Tanja Schotte

Liebes Tagebuch !

Liebes Tagebuch!!!

Jeden Tag sitze ich in meinem Zimmer und denke mir warum ich überhaupt lebe und immer finde ich keinen Grund!
Ich lebe mit meinem alkoholkranken Vater in einer 4-Zimmer -Wohnung. Mein Bruder Lukas ist 1 Jahr älter als ich, also 19 und wohnt mit seiner Clique und seinem besten Freund Chris, der gleichzeitig mein Freund ist, in einer Wohnung. Er hat es sich schön leicht gemacht. Als er angefangen ist zu arbeiten, ist er einfach abgehauen und hat mich mit Vater alleine gelassen, ohne ein Wort zu sagen. In diesem Moment hat er mich sehr verletzt, er war immer für mich da und hat mich vor Vater geschützt, wenn er mal wieder zu viel getrunken hatte und handgreiflich wurde. Seit dem letzten Jahr muss ich mich vor meinem Vater alleine schützen. Mein ganzer Körper ist übersäht mit blauen Flecken, ich friere schon seit drei Tagen, da die Heizungen ausgefallen sind. Wir haben kein fließendes Wasser mehr und Chris hat sich auch schon seit Tagen nicht mehr gemeldet. Es ist schon verständlich das so einer wie Chris nichts mit mir zutun haben will. Ich verfluche meinen Vater dafür, was er mir alles angetan hat, aber gleichzeitig liebe ich ihn von ganzen Herzen, die Gründe dafür kenne ich nicht, aber ich kann und darf ihn in dieser Situation nicht im Stich lassen. Jeden Tag fahre ich zu einem Schnellimbiss, wo ich etwas Geld für meinen Vater und mich verdiene, um uns über die Runden zu bringen. Jeden Tag werde ich von meinem Boss angemacht. Tag für Tag nach Feierabend muss ich mit ihm schlafen, sonst will er mich rausschmeißen. Ich bin immer erst um 12 Uhr zuhause, wo ich dann aufräume und mein Vater ins Bett bringe. Dann versuche ich noch etwas zu schlafen. Nach einer Stunde schlaf kommt mein Vater in meinem Zimmer und verprügelt mich regelrecht, mit einem Gürtel oder mit seiner Faust. Wenn er befriedigt ist versuche ich wieder einzuschlafen, doch meine Tränen halten mich wach. Um 6 Uhr muss ich schon wieder im Laden stehen und putzen. Ich rackere mich ab, arbeite mehr als die Anderen und bekomme nur 50 Cent pro Stunde.
Heute habe ich Geburtstag, mein Vater sitzt schon wieder in einer Kneipe und besäuft sich. Ich habe beschlossen etwas aufzuräumen und habe einen ungeöffneten Brief ohne Absender an mich gefunden. Als ich beschlossen habe ihn aufzumachen, fand ich einen Euro und einen Brief hervor. Der Brief war von meinem Bruder in dem drin steht:
„Hey Lena!
Es tut mir so furchtbar Leid, das ich dich im Stich gelassen habe. Ich habe es einfach nicht mehr bei diesem Mistkerl ausgehalten. Ich hoffe es geht dir gut. Ich weiß, dass war ziemlich egoistisch von mir. Ich liebe dich vom ganzen Herzen und ich vermisse dich so. Ich hole dich so schnell wie möglich daraus. Das verspreche ich dir. Ich werde dir helfen und beistehen. Du bist mir das Wichtigste auf der ganzen Welt. Chris steht in Moment neben sich. Er schmeißt den ganzen Tag nur Drogen in sich hinein. Ich habe ihn den Umgang mit dir verboten, solange er nicht mit den Drogen aufhört. Aber ich kann dich beruhigen, er macht eine Therapie. Würde unseren Vater auch nicht schaden. Ich liebe dich. Ich habe dir noch einen Euro beigelegt, du sollst mich damit auch mein Handy anrufen. Bis Bald Lukas“
Super! Lässt mich erst im Stich, meldet sich ein Jahr lang nicht und dann soll ich ihn noch anrufen? Für wie blöd hält er mich? Mir kullerten Tränen über das Gesicht, es schmerzt. Ich frag mich womit ich so ein Leben verdient habe, aber ich habe noch keine Antwort erhalten. Ich höre das Türschloss und bekomme Angst, Angst vor Schlägen, Angst verletzt zu werden. Doch ich hörte nur ein schweres Husten, einen erschwerten Atem und ein Stöhnen. Plötzlich rummste es. Ich bekam es mit der Angst zutun. Ich traute mich nicht nachzugucken, keine Ahnung was mich da erwartet. Es war auf einmal sehr still. Schließlich beschloss ich mich doch nach zugucken und dort lag er, ganz regungslos. Ich war total schockiert von diesem Anblick. Ängstlich ging ich zu ihm und fühlte seinen Puls, aber da war nichts, nichts, kein Schlag. Was soll ich tun? Ich versuchte ihn durch Beatmung wieder zu holen, nach einer halben Stunde habe ich es aufgegeben. Ich wollte aufstehen, doch es ging nicht. Ich brach immer wieder zusammen. Mir schossen so viele Gedanken durch den Kopf, doch ich musste