Hans K. Reiter

Die Schattenmänner - (4) Sucht

Mein Zimmer war im vierten Stock. Natürlich auch hier die muskelbepackten Riesen mit ihrem unnachgiebigen Blick. Ich hatte das Gefühl, sie schauten mir wirklich nach, bis ich im Zimmer verschwunden war. Sicherheit vermittelt dir einen Schauder, wenn sie auf diese Weise demonstriert wird. Den Nachmittag hatte ich beim Vertreter unserer Firma verbracht. Ein angenehmer Zeitgenosse, der sich vor 20 Jahren in Kenia niedergelassen hatte. Riesen Anwesen, aber das haben viele hier. Als ich gerade aussteigen wollte, er hatte mich vom Hotel abgeholt, starrten mich durch das Fenster die Augen eines Monsters an. Den Schnappmechanismus zum Öffnen schon gezogen, ließ ich ihn sofort wieder los und hoffte inständig, das würde ausreichen, um mir das Ungeheuer vom Leib zu halten. Mein Gastgeber bemerkte meine Kalamität und lachte aus vollem Hals. Ich habe selten einen Menschen mit einem solchen Heiterkeitsausbruch erlebt. Schön, dachte ich, und sah mich um. Wo lag der Grund hierfür? Da erholte er sich etwas, zeigte auf mich und sagte: "Das ist Susi, eine ganz liebe Dogge, kommen Sie schon." Ich war dann noch zum Essen geblieben und habe es nicht bereut. Susi war übrigens wirklich ein liebes Riesenbaby. Wir sprachen über einige Projekte und ich hatte das Gefühl, ähnlich wie beim Botschafter in Malawi, der Mann freute sich wirklich über meinen Besuch. Meine Zuckeraspiration erwähnte ich nicht.

Für's Bett war es noch zu früh, also überlegte ich, an der Bar noch einen Drink zu nehmen. Das Besondere war, eine der Bars befand sich ganz oben im letzten Stock und bot einen interessanten Blick über die Stadt. Ich stolperte also vorbei an dem Muskelriesen, drückte den Rufknopf des Aufzugs und fuhr nach oben. Die Türe des Lifts öffnete sich mit einem leisen Schmatzen und ich stand auf einem Flur. Gewohnt, alles wäre hinreichend ausgeschildert, suchte ich nach einem Hinweis auf die Bar. Es gab aber keinen, oder ich bemerkte ihn nicht und noch etwas war nicht so, wie es hätte sein sollen. Kein Muskelmann! Schlagartig fühlte ich mich unbehaglich. Was hatte das zu bedeuten? Ich eile zurück zum Lift, Fehlanzeige, keiner der üblichen Rufknöpfe, dafür ein Steckschloss. Wie war ich in dieses Stockwerk gelangt, das offensichtlich nicht für gewöhnliche Hotelgäste bestimmt war? Was mich aber noch mehr interessierte, wie kam ich hier wieder heraus? Treppenhaus, klar jedes Hotel hat eines. Ich fand zwar eine Türe mit der Aufschrift Treppenhaus, aber sie war verschlossen. Panik stieg in mir hoch. Du wirst hier jämmerlich zugrunde gehen, sagte etwas in mir.

Mein rationaler Verstand wägte gerade ab, ob dies eine reale Option wäre, als mich unvermittelt jemand ansprach. Ich hatte so wenig damit gerechnet, dass es eine Ewigkeit dauerte, bis ich den Inhalt dessen einordnen konnte, was die Stimme gesagt hatte. "Hier entlang bitte, Sir." Ich war gemeint, kein Zweifel, also folgte ich der Stimme, die sich als einem Mann im dunklen Anzug zugehörig erwies. Ohne ein weiteres Wort ging er vor mir her, klopfte an eine Türe, die ausweislich des Schildes rechts daneben, den Zugang zu einer Suite freigeben würde und überließ mich zwei Gestalten. Beide wie der erste gekleidet, allerdings bewaffnet mit Pistolen, die sie offen am Hosengürtel trugen. "Okay, kommen Sie mit", sagte einer von ihnen höflich. Noch zwei Schritte. Ich war derart perplex, dass ich bisher kein einziges Wort zu sagen vermocht hatte. Wie ein Roboter folgte ich lediglich den Anweisungen der Männer. Absurd, das glaubt dir keiner, schoss es mir durch den Kopf. Noch ein Schritt, dann stand ich in einem Zimmer, gross, vielleicht an die 100 qm, aber das war es nicht, was mich beeindruckte. Fünf Augenpaare waren auf mich gerichtet. Ein Tisch in der Mitte, sechs komfortable Konferenzstühle um ihn herum gruppiert, einer frei. Man erwartete offensichtlich, dass ich mich genau auf diesen leeren Stuhl setzte. Ich weiss nicht warum, aber ich tat es.

