Peter Somma

Heimkehr

 

 

(Hoffentlich nur eine Utopie)

 

 

         Nun saß ich also im Zug, der mich nach einer langen Abwesenheit wieder in die Stadt meiner Geburt zurückbringen sollte. Ich hatte sie schon als sehr junger Mann verlassen um in einem anderen Land Arbeit zu finden, war dann dort hängen geblieben, hatte dort eine neue Heimat gefunden und eine Familie gegründet.

 

Nie hatte sich seit meinem Fortgehen eine Gelegenheit ergeben, dorthin zurückzukehren, aber oft hatte ich mir gewünscht wieder einmal durch die engen Gassen meiner alten Heimat zu schlendern und zu sehen was aus meiner Geburtsstadt geworden war, was sich seit meinem Weggehen von dort, verändert hatte. Aber es hatte sich nie die Zeit gefunden, mir diesen Wunsch erfüllen zu können. Umso größer war die Freude deshalb, als sich nun, ganz überraschend und unerwartet, ein Anlass ergab, wieder einmal heimkommen zu können, in die Stadt, in der ich aufgewachsen war und in der ich meine Jugend verbracht hatte.

  

         Ich habe ich mich stets gerne erinnert, an die Zeit, die ich dort zugebracht hatte, denn es war ein Ort, in dem es sich leben ließ. Die kleinen Geschäfte  waren Schmuckkästchen und wurden sehr oft von einer Generation an die nächste übergeben und die drei großen Kaufhäuser, die nicht nur dem Handel, sondern der ganzen Stadt ihren Stempel aufdrückten, wetteiferten mehr oder weniger fair darum, das Größte oder das Preiswerteste Haus am Platz zu sein, oder wenigstens über die elegantesten Schaufenster zu verfügen. Gut besuchte Straßencafes, die dem ganzen Ort den Eindruck eines lebenslustigen und geschäftigen, ja südlichen Handelsplatzes verliehen, waren immer gut besuchte Treffpunkte der geselligen Einwohnerschaft. Die Fußballspiele im Sommerhalbjahr und die Eishockeypartien während des Winters, die gegen die Mannschaften der Nachbarstadt ausgetragen wurden, die zudem vor langer Zeit zur Landeshauptstadt erklärt worden war, und mit der man immer, nicht nur in sportlichen  Belangen, auf das heftigste wetteiferte, waren stets Großereignisse, an denen die ganze Bevölkerung, die überhaupt ein recht fröhliches Völkchen war, regen Anteil nahm.

        

         Schon als der Zug angekommen war und ich mich anschickte, den Waggon zu verlassen, es war schon spät am Abend und schon fast dunkel geworden, wunderte ich mich, dass nur wenige Passagiere im Bahnhof dieser Stadt, die doch früher immer ein Zentrum des Handels und Gewerbes und das Ziel vieler Reisender gewesen war, ausstiegen.

 

Vor dem Portal des Hauptbahnhofes erwartete mich die nächste  Überraschung. Ich hatte mir hell erleuchtete Straßenzüge und einen lebhaften Verkehr erwartet, aber die Stadt wirkte fast wie ausgestorben und nur wenige Straßenlaternen warfen ein fahles Licht auf die verlassenen wirkenden Stadt. Lediglich wenige Fahrzeuge befuhren um diese Zeit die öd wirkenden Straßen und griesgrämig huschten vereinzelt Passanten über die Gehsteige. Die meisten, der einst so gefälligen Geschäfte waren leer und auf den verdreckten Auslagenscheiben klebten Plakate in schreienden Farben, die die Lokale zur Vermietung oder zum Verkauf anboten. Der Wind trieb Papierreste und anderen Abfall durch die Straßen, Staubfonteinen fegten durch die Luft, die Häuser und Fassaden waren ungepflegt und je weiter ich in das Zentrum vordrang, desto trostloser war der Anblick, der sich mir bot. Nichts erinnerte mehr an die Lebensfreude und Freundlichkeit, die diese Stadt einst auszeichneten.     