etwas tun. Ich bin zu unserer Nachbarin gelaufen und verständigte den Notarzt. Nach 10 Minuten kam er endlich und stellte nur noch seinen Tod fest. Nun war ich ganz allein in dieser Bruchbude. Ganz allein, abgeschottet von der Welt. Mein Vater und meine Mutter sind tot, meine Verwandtschaft lebt im Ausland, mein Bruder ist einfach abgehauen und mein Freund, der sich ein Dreck für mich interessiert, ist in Therapie. Was soll ich denn noch hier? Es hat doch keinen Sinn mehr. Ich rufe meinen Bruder an, sage ihm Aufwidersehen und nehme Tabletten! Dies scheint mir die Beste und einfachste Lösung zu sein, in diesem elendigen Leben! Ich nehme mir diesen Euro und renn damit zur Telefonzelle.
„Chris Böck?“ „Chris gib mir Lukas.“ „Lena bist du das? Endlich erreiche ich dich. Ich bin fertig mit der Therapie, ist das nicht schön?“ „Gib mir Lukas sofort!“ „Ja? Hier Lukas.“ „Hallo ich bin es!“ „Lena?“ „Ja. Unser Vater ist gestorben. Er hat einen Herzinfarkt gehabt. Ich wollte mich nur noch von dir verabschieden. Ich mache Schluss!“ „Wie Schluss? Lena?“ Doch das Telefonat war beendet, da das Geld aufgebraucht war. Ich ging wieder zur Wohnung zurück, schüttete eine Packung Schlaftabletten in mich hinein und spülte sie mit Alkohol runter. Nach einer Stunde war ich bewusstlos. Ich hörte Stimmen, sehr vertraute Stimmen, die meinen Namen rufen. Ich wollte gucken wer sie waren, doch meine Augenlieder waren zu schwer. Ich wurde unruhig, mein Herz fing an zu rasen. Ich wusste nicht wie mir geschieht. Ich konnte mich nicht bewegen, meine ganzen Gelenke waren mir zu schwer. Was habe ich bloß. Ich will doch einfach nur sterben. Ich fiel in einem Traum. Ich sehe meine ganze Familie in unseren schönen Garten versammelt. Mein Vater vor dem Grill, meine Mutter am Tisch decken und ich mit Lukas und meinem ältesten Bruder Benno am spielen. Ich war da rund um die 5 Jahre alt. Die Welt war in Ordnung. Plötzlich rollte uns der Ball auf die Straße. Benno rannte los um ihn zu holen und über sah den entgegen kommenden Laster der mit 50 km/h auf ihn zuraste. Er war sofort tot. Meine Mutter hat sich nach diesem Tod immer mehr zurückgezogen und wurde krank. Sie nahm stark ab, ihre Organe hörten langsam auf zu arbeiten und wir konnten nichts dagegen tun. Als sie verstarb fing mein Vater an zu trinken und wurde arbeitslos. Wir mussten in eine Wohnung ziehen die wir bezahlen konnten. Mit 15 fing ich an im Imbiss zu arbeiten und vernachlässigte die Schule. Als ich 18 war verließ Lukas uns und so nahm das Schicksal seinen Lauf.
Ich wachte auf aus diesem Traum und betrachtete die weißen Wände vor mir. Ich habe es endlich geschafft, ich bin im Himmel. Ich roch einen wohl bekannten Geruch und sah mein Bruder plötzlich vor mir. Er erzählte mir, ich sei im Krankenhaus, er und Chris sind in die Wohnung gestürzt und haben mich gerettet.
Nach einer Woche Krankenhaus, wurde ich entlassen, ohne zu wissen wo ich hin sollte. Ich hatte doch nichts. Mein Bruder nahm mich erst mal zu sich in die WG. Nach einer längeren Aussprache mit Chris, haben wir uns endlich versöhnt. Ich bin zu Chris ins Zimmer gezogen. Hier habe ich endlich gelernt, was Liebe ist. Ich habe viele Freunde gefunden mit den ich reden konnte. Es war ein tolles Gefühl nicht mehr allein zu sein. Nach meinem Realschulabschluss habe ich mit Chris ein Kind zur Welt gebracht. Ich verspreche dir meine liebe Tochter Leonie, dass ich versuche dich nie zu verletzten und dir so viel Liebe und Geborgenheit zu geben, wie du benötigst. Ich werde dich nie im Stich lassen. Dank Chris und Lukas, kann ich Leben, ich sehe meine eigene Tochter aufwachsen, ich habe gelernt das Leben zu leben. Jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde ist wertvoll. Ich versuche das Leben zu genießen solange ich noch kann, für mich und für meine Tochter. Es ist so wertvoll zu leben. Man darf es nicht einfach wegschmeißen, denn es gibt Menschen, die wollen Leben, können es aber nicht. Als mir das bewusst wurde, fing ich an mich Sozial einzusetzen und kümmere mich um die Menschen denen es nicht gut geht. Jeder Tag, den ich damit verbringe den Menschen zu helfen, war in meinen Augen ein lebenswerter Tag. Wenn man den Menschen helfen kann, hilft man sich selber, denn dein Herz wird stärker, somit auch du! Lebe dein Leben
Eintrag: 15.07.1964.
Deine Lena