"Dann sind wir jetzt vollzählig", sagte einer. Ohne mir auch nur den Hauch eine Chance zu gegeben, meine Situation zu erklären, fuhr der Mann fort: "Wir sind heute zusammengekommen, um darüber zu sprechen, wie wir den Verbrauch unseres Rohstoffes noch weiter erhöhen können. Prognosen unseres Instituts sagen, bei geeigneten Maßnahmen ließe sich der Verbrauch innerhalb der nächsten fünf Jahre ohne weiteres um 50 Millionen Tonnen steigern." Die Leute raunten zustimmend, nur ich verstand nichts. "Was wir hierfür tun müssen, ist denkbar einfach." Was ich jetzt zu hören bekam, überstieg meine Vorstellungskraft um Dimensionen und doch war es Realität. Der Sprecher erläuterte, eine Universität in den USA habe herausgefunden, der häufige Genuss von Süssem wirke wie eine Droge und mache süchtig. Ergo, sprach der Mann weiter, müssten sie nur hergehen und  ihren Zuckerprodukten gewisse Zusätze beimengen, die dieses Suchtverhalten steigerten. Im Klartext, sagte der Mann, "unser Ziel muss es sein, den Verbrauch von Zucker in Australien von derzeit etwa 58 Kilogramm pro Kopf auf 80 Kilo zu steigern und beispielsweise, um eine weiteres Land zu nennen, in Deutschland von derzeit 37 Kilo auf 50 bis 60 Kilogramm. Mr.", er sagte einen Namen, den ich nur undeutlich verstand und zeigte dabei auf mich, "wird uns mit den Einzelheiten vertraut machen".

Schlagartig wurde mir bewusst, wo ich gelandet war. Ich befand mich nicht nur in der Höhle des Löwen, das wäre noch einigermaßen erträglich gewesen, ich war inmitten der Zuckerbarone, der Schattenmänner, und sie glaubten, ich wäre einer von ihnen! Bevor ich noch ein Wort sagen konnte, wurde die Tür, durch die ich zuvor den Raum betreten hatte, aufgerissen und ein Hüne von einem Mann stürmte herein. "Seit ihr jetzt komplett verrückt, schrie er. Wer ist das?", zeigte er mit dem Finger auf mich. Die Anwesenden verloren zusehend an Farbe. "Ja ..., ich weiss nicht ...", stammelte der Redner von vorhin, "... wir dachten, das sei dein Vertreter, du wusstest doch noch nicht, ob du es schaffen würdest ..." Mit sichtlicher Mühe beherrschte sich der Neuankömmling. Schliesslich kaum er direkt auf mich zu, steckte mir seinen Kopf entgegen, und fauchte mit giftigem Atem: "Wer sind Sie und wie sind Sie hierher gekommen?"

Deutlich spürte ich, wie Schweiss meinen Nacken hinab perlte, mein Hemd klatschnass, Schweiss auf der Stirn, Hände nass. So musste es einem ergehen, der zum Schafott geführt wird, dachte ich und sagte banal, dass ich nicht wüste, warum der Lift in diesem Stockwerk gehalten hätte und ich im Folgenden ohne mein Zutun hierher gekommen wäre. Ich sah es an ihren Minen, sie glaubten mir kein Wort. Eine scheiß Situation. Ich hatte bereits zu viel gehört, das war mir so klar, wie nichts in meinem Leben bisher. Der neu Hinzugekommene rief etwas in Richtung Türe, worauf die beiden Männer von vorhin hereinstürzten. Er gab irgend welche Befehle, in einer Sprache, die ich nicht verstand. Unmissverständlich war jedoch, was die beiden von mir wollten, ich sollte mit ihnen mitkommen. Wenn du keine Alternativen hast, fuhr es mir durch meine furiosen Gedanken, dann fällt es sehr leicht, eine Entscheidung zu fällen, stand auf und folgte den Männern.

Fortsetzung folgt !

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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