 

         Ich bog in eine der Nebenstraßen ein, in der sich früher ein kleiner Laden an den anderen reihte und in denen freundliche Kaufleute um ihre Kundschaft bemüht gewesen waren. Jetzt hatten sich dort zahlreiche Rotlichtlokale angesiedelt, das Licht war gedämpft und die Freier, die ein entsprechendes Etablissement aufsuchen wollten, schlichen vorsichtig durch die einst so belebte Gasse. 

 

Überraschenderweise fand ich zwischen den übel beleumundeten Lokalen doch noch eine kleine gemütliche Bar, die sich schon von außen von den anderen wohltuend abhob. Die Reklame einer bekannten Biermarke hing über dem Eingang und man konnte schon von außen einen Blick in das Innere des Lokales werfen.

 

Hinter der Theke befand sich ein aus Mahagoni gefertigtes Regal, in dem ich, neben den einzelnen Getränkeflaschen, einen Kalender erblickte, der das Jahr 2030 anzeigte. Der Raum strahlte eine Herzlichkeit aus, die ich gar nicht mehr erwartet hatte und die in krassem Gegensatz zu dem stand, was ich bisher hier gesehen hatte. Das Lokal war leer und der Barmann war ein freundlicher, älterer Mann, der sicher schon viel erlebt hatte und von dem ich mir erwartete, dass er mir die Geschichte des Niedergangs  meiner Heimatstadt  berichten konnte:

 

Und tatsächlich, begann er mir, nachdem ich mich über das üble Aussehen der Stadt erkundigt hatte zu erzählen:

 

„Alles begann in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals gab es hier viele größere und kleinere Geschäfte, die alle ihre Kundschaft fanden. Aber dann setzte der erste Konzern seinen Filialbetrieb mitten ins Zentrum. Die Leute begrüßten die Ansiedlung dieses Großmarktes, denn die ansässigen größeren Geschäfte waren träge geworden, waren sich ihrer Bedeutung, ihres sicheren Umsatzes, zu sicher geworden und sie hielten sich auch bei der Preisgestaltung nicht zurück, da sie keine Konkurrenz zu fürchten hatten. Endlich wehte der frische Wind der weiten Welt auch durch unsere Stadt. Man konnte hier Waren kaufen, die man sich bisher aus der Großstadt hatte besorgen müssen und das zu Preisen, die die Menschen nicht gewohnt waren. Das Geschäft florierte und viele Fremde kamen hierher um einzukaufen und alle waren zufrieden.

 

Aber dann siedelten sich der zweite, der dritte und der vierte Supermarkt am Rande der Stadt an. Zwar musste man, um dort einkaufen zu können, den Wagen benützen, aber ein sicherer Parkplatz und ein günstiges Angebot lockten viele an den Rand der Stadt. In der Innenstadt bemerkte man bald eine Veränderung. Noch herrschte ein reger Kraftfahrzeugsverkehr, aber die Leute auf den Gehsteigen wurden immer weniger. Als erstes bekamen die kleinen Geschäfte das Ausbleiben der Kundschaft zu spüren. Die kleinen Geschäfte konnten weder mit dem Angebot noch mit den Preisen der großen Ketten Schritt halten. Ihr Umsatz konnte die Unkosten nicht mehr decken und viele mussten zusperren und immer verloren dann einige Angestellte ihren Arbeitsplatz. Die Schaufenster wurden verklebt und verschandelten unsere bisher so lieblichen kleinen Gässchen. Jetzt hatte kaum jemand Lust, durch die Gassen und Straßen zu schlendern und niemanden interessierte sich noch für die immer noch mit viel Liebe gestalteten Schaufenster der übrig gebliebenen Kaufleute.

