Robert Nyffenegger

Wenn jemand eine Reise tut,so kann er was erzählen.Atlantik 3



Sepp:
Das Internetmitglied hält sich bravourös, erscheint stets in Vollmontur zur Wache, das heisst: Thermounterwäsche, Ölzeug, Südwester, Schwimmweste und kettet sich an der Steuersäule fest. Aufmerksam meldet er die kleinste Veränderung durch Klopfen an Skippers Kabinenfenster - zu dessen Beunruhigung. Tags reiht er Wetterprognose von allen erreichbaren Stationen wie Perlen an eine Kette. Diese wird ziemlich bunt. Im Prinzip genügend Wind, etwas Regenschauer, eher kühl, Wellenhöhe zwischen zwei und vier Meter. Mir ist das Wurst, wir wollen zu den Kanaren und das Wetter ist nur Gelabber und ohnehin nicht zu ändern.
Aus den Gesprächen vernehmen wir, dass er studierter Wasserbauingenieur ist und das unverschämte Glück hatte, bis heute nie  arbeiten zu müssen - der deutsche Sozialstaat ermöglicht das - mit Ausnahme von zwei Jahren als Hausmann, nachdem er  ungewollt eine Tochter zeugte. Das war seine glücklichste Zeit, denn mit erwachsenen Frauen hat er seine liebe Mühe, möglicherweise auch, weil er keinerlei Verantwortung übernehmen kann und will, wie er schmallippig verkündet.  Bereist hat er viele Länder als Rucksacktourist. Bei etwas Geo-Kenntnissen realisiert man, dass alle seine Reiseziele Gegenden sind, die auf bekannte Weise irgendeine psychedelische Substanz produzieren. Als Kaltduscher musste man diese natürlich eingehend kosten. Er ist belesen und nicht blöde, hatte schliesslich auch jede Menge Zeit.
Für Gesellschaftsspiele wie Eile mit Weile oder Fang den Hut bleibt keine Zeit. Wäre zu   aufreibend, das Zubehör immer wieder aufzufangen bzw. vom Kajütboden aufzufischen. Nach sechs Tagen und tausend Gesprächen kommt exakt nach GPS Land in Sicht. Es muss Lanzarote sein, Insel La Graciosa, wie der Plotter vermeldet. Im Dorf La Socieda liegt der Hafen Caletade Sebo.
Der Port verspricht etwas Ruhe und Komfort. Das Letztere ist nur angedeutet. Voll eingeseift bei der dringend benötigten Dusche versiegt der kärgliche Wasserstrahl vollends, es bleibt der mutige Sprung ins Hafenbecken. Von Elektrizität keine Rede.
Nach einer üppigen Mahlzeit im Gourmetsrestaurant der Insel – bestehend aus einem gedörrten Fisch (frittiert), zerfledderten Kartoffeln und traurigem Blattsalat- wir Banausen bestellten um 1900 Uhr und aufgetischt wurde um 2100 Uhr, wie man es sich so in Spanien gewohnt ist, legen wir uns abgekämpft und mit Magenkrämpfen in die Kojen. Nachts um 0200 Uhr Riesengeschrei, lautes Angstbrüllen „Hilfe, Hilfe, wir fahren gegen einen Felsen, Motor anlassen, schnell, schnell!“. Ich schrecke aus tiefem Schlaf, stelle  beruhigt fest, dass die Fischgräte vom Abendmahl unverändert im Zungengrund steckt und springe ins Cockpit. Dort hüpft ein völlig verzweifelter und aufgelöster Sepp von einem Bein aufs andere und schreit nach dem Motorschlüssel. Der Skipper und ich brauchen glatte zehn Minuten um ihm begreiflich zu machen, dass wir nach wie vor am Schwimmsteg liegen und sein Felsen eigentlich der Wellenbrecher ist. Dank unserer psychologischen Ausbildung und Valium im Tee, gelingt es schliesslich, ihn in die Koje zu verfrachten. Am Morgen erscheint er blassgrün mit faltigem Gesicht und wilder Haarpracht und erklärt forfait.
Gönnerhafte Durchhalteparolen des Skippers fruchten nicht.  Eine Atlantiküberquerung liegt für ihn nicht mehr drin. Die Gefahr nachts über Bord zu springen sei imminent und vermutlich nicht gesundheitsfördernd. Wir müssen dringend einen Hafen mit nächstgelegenem Flughafen aufsuchen. Wir stimmen ihm nach längerer Diskussion bei. Der Skipper zwar erst, nachdem ich ihn frage, wie er der brasilianischen Polizei möglicherweise zu erklären gedenke, wenn ein Mitglied fehlen sollte. Die Segel werden gesetzt und ab geht’s  nach
Puerto Calero, Lanzarote:
Man schreibt den 12.01. Am 13.1. erwarten wir unsere Köchin auf Lanzarote.
Der Hafen ist nicht billig, bietet aber jeden Komfort. Tadellose Waschanlagen, perfekt und sauber, mehrere Restaurants mit exzellenter Speisekarte, Einkaufsmöglichkeiten, Wäscherei, Infrastruktur für die Bootsbetreuung. Wir fühlen uns im Paradies!
