Bernhard W. Rahe

Puddingstrasse

 

Durch die Heckscheibe des Vorderwagens knurrt mich ein riesengroßer schwitzender Mischlingsrüde an. Der Hund reißt überhitzt sein Maul auf, fletscht die hässlichen gelben Zähne. Dann bellt er mich böse an. Ich kann das nicht hören, nur vermuten. Die Autoscheiben, das Brummen laufender Motoren und die stehende, dicke, verpestete Luft beeinträchtigen unser Missverständnis. Ich mag dieses Tier nicht.

Die Luft ist verräuchert, ich darf das Seitenfenster kaum herunter lassen. Ich würde nach wenigen Minuten über das Lenkrad kippen. Kohlenmonoxidvergiftung, tot im Stau. Ab und an kommen wir für ein paar Meter voran. Wenn ich nahe an die Stoßstange des Van vor mir heranfahre, kann ich diesem Hund direkt in das Maul sehen. Es trieft, das arme, verfluchte Tier. Seine rote Zunge zittert und flattert bei jedem angestrengten, pfeifenden Atemzug - wie ein Lappen oder eine Membrane. Weißer, schaumiger Schleim hängt an seinen Lefzen. Jetzt knurrt er schon wieder, wirft sich wütend hin und her, in der Hitze des Wagens, in seiner heraufdämmernden Furcht, in seinem fatalen Hundsein.
Eben hat die Verkehrsfunkzentrale durchgegeben, das sich ein Stau von achtzehn Kilometern Länge gebildet hat. Es hat Unfälle gegeben. Ich bin Bestandteil dieses Staus. Es können gut drei bis fünf Stunden vergehen, bis sich der Blechhaufen aufgelöst hat. Es ist Sommer. Der Himmel ist strahlend blau, die Schulferien haben begonnen. Familien freuen sich auf das Meer, die Seen und die Berge. Ich bin nervös, mir rinnt der Schweiß am Rücken herunter, mein Hemd klebt zwischen Haut und Kunstleder.
Neben dem Rüden sitzt ein Sprössling in seinem bunten Kindersitz. Von Zeit zu Zeit wippt das Kind vergnüglich auf und ab. Dann sehe ich seine dunklen Locken. Und manchmal tanzt daneben ein Stofftier zappelnd in der flimmernden Luft, gelenkt von einem kleinen Händchen.
Dann hebt sich im Vorderwagen plötzlich der Arm des Fahrers, eine flache große Hand saust krachend auf das Armaturenbrett. Mein Gehirn fügt einen lauten trockenen Knall, den ich nicht hören kann, hinzu und auch den Jähzorn des Mannes. Im Font sitzt eine Frau, die Mutter des Kindes, vermute ich. Ich sehe nur, wie sie ihren Kopf – scheinbar fassungslos über den Anblick und die Wut ihres Mannes – schüttelt, ihr blondes, glattes, halblanges Haar schwingt hell und weich gegen ihren schön geschwungenen Hals.
Die Frau scheint beunruhigt zu sein. Und dann sehe ich, wie dieser helle, hübsche Kopf ruckartig zur Seite schwingt und gegen die Innenseite der rechten Tür stößt. Jetzt senkt sich der Kopf und ich kann ihn nicht mehr sehen. Die Hand des Fahrers legt sich nach einer rabiaten Bewegung wieder weich und ruhig auf das Lenkrad.
In der Schlange geht es voran. Wenige Meter nur, aber es ist endlich ein Fortkommen.
Der Hund hat soeben das Stofftier des kleinen Kindes an sich gerissen. Seine Kiefer zermalmen und pulverisieren das Lieblingsspielzeug, speicheln es ein. Jetzt dreht sich der zerknirschte Fahrer mit seinem kräftigen Oberkörper nach hinten. Seine haarige Hand langt hektisch über den Vordersitz zur Rückbank und zerrt unerbittlich am Halsband des röchelnden Bastards. Der Hund ahnt nun, was sein Herrchen von ihm verlangt und lässt den Rest des Stofftiers widerwillig fallen. Als Ausgleich für seine unterdrückte Wut aber schnappt er nach der gewalttätigen Hand und beißt zu. Jetzt weint das Kind, die Mutter springt schreiend aus dem Wagen, öffnet die Hintertür, holt ihr Kind nach. Der Fahrer aber bleibt allein mit dem rasenden Hund im Wagen. Erschrocken und wie vom Donner gerührt, schnippst er hastig sein Zigarillo aus dem Seitenfenster nach hinten. Dieses landet direkt auf der Kühlerhaube meines neuen Autos.
Blaugrauer beißender Qualm streicht lauernd um die Kippe herum, noch zu schwer, um in den Sommernachmittag aufzusteigen. Glut frist sich in den roten Lack. Ich schreie auf, Neeeiiin, jetzt reich es!
Ich steige aus, fege aufgebracht, mit einem wütenden Wisch die Kippe von meiner Haube, sehe nur beiläufig die Frau, die über der rechten Augenbraue blutend und schluchzend, auf der Kriechspur hockt. Ihr Kind mit dem zerfetzten Stofftier hält sie im Arm. Kleine Schaumstoffbröckchen treten aus dem zerbissenen Teddy hervor.
Und dann erst erblicke ich den Mann, dem ich eben noch gern an den Kragen gegangen wäre. Er hat ernsthafte Probleme, sein grandioser Hund macht sich mordlustig und empört über ihn her und lässt nicht locker. Ich reiße die Fahrertür auf und schreie den wahnsinnigen Hund an, der auf dem besten Wege ist, ein Menschenmörder zu werden. Er lässt nicht ab von seinem verängstigten Lehrmeister.
Vor uns setzt sich die Stahlschlange träge in Bewegung, hinter uns herrscht eigenartige bleierne Stille.
Ich stürze zu meinem Wagen, reiße den Kofferraum auf, greife den Feuerlöscher und löse den Sicherheitsverschluss. Dann ersticke ich die blinde Wut des Haustieres mit dem pulvrigen Inhalt der Stahlflasche. Diese Aktion verfehlt nicht seine Wirkung. Der Fahrer ergreift verblüfft und angeschlagen seine Gelegenheit, kriecht und fällt mit meiner Hilfe aus dem Wagen heraus. Er liegt trotz der Hitze, zitternd im weißen Pulver auf dem Boden, so, als läge er im Schnee. Seine rechte Hand hat etwas abbekommen, und unter ihm scheint die Straße wie grauer Pudding zu beben und zu wabern.
Dann eilen auch schon mehrere schweißtriefende Leute herbei, sie wollen glotzen oder auch helfen.
Einer drängt sich stirnwischend und gierig nach vorn - er stinkt nach Schweiß - fragt aufgeregt:
„Hat es hier etwa gebrannt oder so, wir haben keine Flammen gesehen, was war denn?“
Ich wende mich ab von dem verletzten Familienvater.
„Ja, wissen Sie, hier hat eben die Luft gebrannt, gehen sie ruhig weiter“, sage ich.

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