 

         Bald bekamen das aber auch  die „Platzhirschen“, zu spüren, die, die bisher das große Sagen hatten, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Ihnen fehlte die Laufkundschaft, die Bewegung in den Gassen, ebenso wie den kleinen Geschäften und sie mussten erkennen, dass sie neben den wirklich großen, den Weltfirmen mit ihren zahlreichen Filialen, auch nur kleine Schlucker waren und verschwanden, einer nach dem anderen von der Bildfläche. Hatte man bisher die einzelnen Kaufleute noch beim Namen gekannt, verlor die Stadt jetzt ihr unverwechselbares Antlitz. Den bekannten Namen der Kaufleute an den Fassaden folgten Fantasienamen von Filialen anonymer Konzerne. In jeder Stadt fand man nun die selben Firmennamen an den Portalen und man konnte die Waren, die man hier bekam auch in jeder x-beliebigen anderen Stadt kaufen, aber niemandem gingen die alteingesessenen Betriebe ab, denn es gab ja Ware in Hülle und Fülle, und das zu günstigen Preisen.

 

         Aber dann setzte eine Entwicklung ein, mit der niemand gerechnet hatte. Jetzt, da die Großmärkte der Konzerne zu „Platzhirschen“ geworden waren und die einheimischen, alteingesessenen Geschäfte vertrieben hatten, lieferten sich diese erbitterte Preiskämpfe. Ein Großmarkt wollte dem anderen das Geschäft abjagen, auch wenn er dabei nichts mehr verdiente, denn den Konzernen ging es nur um Marktanteile und um das verschwinden des Konkurrenten und sie versuchten deshalb die Konkurrenten aus der Stadt zu verjagen. Es dauerte nicht lange, dann blieb der erste auf der Strecke und sperrte zu und bald folgte der nächste. Jedes Mal traf es Dutzende von Mitarbeitern, die dann auf der Straße standen und keinen Arbeitsplatz mehr fanden, denn es gab kaum noch kleine Geschäfte, die die Arbeitslosen hätten auffangen können. 

 

         Immer mehr Personen hatten jetzt keine Arbeit mehr und die fehlende Kaufkraft spülte immer weniger Steuergeld in die Kassen der Stadt. Die einst reiche Stadt wurde ärmer und ärmer. Das kulturelle Angebot verkam und der Gemeinde fehlte das Geld für die dringlichsten Aufgaben. Müllabfuhr und andere Dienste funktionierten nur mehr sporadisch, überall lag der Dreck in den Straßen, die immer größere Schlaglöcher aufwiesen. War früher unsere Stadt Ziel für viele Menschen, die hier wohnen wollten, verließen jetzt immer mehr Leute unsere Stadt.“

 

         Es war ein trostloses Bild, das der Barmann mir da gezeichnet hatte und ich war enttäuscht von meiner Heimatstadt. Während seiner Erzählung war die Zeit im Fluge vergangen und es war Zeit, an eine Schlafgelegenheit zu denken. Früher gab es hier zahlreiche Beherbergungsbetriebe, aber weil die Fremden ausgeblieben waren, hatten auch die ihre Betriebe aufgegeben. Ich konnte jetzt wohl kaum hoffen, irgendwo ein nettes Zimmer zu finden. Zum Glück vermietete der Barmann im oberen Stockwerk einige Zimmer, die er an Gäste vermietete. Ich nahm dieses Angebot des Barmannes gerne an, und nahm für diese Nacht ein Zimmer im oberen Stock.

 

          Ich schlief sehr gut in dieser Nacht, aber als ich am nächsten Morgen erwachte, fand ich mich in meinem eigenen Schlafzimmer wieder. Der Wecker, der mich wecken hätte sollen, damit ich nur ja nicht den Zug versäume, mit dem ich die Stadt meiner Geburt hätte besuchen wollen, hatte versagt. Ich musste wohl oder übel meine Fahrt auf den nächsten Tag verschieben.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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