Sorgenkind Nummer 1 ist aber der gute Sepp. Ein Ersatz muss gefunden werden. Hat der Skipper seiner Angetrauten doch versprochen mindestens zu Dritt das Boot zu führen.
Sepp wird am point d`honneur (Puntenöri) gepackt und es gelingt ihm mittels seines Laptop und WLAN (weiss nicht was das ist) vom Boot aus via Internet einen vollwertigen Ersatz innert zweier Tagen zu organisieren: Deutscher, 30jährig, Segellehrer in einem Robinsonklub, frei bis Ende März und bereit uns bis zu den Kapverden zu begleiten.
Sorgenkind 2: Bordelektrizität. Da ist der Wurm drin, nicht ein einfacher Fadenwurm, nein ein Schweinebandwurm oder gar ein Tatzelwurm. Auf der Spenderseite haben wir zwei Quadratmeter Solarpanel, einen Windgenerator, der mit Sausen und Heulen und mit seinem Zittern und Rütteln das Boot und die Mannschaft unterhält. Der Motor selbst produziert beim Laufen etwas Elektrizität. Das Voltmeter geht problemlos über 13 Volt, doch sobald man bezieht, fällt es in Windeseile ab.
Die Selbststeueranlage ist für uns der wichtigste Stromfresser. Dazu einige Bemerkungen für Nichtsegler. Ein Boot wird mit einer Pinne (Knüppel) oder einem Steuerrad gelenkt. Wenn der Weg nicht das Ziel ist, sondern umgekehrt, muss man einen bestimmten Kurs setzen. Dieser wird mit Graden bestimmt, ein Kreis hat 360 Grad, auf dem Kompass ablesbar. Da das Boot durch den Wind, die Wellen, die Strömung und die Konstruktion den Kurs nicht selbsttätig einhält, sondern abweicht, muss man es steuern. Das kann man von Hand mit ständig stierem Blick auf den Kompass erledigen. Einige finden das dröge und langweilig, wenn nicht mühsam, andere – die grossen Freibeuter -  sportlich, geil und ein probates Mittel zur Selbstinszenierung. Ganz ähnlich einer manuellen Autoschaltung. Obwohl diese Betätigung wenig mit Sport zu tun hat, es sei denn man glaube Ovo-Sport oder Sport-Toto sei Sport. Es kommt selten mal vor, dass durch eine heftige Böe (starker Windstoss) und seitlich aufprallende Riesenwelle, das Boot 90 Grad aus dem Kurs läuft und sich die Selbststeuerungsanlage ausklinkt. Dann heisst es kurze Zeit selber steuern, was ausserordentlich freudlos ist.
Bedauerlicherweise reicht die Stromkapazität  nicht aus, um den Kühlschrank auch nur ein bisschen zu kühlen, die Kabine etwas länger zu beleuchten, ja sogar die nächtlichen Positionslichter fressen zu viel Strom. Sie werden folglich nur noch betrieben, wenn ein beleuchtetes Unbekanntes auftaucht.
So ist  ein Check beim Bootselektriker im Hafen unabdingbar. Quintessenz: so ziemlich alles Katastrophe: falsche Batterien, Batterien nicht getrennt in Motor- und Verbraucher, Windgenerator nicht angeschlossen, folglich zu wenig Kapazität etc. Klassisches Ergebnis, wenn selbsternannte Stromgenies sich in Bordelektrizität ausleben, billig, echt billig aber eben teuer. Der Kostenvoranschlag kraust dem Skipper die Haare, er kämmt sich geschwind und da kein Bedenkenträger, bewendet er es bei einer Kleinrevision von 40 Euro und einer Schnellladung der Batterien. Ein Honda Stromgenerator wird zwar kurz  bewundert und als zu kostspielig befunden.
Nun treffen auch Köchin und Sepp-Ersatz ein. Der Abschied von Sepp fällt leicht. Der bunte Hund macht sich mit gesenktem Haupt und Riesengepäck sowie Gleitschirm – wozu er diesen beim Segeln brauchen wollte, ist mir bis heute schleierhaft-  auf den Weg zum Flughafen.
Nun können die Neulinge  kurz eingeführt werden. Die Köchin erhält die Bugkoje, kann sich dort genügend ausbreiten und Rezepte studieren.
Björn macht einen guten Eindruck, als Segellehrer für Kinder im Robinsonklub wundert das niemand. Er kommt entsprechend zu mir in die obere Koje der Längskabine.
Wir kaufen noch reichlich Lebensmittel, wie Brotbackpulver, Fertigsuppen, Konserven Wein und Schnaps. Natürlich auch Fischköder, man weiss ja nie.
Nach einer üppigen Fischmahlzeit im Gourmetrestaurant laufen wir unter Volltuch bei einer achterlichen Brise  von 4 Beauforts Richtung unserem nächsten Zielhafen.
Fortsetzung folgt
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.08.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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