Manfred Bieschke-Behm

Sunday

 



Hochsommer. Sonntagnachmittag. Es ist heiß. Nicht sehr heiß, aber ausreichend, um lieber zu Hause zu bleiben, als die öde der Stadt erleben zu müssen. Bill hält es zu Hause nicht aus und er begibt sich die die Straßenschluchten seiner Stadt. Er weiß, dass es ihm nicht gut tun wird, aber irgendetwas treibt ihn an. Die eng nebeneinanderstehenden Häuser bieten Schatten. Dennoch fängt Bill an zu schwitzen. Er fühlt sich gehetzt. Sieht sich um. Keiner folgt ihm, dennoch glaubt er Schritte zu hören. Er bleibt stehen. Beobachtet seinen Schatten und wartet, dass ein zweiter Schatten seinen Schatten kreuzt. Nichts dergleichen passiert. Er geht weiter. Schaut in die Nebenstraße. Auch dort ist kein Mensch zu sehen. Nur eine Katze wechselt miauend und mit erhobenem Schwanz die Straßenseite. Sie fühlt sich von Bill beobachtet und mag das nicht. Bill geht weiter. Er hat kein Interesse der Katze hinterher zu schauen. Wieder bleibt er stehen. Schaut dem Himmel entgegen und stellte fest, dass der Himmel wolkenlos ist. Seine Augen schmerzen. Zu sehr blendet die grelle Sonne. Er fängt an zu blinzeln anstatt sich abzuwenden. Endlich gelingt es ihm eine andere Blickrichtung einzunehmen. Bill setzt sich auf die Bordsteinkante. er fühlt sich einsam und von Menschen verlassen. Hinter ihm befinden sich Läden ohne Auslagen. Ob alle Waren ausverkauft oder noch nicht eingeräumt sind, weiß Bill nicht. Es interessiert ihn auch nicht. Bill sitzt mit verschränkten Armen und schaut ins Leere. Er wartet. Aber auf was wartet er? Vielleicht wartet er gar nicht auf "was", sondern auf "wie". Wie soll es weiter gehen? Gedankenverloren, Gedankenverraten , Gedankenverboten.
Reden möchte er. Mit Jemandem sprechen würde Bill gerne und dabei seine ihm so vertraute Stimme hören. Doch ohne Zuhörer ins Leere sprechen, ist mehr als deprimierend, das weiß er. Das kennt er. Bill weiß, dass nur sprechend Wünsche gehört und verstanden werden können. auch auf die Gefahr hin, dass Wünsche nicht erfüllt werden, dass Gedanken und Worte manchmal in Konkurrenz stehen. Bild hebt seinen Kopf und wage den Blick geradeaus. Dabei entdecke er an der gegenüber liegenden Hausfassade ein Transparent. Auf im steht in großen Buchstaben geschrieben "Schließt Türen und Fenster und lobt die dicke der Mauern". Bill überlegt wie lange das Transparent dort wohl hängt. Sicherlich schon eine ganze Weile, denkt Bill, denn er erkennt unübersehbare Verschleißspuren. Er beobachtet, dass sich das Transparent durch einen aufkommenden Wind in leichte Schwingungen versetzt hat. In seiner Fantasie fangen die Buchstaben an zu tänzeln. Sogleich, nachdem der Wind sein Spiel mit dem Transparent beendet hat, hängt es wieder unbeweglich und mit festen Buchstaben an der Hausfassade. Bill überlegt, was der Satz ihm sagen will. Ist die Aussage als Hilfeschrei zu verstehen? Oder will der Satz warnen? Oder handelt es sich um ein Hilfsangebot? Bill hat viele Fragen und wäre für Antworten dankbar. Aber wen soll es seine Fragen stellen? Noch immer bleibt Bill der einzige, der sich an diesem Ort aufhält. Er versucht selbst Antworten auf seine Fragen zu finden. Seine innere Stimme sagt ihm, dass dicke Mauern vor Kälte schützen aber auch vor Angriffe. Gleichzeitig nehmen dicke Mauern das Gefühl von Freiheit und Zugehörigkeit.
Verschlossene Fenster und Türen versprechen Sicherheit für diejenigen, die sich dahinter befinden. Denen die draußen sind, verweigern sie Einblick und Zugang.
Bill geht es nicht gut. Es wird ihm deutlich, dass es sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlt. Er möchte sich angenommen und aufgenommen fühlen. So wie er ist. Ich bin einer von euch, denkt Bill und steht auf mit einer großen Sehnsucht nach einem Wirgefühl.
Was will ich? Ich möchte aufgenommen werden in eure Gemeinschaft. So wie ich bin. Denn, ich bin einer von euch. Erfüllt mir die große Sehnsucht nach dem Wirgefühl. Er hört sich sagen: „Ich bitte euch, lasst mich nicht draußen. Nicht allein.“
Es fängt an zu regnen. Zunächst ganz langsam, dann immer heftiger. Bill versucht sich unter dem Vorbau zu einer Eingangstür vor der Nässe zu schützen. Die Tür geht auf, ohne dass Bill die Tür angefasst hat. Er geht hinein. Er ist nicht mehr draußen. Er hört Stimmen. Stimmen, die ihm vertraut erscheinen. Er ist nicht mehr allein.

Als Grundlage dieser Kurzgeschichte dient das Gemälde "Sunday" von Edward Hopper aus dem Jahr 1926.
Ich habe mich von dem Gemälde und gelesenem Satz "Schließt Türen und Fenster und lobt die Dicke der Mauern" zu dieser Geschichte inspirieren lassen.
Manfred Bieschke-Behm, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.05.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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