Lothar Krist

Es war einmal ein Herz wie ein Bergwerk

Graues, großteils schon weißes, ja schlohweißes Haar. Ein schwarzes, weites, schon abgetragenes T-Shirt verhängt an ihrer unförmigen, kurzen, gedrungenen Gestalt. Aus ihrem Antlitz blicken tausend Jahre Leid, dabei ist sie erst sechsunddreißig Jahre alt.

Das Gesicht breit geschlagen. Diesem Gesicht sieht man an, dass ein ganzes Heer von Ganzen Männern mit ihren harten Fäusten und noch mehr daran “gearbeitet“ haben, sie haben daraus Brei gemacht, im wahrsten Sinne dieses Wortes. Ob diese Ganzen Männer auch stolz darauf sind? Wahrscheinlich! Sie halten sich sicherlich noch immer für gute Staatsdiener, die ihrem Chile einen wichtigen Dienst erwiesen haben und Niemand hat sie bis heute dafür zur Rechenschaft gezogen. Mit absoluter Sicherheit nicht! Und so hat auch Niemand auch nur den geringsten Zweifel in ihnen erweckt, dass sie vielleicht doch nicht so ganz richtig gehandelt haben.

Wer weiß schon, wie oft sie diesen “Dienst“ ihrem Vaterland erwiesen haben? Ob das Vaterland Chile weiß, wie oft diese Ganzen Männer mit ihrer Rechten für ihre Rechte Sache zugeschlagen haben? Steht diese Zahl womöglich gar auf den Vaterlandsorden, die sie für diese Rechte Sache erhalten haben? Wahrscheinlich! Rechte Staaten ehren jeden derartigen Treffer. Die Linken aber auch, wir wollen nicht unehrlich sein.

Sie hat mir gestern ihre wenigen Bilder gezeigt, von Früher, die sie retten und mitnehmen konnte nach hier, nach Österreich. Sie war doch tatsächlich einmal so ein zartes, kleines und ausgesprochen hübsches Mädchen. Unglaublich, wenn man sie heute sieht. Augen, die wie glühende Kohlen leuchteten und die alten, vergriffenen Bilder noch immer zum Glänzen brachten. Augen, die ein Feuer versprühten, welches nur so vor Gier nach Leben in hellauf lodernden Flammenzungen brannte. Augen, die aus einer einfachen, ehrlichen Seele die Welt durchbrachen. Augen, ....

Augen, ... o mein Gott, und wie sehen diese Augen heute aus? Sie sitzt da hinten an der Wand, genau in der Mitte, wie ein Riesenhaufen Elend. Augen, ... so toter noch als tot. Ich habe sie noch nie lachen gesehen, nicht einmal lächeln. Als sie mir ihre Bilder von Früher gezeigt hat, und dabei von ihrem Leben damals in Chile erzählt hat, nicht einmal da hat sie gelächelt. Sie erzählte mir zwei lustige Episoden von Damals, doch nicht einmal da zuckte ein Ansatz von einem Lächeln über ihr Gesicht, das von tiefen Narben gezeichnet ist. Ihre Lippen sind tief vernarbt, zwei “Hasenscharten“ ziehen sich links und rechts zu ihren Nasenflügeln hoch. Auch den rechten Nasenflügel hat man ihr mit einem Messer aufgeschlitzt, wie sie mir erzählte. Und ein Kind hat man ihr auch aus dem Bauch getreten, das sie in der Hölle empfangen hatte.

Augen, so toter noch als tot. Noch nie zuvor habe ich so viel Tod in einem Leben gesehen, so unheimliche tausend Jahre alt. Tot. Nur tot. Toter noch als tot.

Sie kommt manchmal am Donnerstag ins Smaragd, zur Salsa-Night. Sie trifft sich da mit ihren Landsleuten und den anderen vielen, vielen Gästen aus Südamerika und von allen möglichen so fernen Anderswo. Alle sind so lustig, Alle tanzen beschwingt herum, lassen die Hüften schwingen. Alle unterhalten sich meist köstlich, Alle versüdamerikanisieren an ihrem Sound, leben, lassen leben und träumen von Zuhause. Ich höre immer so gerne ihren Geschichten zu.

Sie aber sitzt immer nur da an der Wand, einsam, so einsamer noch als einsam und schaut dem lebhaften Treiben zu. Manchmal spricht sie mit einer Bekannten. Ich weiß nicht, ob sie jemals mit einem Mann gesprochen hat? Der Horror ihres zweijährigen Gefängnislebens, dieser chilenischen Höllenfahrt, bläst sie wie ein über das Meer pfauchender Wirbelsturm für mich so unerträglich ansehbar in die Wand.

Sie war Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend in ihrem Stadtteil in Santiago de Chile. Wenn man ihre paar Bilder von VorVorVorGestern kennt, dann weiß man: da wird gerade vom Leben ein Herz wie ein Bergwerk von VorVorVorGestern in die Wand geblasen. Doch man sieht auch und dies lässt mich immer wieder eisig kalt erschauern: selbst so ein Herz wie ein Bergwerk kann gebrochen werden, wenn Ganze Männer DAS SO wollen und das Heer der Gutmenschen dabei aus Augenwinkeln schamhaft zusieht und sich letztendlich abwendet, wenn es ans Eingemachte geht.

Aber man kann ja sein Gewissen beruhigen. Mit diesem Brei von einem Gesicht, einer zerschmetterten rechten Kniescheibe, einer steifen linken Hüfte, einem aufgeschwemmten Körper voll von Psychopharmaka, weil sie ohne diese das Leben nicht mehr ertragen kann, hatte sie zumindest kein Problem beim Asylantrag. Bessere Beweise gibt es wohl nicht!? Das schlechte Gewissen machte sogar den zuständigen Staatsbürgerschaftsbeamten weich. Man hat sie nach nicht einmal sechs Jahren eingebürgert.

Somit ist ja wieder Alles in Ordnung. Ihr tausend Jahre altes Herz wie ein Bergwerk hält sie noch immer am Leben. Sie denkt, nein, sie weiß es: sie ist ein lebendes Mahnmal gegen die Zeit von Heute. Doch diese Zeit kommt leider nur selten dorthin, wo sie sich aufhält. Wer besucht schon einen Ausländerhilfsverein, in dem sie als Sozialarbeiterin arbeitet? Doch wohl nur die Asyl und Hilfe suchenden Ausländer. Und diese uns so Fremden kennen diese lebenden Mahnmale ja meist schon von zu Hause zur Genüge. Manche sind ja selber so ein kleines Mahnmal. Auch hier herunter in den Keller vom Smaragd kommen ja auch nicht gerade die besten Abbilder unserer weißen Rasse. Manchmal schäme ich mich dafür, für das, was ich bin. Ich weiß nicht, .... na ja, was kann ich schon dafür.

Und so geht diese Zeit fast spurlos an diesem lebenden Mahnmal von Heute vorüber oder umgekehrt. Sie verändert Nichts. Dieses Herz wie ein Bergwerk von VorVorVorGestern schlägt somit noch immer fast völlig umsonst. Na ja, nicht ganz, ich habe sie ja angesprochen und dies ist in Kürze ihre so unheimlich sinnlose und traurige Geschichte. Ich bin aber trotzdem froh, trotz der Sinnlosigkeit, dass ich sie geschrieben habe, auch wenn sie gar Nichts und Niemanden verändern wird.

© Copyright by Lothar Krist (10.4.2003)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.04.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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