauft? Was tut sie denn außer hin und wieder Bla Bla Bücher für Kinder zu veröffentlichen? Gut, früher tat sie etwas ... bis das Geld floss, dann tat sie nichts mehr.

Ich fragte mich daher, ob es nicht gerade die schlechten Vorurteile waren, in denen eine typische Indianerin, wie Menchú, dem typischen Indio Juan entsprach, dessen Erzählung ich immer weniger Aufmerksamkeit schenkte. Nach einigen bewusst gewählten Fragen meinerseits hatte ich bemerkt, dass er sich selbst widersprach. Zum Schluss fragte er, ob ich ihm fünfzigtausend Quetzales borgen könnte. Natürlich lehnte ich ab, ahnte jedoch den Grund seiner Tränen.
Und ich wurde bestätigt, als ich am folgenden Tag mit seiner Frau sprach:
“Ich habe ihn hinausgeworfen. Niemand von uns will ihn zu Hause haben”, antwortete Bertha verbittert und berichtete weiter: “Juan hat sich fünfzigtausend Quetzales geborgt. Ohne mein Wissen. Und ohne es zurückzahlen zu können. Nun bedroht man uns.”
Zwei Wochen später aber war Juan wieder da. Und verändert. Er war fröhlich. Seine Frau erzählte mir, selbst überrascht, dass Juan seine Schulden bezahlt hatte.Doch ihr Ehemann sagte nie, woher er das Geld hatte.
Nicht ganz eine Woche später starb das jüngste Enkelkind von Juan und Bertha, völlig unerwartet. Es war zuvor nicht krank gewesen. Aber all das war auch nicht wirklich ungewöhnlich bei Indios, die ihren Kindern wenig Aufmerksamkeit widmeten, und Tod und Krankheit auf den Einfluss böser Geister und zauberkundiger Nachbarn abschoben.
In der Nacht darauf bemerkte ich, dass sich meine Nachbarn stritten. Es war ein schwerer Streit. Doch die Worte verstand ich nicht, denn mein Grundstück, wie das ihrige, ist groß. Die Häuser sind weit entfernt. Doch war es die Frau, die ihre Stimme erhob. Irgendwann öffnete sich die Tür und Juan verließ das Haus, um nie mehr zurück zukehren.
Noch aber ist er hier im El Hato. Wohin auch sollte er gehen? Jedoch ließ er sich nur noch bei Dunkelheit sehen. Wurde zu einem nächtlichen Bewohner dieser Gemeinde, der das Tageslicht scheute. Und, er hatte sich verändert. Er, den viele für einen Verlierer, einen Clown hielten, verbreitet nun Angst unter den Dörflern. Diese wissen auch, warum.
Ich spüre es. Doch, es ist ihr Geheimnis, welches niemand mir, dem Außenstehenden, erzählen würde. Nur auf Umwegen hörte ich, ohne zu erfahren, von wem es ausging, dass ein anderer Nachbar von Bertha und Juan, in der Nacht des Todes jenes Enkels, folgendes gesehen haben wollte:
Ein dunkler Schatten vom Umriss eines Menschen, doch mit Fledermausflügeln, senkte sich aus dem dunklen Himmel herab auf die Wiese hinter dem Haus. Einen finsteren Pakt schließend, mit dämonischen Mächten, übergab Juan die Seele seines Enkels.

“Was mochte er gerade denken?”, fragte ich mich, all der skandalösen und unglaublichen Gerüchte gedenkend, die nach und nach an meine Ohren gedrungen waren, als ich Juan, in einer Regennacht, unter dem Dach des kleinen Rathauses stehen sah. Ich war mir seiner Person wegen nicht mehr sicher – wenn ich es denn jemals gewesen war – wollte nicht an die absonderlichen Gerüchte glauben, konnte es einfach nicht! Denn sie waren zu fantastisch, fern aller Realität.
Juan wirkte nun, wie jemand der in Erinnerungen wandelte. Doch es waren wohl keine guten Erinnerungen. Er war ernst. Schwach nur erleuchtete das geringe Licht, der einzigen funktionierenden Straßenlaterne, des Dorfplatzes sein Gesicht.
Mein Gott! Hatte er sich verändert. Sein Gesicht war das eines Verfluchten. Schien selbst ein Geist, eben der anderen Welt entstiegen. Was auch immer in Wahrheit zwischen ihm und seiner Frau vorgefallen sein mochte, es musste schrecklich gewesen sein.
Nur noch allein sah ich ihn in den dunklen Straßen des Dorfes. Niemand wollte in seiner Nähe sein, wegen der Geschichten, die sich mehr und mehr begannen, um seine Person zu weben. Niemand mehr lachte über ihn. Sie senkten ihren Blick, damit sie nicht seine traurigen Augen sehen mussten. Es hieß, mit ihnen könne Juan jemandem seinen Willen aufzwingen. Und dann eilten sie, schnellen Schrittes, nach Hause, um die Türen fest zu verschließen, und glaubten das Böse so draußen lassen zu können.
Die Menschen hier glauben sich alle gut. Ja, geradezu perfekt! Zumindest, wenn man ihren eigenen Reden Glauben schenkte. Böse sind immer die anderen. Nach meiner Erfahrung aber ist es so, dass die Menschen hier, die andere die Bösen nennen, dieselben sind, die stehlen, vergewaltigen, und morden, aber nie ertappt wurden. Nach mehr als einem Jahrzehnt kannte ich sie gut. Die Leute hier fühlten sich bedeutsam, aber waren voll von Minderwertigkeitskomplexen. Und alles machte ihnen Angst. Klar, es waren schlechte Erfahrungen aus dem sechsunddreissigjährigen Bürgerkrieg. Aber nicht nur! Auch ein schlechtes Gewissen spielte dabei eine Rolle. Warum? Das weiß Gott allein!
Ich konnte nicht glauben, dass Juan böse war. Ich meine wirklich böse, und mehr als alle anderen. Ich wendete nie meinen Blick von ihm ab, und glaubte dafür Dankbarkeit in ihm erkannt zuhaben.
Der Wunsch reifte in mir, mit ihm zu reden, doch nie ergab sich die Gelegenheit. Wenn ich ihm begegnete, sah ich ihn nur vom Auto aus. Doch grüßten wir uns stets, und gewiss war ich der Einzige im El Hato, der das tat.
Es wurde geflüstert, dass Juan seltsame Rituale zelebrierte, dort in der Wildnis der verlassenen Finca Chakara (Schakara), die schon Teil der Cuesta del El Hato war. “Rituale des Auges!” Gewiss sprachen sie vom selben Auge, das so viele aus ihren Träumen kannten. So wie ich selbst auch. Und darum war es, warum ich mit ihm sprechen wollte. Ich hatte so viele Fragen, über jenes Ding, das mich in allnächtlichen Träumen plagte, und mich dem Wahnsinn zuführte.
Einige Hirten beschworen, dass sie gelegentlich, nur vom weiten und zu später Stunde, Juan gesehen hatten wie er Sand aus dem Fluss holte. Groß jedoch war ihr Erstaunen, als sie ihn sahen, seelenruhig den Griff seiner Schubkarre führend, dieselbige mit aller Leichtigkeit fortführend, und all das unter großem Gelächter und Gerede, wie ein wahrer Besessener. Hingegen auf der anderen Seite der Karre konnte niemand erkannt werden, der ihm geholfen hätte.
“Es war der Teufel selbst!”, versicherten sie, “Oder einer seiner Dämonen, dem Gestank nach Schwefel, und der Unruhe unserer Pferde nach zu urteilen.”
Ein anderes Mal wollte er gesehen worden sein, tanzend zum Takt einer seltsamen Melodie, interpretiert mit unbekannter Meisterschaft. Aber es ließen sich keine Musiker, noch Instrumente erkennen. Nur ein würgender Gestank, der sich der Nachbarschaft bemächtigte, hing dort in der Luft.
Fern vernahm man den Schrei eines Hahnes, und kurz darauf erwiderten weitere den Ruf. Ein Aufatmen der Ruhe ergriff die Bewohner des seltsamen Dorfes. Denn unter ihnen existierte der Glaube, dass der Schrei des Hahnes die Dämonen vertreibe. Man vernahm nur das Öffnen der Riegel an den Haustüren. Und man sah nur die kleine und dünne Silhouette des mysteriösen Indio Juan, langsam und befremdlich, gerahmt vom blassen Licht der wenigen Straßenlaternen. Ich sah ihn herabsteigen auf der berüchtigten Straße der Sünder, bis dann das Zwielicht ihn verschlang. Zwischen dem Geheul der verschreckten Hunde und wilden Kojoten, begleitet von einem perversen Geruch begleitet von einem perversen Geruch nach Schwefel, der mir untersagte Schlaf zufinden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.04.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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